Ein Intellektueller, der sich als Wissenschaftler verkleidet hat
Akademische Feierstunde zum 80. Geburtstag von Joseph Weizenbaum in Berlin
Er ist "ein Intellektueller, der sich als Wissenschaftler verkleidet hat, und das ist selten." So nannte der Informatikprofessor Wolfgang Coy den deutsch-amerikanischen Computerwissenschaftler Joseph Weizenbaum, dem die Humboldt-Universität in Berlin am Freitag zu seinem 80. Geburtstag eine akademische Feierstunde gewidmet hat. Selbst Bundestagspräsident Wolfgang Thierse war gekommen, um dabei sein, als dem bekannten Informatiker und Gesellschaftskritiker von Kollegen und Sympathisanten gratuliert wurde.
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Jörg Tauss gab sogar zu, dass er sich in Reden immer wieder gerne mit Zitaten aus Weizenbaums Büchern munitioniert habe und jeder Schulklasse, die ihn in Bonn besuchen kommt, einen Satz Weizenbaums mit auf den Weg gäbe: "Die Ohnmacht des Einzelnen ist eine Illusion die gefährlichste, die wir kennen."
Klaus Brunnstein von der Universität Hamburg wies auf die Bedeutung Weizenbaums für die Entwicklung einer kritischen Haltung unter deutschen Informatikern hin. Weizenbaum sei es zu verdanken, dass in vielen Informatik-Studiengängen Veranstaltungen zu "Informatik und Gesellschaft" inzwischen zum Pflichtprogramm gehören. Es sei ein "Reifezeugnis der Informatik", dass sie Denker wie Weizenbaum hervorgebracht habe; er habe sich "um das öffentliche Bild der Informatik verdient gemacht". Auch Frieder Nake von der Universität Bremen hob die Bedeutung des "schmalen, aber wirkungsreichen" Werks von Weizenbaum hervor, besonders seine Auseinandersetzung mit seinem ehemaligen MIT-Zimmernachbarn und KI-Prediger Marvin Minsky.
Joseph Weizenbaum entwickelte in den frühen 50er Jahren das Computerprogramm "Eliza", das in der Lage war, einen schriftlichen Dialog scheinbar mit inhaltlichem Verständnis zu führen und eine Sitzung beim Psychiater simulieren sollte. Tatsächlich wurden die Antworten nur nach einfachen Regeln und Schlüsselworten generiert. Die Reaktionen auf dieses Programm - angeblich soll sogar Weizenbaums Sekretärin mit dem Programm vertrauensvoll gechattet haben und sogar die Entwicklung einer kommerziellen Version für den Einsatz in der Psychotherapie wurde ernsthaft erwogen - führten zu einer intensiven Auseinandersetzung Weizenbaums mit ethischen Fragen des Computereinsatzes und der Technikentwicklung (siehe auch Joseph Weizenbaum: 30 Jahre Computerkritik).
Diese Fragen formulierte er in seinem 1976 erschienen Buch "Computer Power and Human Reason", das kurz danach auch in Deutschland veröffentlicht wurde und zu ihn zu einer Art Gewissen der Informatikerszene machte. Bis heute ist er ein regelmäßiger Interviewpartner und Talkshow-Gast. Zu den Ehren, die er für sein Lebenswerk erhalten hat, gehört das deutsche Bundesverdienstkreuz, der Ehrendoktortitel der Universitäten Hamburg und Bremen und eine Ehrenmitgliedschaft in der Gesellschaft für Informatik.
In Deutschland war sein Einfluss mindestens so nachhaltig zu spüren wie in den USA, und es mag damit zusammenhängen, dass er vor einigen Jahren wieder nach Berlin gezogen ist, wo er nun in einer kleinen Wohnung im historischen Nicolai-Viertel in Mitte lebt. Nicht weit vom Gendarmenmarkt, wo er seine Kindheit verbrachte, bevor er als Jude mit seinen Eltern 1936 nach der Machtergreifung der Nazis aus Deutschland in die USA emigrierte. Dort machte er seine akademische Karriere als Informatiker und unterrichtete unter anderem am MIT. Bis heute kann man unter seinem amerikanischen Akzent einen Berliner Tonfall heraushören, besonders, wenn er ein Wort ausspricht, das er besonders häufig benutzt: "Naja".
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