Voll die Opfer

Außer Kontrolle

Von Opfern, Kampagnen und Unfehlbarkeiten. Heute: der Papst und Guido Westerwelle.

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Auch wenn der Songtitel jetzt womöglich auf eine falsche Fährte lockt, so finde ich ja, Marius Müller-Westernhagen hat extra für den Papst einen Text geschrieben. Zumindest, wenn es um die derzeitige Hetzkampagne gegen ihn geht.

Sexy - was hast Du bloß aus diesem Mann gemacht
Sexy - was hat der alte Mann Dir denn getan
Sexy - wo warst Du bloß, als er nachts aufgewacht
Sexy - das tut dem alten Mann doch weh

Nehmen wir mal die dritte Zeile weg (um Missverständnissen vorzubeugen ((wobei das Vorbeugen hier bitte nicht falsch zu verstehen ist)) natürlich), so passt das doch wirklich. Da haben wir einen älteren Herren, der nicht nur ganz dem Zeitgeist entsprechend nicht etwa mit ALG II vor sich hin gammelt oder seine Rente versäuft, sondern sich noch immer in der Arbeitswelt einbringt und alle Welt meckert an ihm und seiner großen Familie herum. Einer Familie, an deren Größe übrigens nicht einmal Thilo "Tell me the truth, motherf***" Sarazzin etwas zu bemängeln hat. Nur weil der Hüter ein paar seiner Schäfchen nicht so richtig im Griff hatte (oder waren es die Schäferhunde, die die Schäfchen nur allzugut im Griff hatten?), wird nun der arme alte Mann "gedisst" wie es in Neudeutsch heißt. Du meine Güte, was hat er denn getan? Nichts, außer dass er ein fehlgeleitetes Schäfchen wieder in seine Arme geschlossen hat, statt ihn wie es so mancher tun würde, auszugrenzen. Der arme Priester, der da seine pädophilen Neigungen anscheinend auslebte, was hätte er denn tun sollen, wohin hätte er denn gehen sollen, wenn nicht zurück in den liebenden Schoss (no pun intended) der Kirche?

Aber dafür wird er nun geschmäht, der arme Kerl. Eine Kampagne gegen ihn sieht der Vatikan.

Jaja, die Trüffelschweine des bösen Journalismus und der Aufklärung von (sexueller) Gewalt gegen Schutzbefohlene haben die Rüssel nicht stillgehalten und suhlen sich jetzt im katholischen Misthaufen, der noch immer mit Weihrauch und ein paar Ornaten als Decke davon abgehalten werden soll, weiter zu müffeln. Der Vatikan, wie auch andere Kirchenvertreter und -verteidiger, die momentan in den Talkshows ihr Sahnehäubchen der Unwissenheit und Unfehlbarkeit über den streng riechenden gefüllten Becher voller Anschuldigungen und Beweisen spritzen, erinnern an Protagonisten von Actionfilmen, die im Moment, da sie mit dem Rücken zur Wand stehen, noch einmal aus allen Rohren feuern.

"Das Problem sei doch vor allem unsere übersexualisierte Gesellschaft. Schuld seien die 68er mit ihrer sexuellen Revolution. Die Grünen, die "taz" und die Humanistische Union würden doch Sex mit Kindern propagieren!" sagt Gabriele Kuby, die die Sackgassen der modernen Gesellschaft aufzeigt und den Ausweg, der einem durch den gelebten Glauben an Jesus Christus sich bietet. "Es ist offensichtlich, dass in den vergangenen Tagen einige mit einer gewissen Verbissenheit in Regensburg und München nach Elementen gesucht haben, um den Heiligen Vater persönlich in die Missbrauchsfrage hineinzuziehen sagt der Vatikanssprecher und beide, genau wie auch der Salzburger Weihbischof Andreas Laun, bemühen sich, die Kritik an dem Schweigen der Lämmer und Wölfe in der Kirche durch Gegenkritik zu beantworten. Missbrauch gibt es doch überall und dieser ist doch viel öfter in der Familie als in der großen katholischen Priesterfamilie anzutreffen - so lautet die frohe Botschaft heutzutage. Alles nur bedauerliche Einzelfälle und kein Grund zur Systemkritik. Fast meint man, als nächstes, quasi in Annäherung an einen anderen, der jegliche Kritik an seinem Verhalten als ad hominem ansieht, das Glöckchen der freiwilligen Selbstverpflichtung aller Priester und Co. klingeln zu hören, auf dass der pawlowsche Gläubigenhund zufrieden hechelt und meint, alles sei geklärt.

Fast meint man, auch beim Außenminister einen Ansatz der päpstlichen Unfehlbarkeit wahrzunehmen, wenn er als "Guido Nukem" quasi alle Register zieht und sich gegen das unfaire Dauerfeuer der Medien und der Opposition wehrt. Ein Schuss in Richtung Schwulenfeindlichkeit hier, der nächste gegen den linken Zeitgeist, gegen die Bösen, die die Vertretung der deutschen Wirtschaft als schlimm empfinden... egal, Hauptsache, es hat argumentativ nichts mit den Vorwürfen zu tun, würgt diese als (wir ahnen es bereits) Verleumdungskampagne ab und lässt St. Guido als Opfer erscheinen.

Ja, er, genau wie der Papst, ist er das Opfer, der zu bemitleidende, unfehlbare und sich keines Fehlers bewusste (wie auch, da ja unfehlbar?) Mann, der treuherzig-betroffen in die Kamera lächelnd, sich gegen die Kampagnen wehrt, die da völlig ungerechtfertigt gegen ihn gefahren werden als hätten sich alle Menschen dieses Landes gegen den heiligen Vater und den Außenminister gleichzeitig verschworen. Fast würde man sich, quasi doppelt symbolisch, ein Bild von Guido Westerwelle und Herrn Ratzinger wünschen, wie sie sich im Papamobil die Hand reichen, das dynamische Duo sozusagen, würde das nicht ggf. wegen Herrn Westerwelles Homosexualität neue Schwierigkeiten mit sich bringen können.

Das endgültige Ende der schwarz-rot-goldenen Fahnenstange scheint erreicht zu sein, wenn die Kritik am Außenminister, die sich von durchaus recherchierbaren Fakten nährt, als "Gefährdung der Demokratie" wahrgenommen bzw. ko(h)lportiert wird. Herr Lindner (nein, so viel Realitätsferne traut man nicht einmal dem Volksmusiker mit dem gleichen Nachnamen zu) geriert sich hier, ebenso wie Herr Westerwelle auch, als politisch-medialer Geisterfahrer, der nur die anderen zigtausend Geisterfahrer wahrnimmt, die auf der vermeintlich falschen Spur unterwegs sind ( linker Zeitgeist?).

In Anlehnung an "V wie Vendetta" fragt man sich langsam nur noch, wer die Ärzte sind, die hier noch mitspielen, denn die sonstigen Zutaten des Mooreschen Universums haben wir bereits. Populitistische Politiker, den jüngeren Menschen zugeneigte (schein)heilige Menschen und natürlich eine fälschende Strafverfolgung, hysterische Sicherheitsgesetzschnellschüsse haben wir ja bereits.

PS: In eigener Sache möchte ich heute nicht V, sondern K danken. K weiß warum...

PPS: Danke an Wämmser für den Hinweis - der Link wurde nachgetragen.