Haftbefehl gegen Putin stört russische Außenpolitik: Muss ihn Südafrika festnehmen?

Ein Bild, das heute nicht problemlos möglich wäre: Beim BRICS-Treffen 2018 war Putin (links) selbstverständlich dabei. Foto: Pressedienst des Präsidenten der Russischen Föderation / CC-BY-4.0

Die Wirkung des IStGH-Beschlusses gegen den Präsidenten ist nicht nur symbolisch. Er beeinflusst Moskaus Politik durchaus. Beispiel: Probleme beim BRICS-Gipfel.

Vom Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) gegen Russlands Staatschef Wladimir Putin hieß es oft, dieser habe eine rein symbolische Wirkung. Wäre das der Fall, wäre es logisch, dass sich die erste Reihe der russischen Politik vergleichsweise unbeeindruckt gibt, wie nach anderen "symbolischen" Verurteilung ihrer aktuellen Kriegspolitik.

Angemessen wären bestenfalls einige scharfe Kommentare aus der zweiten Reihe des russischen Establishments, etwa üblicher Scharfmacher wie Jewgeni Prigoschin oder Wjatscheslaw Wolodin.

Russlands Establishment schäumt

Nach dem Vorgang schäumte die Spitze der russischen Politik jedoch sichtbar. Ex-Premier Dmitri Medwedjew drohte gar mit einem Raketenangriff auf das Gerichtsgebäude in Den Haag, ein russisches Strafverfahren wurde gegen zuständigen Richter und Staatsanwalt beim Strafgerichtshof eröffnet.

In Russland gibt es bisher kein Gesetz, das explizit eine Invasion in Den Haag vorsieht, wie es 2002 in den USA für den Fall der Anklage von US-Bürgern verabschiedet wurde – ein verbaler Vorstoß in diese Richtung ist aber ohne die zumindest bewusste Duldung der russischen Staatsspitze undenkbar.

Dass Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hier noch den Eindruck von Gelassenheit erzeugen wollte, war angesichts dieser übrigen Reaktionen, von denen noch mehr aufzuführen wären, vergebens.

Neben Empörung und Überraschung über den Angriff auf die Symbolfigur der politischen Eliten Russlands sind mehrere fachkundige Beobachter überzeugt, dass die Ursache für all die Aufregung doch tatsächliche Auswirkungen des Haftbefehls auf die Außenpolitik Russlands sind. Der russische Analyst Alexander Baunow von Carnegie Endowment glaubt, dass der Haftbefehl es Russland erschweren wird, seine Strategie fortzusetzen, sich als Anführer des Teils der Weltgemeinschaft zu präsentieren, die der westlichen Hegemonie besonders kritisch entgegensteht.

Baunow rechnet mit weiteren Haftbefehlen gegen russische Politprominenz. Wie bei der Sanktionswelle seit 2014 glaubt er daran, dass es dabei sowohl Funktionäre geben wird, die versuchen, nicht auf die Fahndungsliste zu geraten, als auch solche, die einen Platz darauf regelrecht als Auszeichnung und Solidaritätsbekundung zum Staatschef ansehen.

Aktuell sei jedoch nur Putin selbst betroffen und man erinnere sich in Moskau daran, dass im befreundeten Serbien einstmals treue Apparatschiks des Systems Ex-Präsident Milosevic bereitwillig an den Internationalen Strafgerichtshof auslieferten, sobald er gestürzt war.

Auslandsreisen und wirksame Außenpolitik werden erschwert

Putin sei auch darauf angewiesen, seine Außenpolitik auf Gipfeltreffen und Konferenzen nichtwestlicher Länder zu präsentieren. Dort habe man 2023 geplant, Russland als "Kämpfer gegen den Westen" und "Verteidiger der Staaten Lateinamerikas und Afrikas" darzustellen glaubt auch Andrej Perzew, Politanalyst der exilrussischen Zeitung Meduza.

Die Strategie sei gewesen, Russland als radikalen Kämpfer gegen eine koloniale Unterdrückung und westliche Vorherrschaft zu etablieren. Gerade in Afrika und Lateinamerika sind jedoch fast alle Staaten Vertragspartner des Internationalen Strafgerichtshofs und werden damit zur No-Go-Area für von dort gesuchte Personen.

Alexander Baunow glaubt dabei nicht, dass Staaten mit guten Beziehungen zu Russland eine solche Verhaftung wirklich vornehmen würden. Aber schon eine sehr geringe Chance auf das Gegenteil würde Putin von entsprechenden Reisen abhalten. Baunow verweist hier auf die Nichtteilnahme Putins am G20-Gipfel in Indonesien aus Sicherheitsbedenken oder die neue Angewohnheit des Kreml-Chefs, statt Flugzeugen, nur noch einen Panzerzug für Reisen zu verwenden. Putins Sicherheitsbedürfnis auf Reisen ist äußerst groß.

Andrej Perzew berichtet unter Berufung auf Gesprächspartner im Kreml, dass sich das Präsidentenumfeld aktuell allgemein sorgt, wie es auf Auslandsreisen angesichts des Haftbefehls die Sicherheit des Staatsoberhaupts gewährleisten kann. Putin werde nach seinen Quellen nicht mehr in Länder reisen, wo auch nur die geringste Wahrscheinlich für eine tatsächliche Verhaftung bestünde.

Es erschwere aber auch die interne Propaganda der russischen Staatsmedien, dass Russland auf der Welt außerhalb des Westens mehr Freunde als Feinde habe, wenn das eigene Staatsoberhaupt aufgrund der Angst vor einer Verhaftung diese "Freunde" nicht mehr besuchen kann.

Was dabei für Putin gilt, gilt für Untergebene noch viel stärker, wenn gegen sie ebenso Haftbefehle ausgestellt werden. Denn bei einem rangniedrigeren Kreml-Beamten wäre der Skandal und das Risiko für einen Staat bei einer tatsächlichen Verhaftung wesentlich geringer als bei Putin selbst.

Dass Baunow und Perzew mit ihren Einschätzungen nicht falsch liegen, beweisen auch Konsultationen der südafrikanischen Regierung mit der in Moskau, von denen die Nachrichtenagentur Tass berichtet. Im August findet in Südafrika ein Gipfel der BRICS-Staaten statt, an dem ursprünglich auch Putin geplant hatte, teilzunehmen.

Nun steht diese Teilnahme sichtbar auf der Kippe, denn Südafrika ist Vertragsstaat des Internationalen Strafgerichtshofs und möchte erst rechtliche Grundlagen studieren, bevor es sein weiteres Vorgehen bekannt gibt, sagte die südafrikanische Außenministerin Grace Naledi Pandor laut dem Bericht der Tass.