Zuspitzung im katalanischen Hungerstreik
Mit Jordi Turull musste der ehemalige Regierungssprecher ins Krankenhaus und am Jahrestag der "Zwangswahlen" werden Szenen wie zum Referendum befürchtet
Seit 18 Tagen befinden sich der ehemalige Regierungssprecher Jordi Turull und Jordi Sànchez, der ehemalige Präsident der großen zivilgesellschaftlichen Organisation "Katalanischer Nationalkongress"(ANC), schon in einem unbefristeten Hungerstreik.
Am Wochenende nun wurde Turull auf die Krankenstation des Gefängnisses Lledoners verlegt, wie sein Arzt mitgeteilt hat. Er beteiligt sich nicht mehr an den Gefängnisaufgaben und hat inzwischen mehr als sieben Kilogramm Körpergewicht verloren. Es dürfte bei Sànchez auch nicht mehr lange dauern, der schon seit Oktober 2017 als politischer Gefangener in spanischen Haftanstalten sitzt, bis sich sein Gesundheitszustand ebenfalls zuspitzen wird.
Ganz ähnlich sieht es auch beim ehemaligen Innenminister Quim Forn und dem früheren Infrastrukturminister Josep Rull aus, die sich wenige Tage nach Beginn von Sànchez und Turull dem Hungerstreik angeschlossen hatten. Sie alle fordern, wie Menschenrechtsorganisationen die Freilassung der politischen Gefangenen und zudem wollen sie Spaniens Verfassungsgericht dazu zwingen, endlich über die Verfassungsbeschwerden zu entscheiden.
Die werden allesamt angenommen, um dann in der Schublade zu verschwinden, womit der Gang vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) versperrt bleibt. Der kann erst nach dem Abschluss der gesetzlichen Möglichkeiten in Spanien angerufen werden.
Der Eindruck drängt sich dem unbefangenen Beobachter auf, dass hier bewusst verzögert wird, da über eine Untersuchungshaft eigentlich innerhalb von 30 Tagen entschieden werden muss. Die Beschwerden liegen zum Teil schon mehr als 12 Monate in den Schubladen. Rachegedanken herrschen offensichtlich gegen die vor, derer die spanische Justiz habhaft werden konnte.
Denn an die Exilierten wie Carles Puigdemont kommt sie nicht heran, da sich Deutschland, Belgien, Großbritannien und die Schweiz weigern, den Märchen von politischen Richtern zu folgen, die eine "Rebellion" und einen "Aufruhr" erfunden haben und Anklagen "ohne juristische Basis" stricken.
Zu beobachten ist, dass nicht nur Telepolis die Vorgänge in Spanien angreift, sondern sich der harschen Kritik im deutschsprachigen Raum nun auch die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) angeschlossen hat. "Spaniens Richtertanzen nach der Pfeife der Politiker.“ Kein Wunder, wenn zuletzt Richter und Staatsanwälte zum zweiten Mal in diesem Jahr auch für eine unabhängige Justiz gestreikt haben.
Dass sich am "Kuhhandel", mit dem aus politischen Erwägungen heraus höchste Richterposten besetzt werden, auch unter den Sozialdemokraten nichts geändert hat, kritisiert nun auch die NZZ und zeigt das am Fall Manuel Marchena auf, der Chef des Kontrollrats und des Obersten Gerichthofs werden sollte. Da dieser den Rückzug antreten musste, soll der Regierungsrichter nun wieder über die politischen Gefangenen aus Katalonien zu Gericht sitzen. Unabhängige Justiz sieht anders aus.
Und so ist zu verstehen, wenn die Betroffenen davon ausgehen, dass das Urteil wohl schon feststeht und auch dagegen mit dem Hungerstreik protestieren. Der Prozess gegen insgesamt 18 Personen soll Anfang des kommenden Jahres in Madrid beginnen. Allerdings geht die große Schweizer Zeitung Le Temps in einem Editorial davon aus, dass Spanien diesen Prozess schon verloren hat. Die Luft wird "immer ranziger “, kommentiert die Zeitung.
Es gibt starke Solidarität mit den Hungersteikern. So finden Solidaritätshungerstreiks auch in Deutschland statt. Seit 16 Tagen ist Uwe P. Tesch nun ebenfalls im Hungerstreik. Es war "eine spontane Entscheidung", erklärt er gegenüber Telepolis. Auch er will die "extreme Ungerechtigkeit" angreifen, die "sehr einfach zu erkennen sei". Tesch macht aus seine Ablehnung der europäischen Institutionen und dem Kommissionspräsidenten Juncker keinen Hehl, denen er angesichts des Schweigens zu den massiven Rechtsverletzungen Spaniens in Katalonien "Heuchelei" auch über Twitter vorwirft.
Er greift die "Doppelstandards" an, wenn europäische Führer, die ihre Augen und Ohren vor den Vorgängen verschließen, sich anderseits fragen, warum "Rechtsextreme auf dem Kontinent" stärker werden. Was im Kosovo unter Mithilfe der EU zu einer Unabhängigkeit führte, werde den Katalanen verboten, erklärt der Stuttgarter, der Katalonien von vielen Urlaubsaufenthalten kennt und schätzen gelernt hat.
Auch Tesch weist auf die vermutete Zuspitzung am kommenden Freitag hin. Denn wie der Katalane Pere Grau schreibt, der seit vielen Jahren in Hamburg lebt, ist die Tatsache, dass die sozialdemokratische Regierung ausgerechnet am 21. Dezember in Barcelona eine Kabinettssitzung abhalten will, "ein fieses Manöver hinter der Maske des guten Willens". Wir erinnern daran, dass genau an diesem Tag Spanien vor einem Jahr in Katalonien "Zwangswahlen" durchgeführt hatte, die allerdings nicht wie erhofft mit dem Sieg der Unionisten endeten, sondern wie das Hornberger Schießen.
Den Sieg der Unabhängigkeitsbewegung hat Madrid nie anerkannt und über alle Tricks verhindert, dass der geschasste Präsident Puigdemont wieder gewählt werden konnte, und zudem wurde über die "unabhängige Justiz" auch verhindert, dass die derzeit Hungerstreikenden Turull oder Sànchez zum Präsidenten gewählt werden konnten.
So wird ein Dialog vom spanischen Regierungschef Pedro Sánchez nur noch vorgetäuscht, den er lauthals versprochen hatte, als der zur Wahl auf die Stimmen der Katalanen angewiesen war. Der Narzist und Blender, der stets links blinkt, um dann rechts zu überholen, will sich angeblich mit dem Regierungschef Quim Torra treffen. Allerdings hat er schon angekündigt, über die für die Katalanen wichtigen Fragen nicht sprechen zu wollen.
Da es kein ehrliches Gesprächs- und Dialogangebot ist, hüllt er es in eine massive Provokation, weil er Torra als den darstellen will, der den Dialog ablehnt. Es war der Diktator Franco, der immer mal wieder mit Kabinettssitzungen in Katalonien seinen Anspruch über das Gebiet unterstrich, das vor gut 300 Jahre unter die Herrschaft Spaniens fiel. Grau zitiert deshalb den Journalisten Vicent Partal:
"Falls jemand das vergessen hätte, am 21. wird nach Barcelona eine Regierung kommen, welche die katalanische Parlamentspräsidentin, den Regierungs-Vizepräsident, zwei Vertreter der Zivilgesellschaft und mehrere Landesminister im Untersuchungshaft hält, die keine Schuld tragen. Dieselbe Regierung, die den Präsidenten der Generalitat, einige Landesminister, die Generalsekretärin der ERC und eine Führerin der CUP ins Exil getrieben hat, obwohl vier europäische juristische Instanzen klargestellt haben, dass es dafür keinen Grund gibt."
Dass der Besuch zudem auf den Jahrestag der "Zwangswahlen" angesetzt ist, vergrößert die Provokation noch weiter und es ist offensichtlich, dass die Gewalt provoziert werden soll, die es bisher praktisch nicht gab. Gewerkschaften und diverse Organisationen rufen auch zu massiven Protesten und zum zweistündigen Generalstreik auf.
Es soll eine Auto-Demo geben, um die Straßen zu verstopfen und Barcelona lahmzulegen. Auch die Studenten werden am Freitag streiken und es ist erneut mit Straßen-, Schienen- und Autobahnblockaden in ganz Katalonien zu rechnen, wie bei den Generalstreik wegen der brutalen Übergriffe beim Referendum.
Allerdings darf angenommen werden, dass die Katalanen nicht in das aufgestellte Messer laufen, Torra sich mit Sánchez trifft und die Gewalt auf der Straße erneut von spanischen Sicherheitskräften oder von rechtsgerichteten Provokateuren ausgeht. Alle politischen Verantwortlichen rufen erneut zu friedlichen Protestaktionen auf.
Die drei spanischen Ultra-Parteien, von der rechten Volkspartei (PP) über die Ciudadanos (Cs) bis zur offen faschistisch auftretenden VOX wollen sogar noch diesen "Dialog" verhindern. Sie fordern entweder, Katalonien wieder unter Zwangsverwaltung zu stellen oder die Autonomie ganz zu schleifen. Von spanischer Seite werden derweil erneut massiv Sicherheitskräfte, wie die paramilitärische Guardia Civil und Nationalpolizei, nach Katalonien verfrachtet.
Einige Beobachter erwarten, dass es zu ähnlich brutalen Szenen wie am 1. Oktober 2017 beim Referendum kommt, das Spanien mit allen Mitteln und einer militärähnlichen Operation verhindern wollte. Nun soll eine Kabinettssitzung offensichtlich mit aller Gewalt gegen den Willen der Bevölkerung durchgedrückt werden.