Wie industriefreundlich wird die große Koalition?

Die Wirtschaftsverbände können zufrieden sein, auch wenn sie jeden Ansatz eines Mindestlohns heftig bekämpfen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Noch ist noch überhaupt nicht klar, ob die große Koalition zustande kommt, schon bringen sich die unterschiedlichen Lobbygruppen großer Verbände in Position. Der Bundesverband der Industrie veröffentlichte mit weiteren Lobbyverbänden der Industrie eine Erklärung, in dem vor einer Gefährdung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft gewarnt wird. Den Verbänden geht es darum, jede Diskussion auch über indirekte Steuererhöhungen schon im Ansatz zu ersticken.

"Zur Stärkung von Investitionen und Innovationen und damit von Wachstum und Beschäftigung müssen Zusatzbelastungen vermieden, das Unternehmenssteuerrecht international wettbewerbsfähiger sowie Eigenkapital und Liquidität erhöht werden. Die Erfahrung der vergangenen Jahre hat gezeigt, dass eine wachsende Wirtschaft zu wachsenden Steuereinnahmen führt. Diesen Wachstumspfad gilt es fortzuführen. Er darf nicht durch höhere Steuerbelastungen für Unternehmen gefährdet werden."

Bisher war die FDP immer dafür zuständig, dieses Credo der Wirtschaft ins Parlament zu tragen. Obwohl die Industrieverbände nun erstmals auf deren Unterstützung verzichten müssen, brauchen sie sich um ihre Interessen keine Sorgen machen. SPD und Union werden wie jeher alles tun, um die Interessen der Industrie zu erfüllen. Schon hört man aus der Verhandlungsdelegation der großen Koalitionäre, dass es weder Steuererhöhungen noch weitere Schulden geben wird.

Die Legende von den Wirtschaftsweisen

  Dann gibt es noch eine in der Öffentlichkeit hochangesehene Institution, ein Kreis von vornehmlich wirtschaftsliberalen Ökonomen, die in fast allen Medien kritiklos mit dem Titel "Wirtschaftsweise" versehen werden und etwas nüchterner als Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung bezeichnet wird.

Wie in der Vergangenheit ist dieser Kreis auch bei der Vorstellung des jüngsten Berichts als Stimme der deutschen Wirtschaft aufgetreten und hat so noch einmal den Forderungen der Industrieverbände den Nimbus des Weisen und Sachverständigen gegeben. Eine zukunftsfähige Wirtschaftspolitik ist nach diesen Vorstellungen eine, in der der BDI und seine Unterstützer sich wohlfühlen. Dessen Forderungen werden wie folgt durchbuchstabiert:

"Der deutsche Arbeitsmarkt muss weiter gestärkt werden. Mindestlöhne und die Einschränkung von Zeitarbeit und Befristungsmöglichkeiten schwächen ihn und ziehen neue Sperrklinken ein. Fiskalisch sollten die aktuell günstigen Sonderfaktoren und das 'demographische Zwischenhoch' dazu genutzt werden, die öffentlichen Haushalte zu konsolidieren. Vorhandene Spielräume sollten dafür verwendet werden, um die Kalte Progression zurückzuführen. In der Energiepolitik würde ein Moratorium des Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) die nötige Atempause verschaffen, um für die Energiewende endlich ein schlüssiges Gesamtkonzept zu entwickeln."

Wenn die Industrie die Tariffreiheit lobt

Die Hauptkritik der Lobbyorganisationen der Industriellen ist die Mindestlohn-Regelung. Dabei gerieren sie sich als Verteidiger der Tarifautonomie, die ja in Deutschland so gut funktionieren würde. Nun sind sowohl Industriellenverbände als auch Gewerkschaften immer dann für die Tarifautonomie, wenn für sie die Kräfteverhältnisse günstig sind.

Zurzeit sind viele Branchen nicht in der Lage und oft auch nicht willens, soviel Druck auszuüben, dass es zu größeren Lohnerhöhungen kommt. Das ist auch der Grund, warum im letzten Jahrzehnt immer mehr Einzelgewerkschaften des DGB für einen staatlichen Mindestlohn eintreten. Die Gewerkschaften mit der schwächsten Durchsetzungskraft waren dabei die ersten. Die in ihrer Branche noch recht kampfstarke IG-Metall sträubte sich lange gegen einen staatlichen Mindestlohn. Doch mittlerweile sieht auch sie hierin ein article_id=269687: Bollwerk gegen Lohndumping.

Ruhe im Betrieb

Wenn Branchengewerkschaften in einem Wirtschaftsbereich einen Arbeitskampf führen und dabei in der Lage sind, Druck auszuüben, endet die Sympathie für die Tariffreiheit in den Industrieverbänden schnell und auch die Spitzen der DGB-Gewerkschaften ziehen dabei an einem Strang. Ihnen geht es darum, kleine oft besonders kämpferische Branchengewerkschaften auszuschalten.

Darauf haben sich die Verhandlungsführer von SPD und Union geeinigt. Nach ihren Vorstellungen soll in einem Betrieb nur noch der Tarifvertrag der Gewerkschaft gelten, die die meisten Mitglieder hat. Die Branchengewerkschaften, aber auch der lange Zeit DGB-nahe Jurist Wolfgang Däubler sehen darin einen Angriff auf das Streikrecht.

Kleine Branchengewerkschaften haben bereits ihren Widerstand angekündigt. Allerdings wird in den Medien kaum erwähnt, dass auch die syndikalistische Freie Arbeiterunion, die vor allem im Bereich der prekär Beschäftigten in den letzten Jahren auch erfolgreiche Arbeitskämpfe geführt hat, von dem Tarifeinheitsgesetz betroffen wäre. Für die Wirtschaft wäre es ein Geschenk.