Voodoo als freie Meinungsäußerung

Franzosen dürfen Nadeln in die besten Sprüche Sarkozys stechen

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Natürlich verfügt Nicolas Sarkozy über Humor (auf jeden Fall hat er ganze Kartoffelsäcke voll mehr davon als deutsche Regierungschefs). Wer weiß denn schon einem mürrisch gesinnten Hagestolz, der auf einer Landwirtschaftsmesse die freundlich angebotene Hand zum Gruß stur verweigert, so kongenial schroff und treffsicher mit einer der Örtlichkeit und dem Milieu angepassten Redewendung zu kontern, pointiert, mit einem kräftig derben Überraschungsmoment: "Casse-toi, pauv'con"?

Das Landwirtschaftsmessenzitat ist zu einer Catchphrase geworden. Der Alltags-Prollspruch wird wohl für einige Zeit mit dem jetzigen Präsidenten der Grande Nation verbunden. Heißt das nicht mit Humor dabei sein, mittendrin im Peuple? Die Phrase findet sich auch auf der so genannten Voodoo-Puppe, deren Gesicht die Züge Sarkozys trägt und deren Körper die beste Sprüche des besten Sprüchemachers ("Mehr arbeiten, um mehr zu verdienen") unter den derzeitigen Staatsoberhäuptern. Ausgenommen freilich George W. Bush, der allerdings nicht mehr an die Form früherer Jahre anknüpft (sein in diesem Sinn ebenfalls sehr talentierter Nachfolgekandidat scheint die geringeren Chancen zu haben als der eher humorfreie Obama).

Sarkozy klagte vor Gericht gegen den Vertrieb dieser Puppe, die im Internet und in Buchhandlungen zu kaufen ist und den Käufer durch eine mitgelieferte Gebrauchsanweisaung dazu einlädt, Nadeln in sie zu stechen.

So kam es, dass beinahe keine Publikation zu diesem fait divers an dem billig zuhandenen und an jeder Ecke feilgebotetenen gängigen Kritikpunkt vorbeistreifen konnte, ohne ihn nicht doch aufzunehmen: Dass Sarkozy keinen Humor habe. Ein Vorwurf, dem sich erwartungsgemäß auch Ségolène Royal anschloss, um dabei ganz unironisch auf den eigenen Sinn für Humor hinzuweisen. Schließlich gibt es ja auch eine Voodoopuppe des selben Herstellers von ihr, die allerdings auch weniger Franzosen pieksen mögen, weil Royal viel weniger picarisch ist.

Dass Sarkozy den Prozess verloren hat, wie gestern allerorten gemeldet wurde, dürfte ihn trotz seines Humors, der seine Stärken nicht dort hat, wo es ums Image geht, ärgern. Es zeigt dem großen Rest der Welt aber, wie gut das französische Gerichtswesen, namentlich in Paris, funktionieren kann (siehe auch Taser darf als Foltergerät bezeichnet werden).

Denn die Begründung des Gerichts, soweit sie von der Zeitschrift Nouvel Observateur zitiert wird, hält in der Verteidigung der Meinungsfreiheit den Politikern auf beachtliche Weise einen Spiegel vor: Das Gericht bezeichnete die Figur als "Werk mit Esprit", das mit einem "informativen Inhalt" Ideen befördere, die sich "ausdrücklich im Rahmen der Satire und des Humors" bewegen, womit sie der Meinungsfreiheit diene. Außerdem würden mit den beiden Puppen, die Sarkozy und Royal darstellen, Kandidaten karikiert, die beide in ihrem Wahlkampf damit gearbeitet hätten, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf ihre Person zu konzentrieren, indem sie ihr Image in der politischen Kommunikation ganz in den Vordergrund stellten.