Die 80er Show
Schluss mit dem Ebay-Bieten: der Atari TV Games Stick enthält zehn der wichtigsten Atari-Spiele - eine Art "Reader's Digest" für Gamer
"Die mächtigen und friedlichen Yars sind Nachkommen der gewöhnlichen Stubenfliege auf der Erde. Sie haben ihre Kräfte eingesetzt, um blühende Siedlungen auf den Planten II, IV und V des Razak-Sonnensystems zu gründen. Plötzlich und ohne Vorwarnung wurden sie von den rücksichtlosen Qotile angegriffen. Diese bösen Kreaturen haben Planet IV vaporisiert und sind fest entschlossen, die gesamte Zivilisation der Yar zu vernichten! Machen Sie sich als exzellenter Krieger auf, die Heimatwelt der Yars zu beschützen und die Zerstörung von Planet IV zu rächen!"
So liest sich der "Plot" von "Yars' Revenge". Und wem es jetzt in den Fingern juckt, einige Qotile zu "vaporisieren", der ist wahrscheinlich vor auch schon wieder gut zwanzig Jahren mit Videospielen für frühe Konsolen wie die Atari VCS aufgewachsen. Diejenigen, die damals nicht Videospiel-technisch sozialisiert worden sind, sondern mit den quasi fotorealistischen Spielen der Gegenwart aufgewachsen sind, werden sich darüber wundern, dass es einmal eine Zeit gab, in der sich junge Menschen widerspruchslos davon überzeugen ließen, dass ein paar - in der Manier eines Ministeck-Bilds aneinandergeklebte - Pixel-Häuflein wahlweise sich verteidigende Yars oder böse Quotilen darstellten.
Auch die herabsinkende Punkte, die in "Missile Command" Raketen vom Planeten Krytol darstellen, mögen Menschen von heute etwas gewöhnungsbedürftig erscheinen - genauso übrigens wie die Idee, dass man (in "Breakout") mit einem richtig geschossenen Ball die Mauern eines Gefängnisses niederreißen kann. Gerade bei "Breakout" kann man den etwas absurden Plot freilich auch einfach vergessen und das Geschicklichkeitsspiel als abstrakte Kunst "in Motion" betrachten.
Zehn dieser mehr oder weniger klassische Spiele für die VCS-Konsole sind nun wieder veröffentlicht worden - nicht auf CD-Rom für den PC oder für ein neueres Geräte wie die Playstation, sondern als Hardware. Die neue Konsole "TV Games Stick" sieht aus wie ein vergrößerter VCS-Steuerknüppel, wird mit Batterien betrieben und muss nur noch an den Fernseher gestöpselt werden. Die Spiele, die früher auf Cardridge abgespeichert waren, werden nun direkt aus dem Gerät gestartet. Das ist narrensicher und auch von denjenigen zu benutzen, die mit den gängigen Emulatoren wie MAME (für Arkade-Spiele) oder Stella (für den VCS) so ihre Schwierigkeiten haben. Den immer zahlreicher werdenden Sammlern alter Games bleibt so langwieriges Mitbieten bei Ebay erspart, und es gibt sogar eine aufwendig gestaltete Plastikverpackung, die man mit fast so viel Genuss aufreißen kann wie einst die Verschweißung der Originalgames.
Nach einem ersten Vergleich scheint der "TV Games Stick" weitgehend originalgetreue Spiele zu zeigen, die direkt aus der Original-ROM herausgelesen worden sind. Da hat es doch auch mal einen positiven Effekt, dass diese uralten Spiele nicht zur letzten Ruhe finden können, weil sie durch Firmenverkäufe und Übernahmen von einem Publisher zu nächsten weiterwandern und immer mal wieder auf den Markt geworfen werden, um noch ein paar Taler zu verdienen.
Davon, dass Retro-Computing von einem Geek-Hobby langsam zum Mainstream-Phänomen wird, zeugt ja nicht zuletzt auch die Tatsache, dass auch andere alte Spiele für neue Maschinen wiederveröffentlicht werden (Play it again, Sam!). Weil bei dem "TV Games Stick" das gesammelte Umfeld - wie die zur "Lektüre" vieler Spiele unabdingbaren Anleitungsbücher und Verpackungen - fehlen, wirkt das Gerät allerdings ein wenig wie eine Art "Reader's Digest" für Gamer - was für den Fortgang der Story nicht relevant ist, wird einfach weggelassen.
Dass man nicht einfach versucht, alte Software für neue Maschinen zu emulieren, sondern eine eigene Architektur dafür entwickelt, ist eine neue Entwicklung, die auch an anderer Stelle zu beobachten ist. Eine Gruppe deutscher Nerds entwickelt zum Beispiel gerade die Informatik-Version der "80er Show": einen Computer, der alte Klassiker wie den Commodore 64 oder den Schneider CPC "wiedergeben" kann. Vielleicht wird Computersammeln ja doch noch mal so respektabel wie das Sammeln von Biedermeier-Geschirr.