Was das Leben gelingen lässt

Die seit über 60 Jahren laufende Grant-Studie enthüllt kaum Geheimnisse, birgt aber interessante Details

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Mitte der 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts stellten sich Wissenschaftler an der Universität Harvard eine Frage, die sie bis heute beschäftigt: Was führt bei Menschen zu einem Leben, das von ihnen als gelungen empfunden wird? Man rekrutierte 268 männliche Harvard-Studenten für eine Langzeitstudie, die bis in die heutigen Tage anhält, und erhielt einen faszinierenden Einblick in die inneren und äußeren Bedingungen des subjektiven Glücks.

Die Startbedingungen konnten idealer kaum sein. Die Männer stammten allesamt aus wohlhabenden Familien, nach dem Studium in Harvard sollte ihnen eigentlich eine goldene Zukunft bevorstehen. Die künftige Elite der USA wurde zu Probanden einer faszinierenden Langzeitstudie. Die Anschubfinanzierung erfolgte durch den Kaufhaus-Magnaten W. T. Grant, seither heißt die Untersuchung Grant-Studie.

Laktatwerte wurden genommen, physiologische Tests folgten, Hirnströme wurden gemessen. Ein Mitarbeiter besuchte die Eltern, notierte die Rahmenbedingungen des Aufwachsens, der Pubertät und der Adoleszenz und familientypische Krankheiten. Die Studenten mussten psychologische Tests absolvieren. Und in regelmäßigen Abständen standen und stehen die Teilnehmer den Ärzten und Psychologen Rede und Antwort.

Und tatsächlich entwickelten sich die Männer wie vorhergesehen. Vier aus dem Sample kandidierten für den US-Senat, es war ein erfolgreicher Romanautor dabei, einer der Studienteilnehmer wurde sogar Präsident der USA, seine Identität wurde später enthüllt: John F. Kennedy. Aber es herrschte wahrlich nicht nur eitel Sonnenschein. 1948 litten 20 Teilnehmer unter ernsthaften psychischen Problemen. Im Alter von 50 hatte ein Drittel der Männer irgendwann im Untersuchungszeitraum unter psychischen Störungen gelitten.

Seit nunmehr 42 Jahren beobachtet der Psychologe George Vaillant (74) die Langzeit-Probanden. Seine zentrale Frage ist nicht, wie viele oder wenige Beschwerden und Probleme die Männer in ihren Leben ertragen müssen, sondern wie sie mit diesen umgehen. Aus der psychoanalytischen Sicht von Vaillant kommt bei jedem Problem, sei es das Reißen eines Schnürsenkels oder der Tod der Mutter, ein Abwehrmechanismus zum tragen. "Vieles, was als psychisch krank bezeichnet wird", schreibt Vaillant, "reflektiert nur die unkluge Entfaltung von Abwehrmechanismen."

Die Biografien der Harvard-Männer weisen auf zweierlei hin: Zum einen ist relativ klar, dass es zentrale Momente im Leben gibt, die den weiteren Verlauf maßgeblich beeinflussen. Zum anderen ist aber relativ unklar, wie jemand auf einschneidende Erlebnisse auf lange Sicht reagiert. So stellte Vaillant in seinem Buch "Aging Well" 2002 einen Mann vor, der in einer gefühlskalten Umgebung aufwuchs und in der Studienzeit stark neurotisch und in sich gekehrt war. Mit Hilfe einer Psychotherapie stabilisierte er sich, später durchlebte er ein spirituelles Erweckungserlebnis, wieder später wurde er zum erfolgreichen Psychiater. Mit 50 beschrieben ihn seine Freunde als humorvoll und kreativ. Mit 60 bekam er schwere Depressionen, kurz zuvor war seine zweite Ehe geschieden worden.

Obwohl die Grant-Studie den individuellen Biografien viel Platz einräumt, stellt sie auch die zentralen Einflussgrößen für ein gesundes Leben heraus. Die sieben Hauptfaktoren für physisch-psychische Gesundheit klingen wie eine Liste aus einer Boulevardzeitung: gute Ausbildung, stabile Partnerschaft oder Ehe, nicht rauchen, Alkohol in Maßen, körperliche Aktivität, kein Übergewicht und die besagte gute Entfaltung von Abwehrmechanismen. Von den 106 Harvard-Abgängern, die fünf oder sechs dieser Faktoren im Alter von 50 erfüllten, galt die Hälfte im Alter von 80 als "happy-well", wie Vaillant es ausdrückte.

Aber es gibt auch Überraschungen: Der in den USA stets argwöhnisch beäugte Cholesterinspiegel spielt eine untergeordnete Rolle; ist er mit 50 Jahren hoch, kann man trotzdem gesund alt werden. Und: Regelmäßiger Sport während der Collegezeit ist ein besserer Prädiktor für mentale als für körperliche Gesundheit im Alter. Depressionen sind laut Grant-Studie die herausragenden Prädiktoren für körperliche Beschwerden im Alter. Von den Männern, bei denen im Alter von 50 Jahren eine Depression diagnostiziert wurde, waren im Alter von 63 Jahren über 70 Prozent chronisch krank oder bereits gestorben.

Obwohl in der Faktorenliste nicht genannt, spielen Freundschaften und die sozialen Fähigkeiten eine zentrale Rolle im Prozess des gesunden Alterns. Gute Freundschaften sind zwar kein Garant, aber eine fast notwendige Bedingung dafür, im Alter glücklich zu leben. Als Vaillant im März 2008 nach seinen persönlichen Lehren aus der Grant-Studie gefragt wurde, antwortete er: "Das Einzige, was im Leben wirklich zählt, sind deine Beziehungen zu anderen Menschen."