Das Töten geht weiter, aber wer steckt dahinter?

Politische Morde in Athen

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"Was ist nur in Neo Irakleio los?" Solche und ähnliche Fragen kamen am Freitag in Athen kurz nach 19 Uhr über Twitter aber auch über Radio und TV. Die Polizei hatte kurzerhand die zentrale Irakleiou Avenue abgesperrt. Kurze Zeit später hieß es, es seien Schüsse gefallen, ein Mann sei tot. Aus dem einen wurden zwei. Nach und nach sickerte durch, dass der Mord direkt vor dem Bürogebäude der Goldenen Morgenröte an der Avenue Irakleiou 420 stattfand.

"Vielleicht, hoffentlich waren es Auftragskiller", mutmaßten die ersten Kommentatoren als auf der Internetpräsenz der Goldenen Morgenröte bereits von zwei erschossenen Mitgliedern der Partei die Rede war. Erst nach Mitternacht folgte der offizielle Polizeibericht.

Alle Fotos: Wassilis Aswestopoulos

In Griechenland geht die Angst um. Nur wenige Wochen, nachdem ein Mitglied der Goldenen Morgenröte bei Piräus den antifaschistischen Musiker Pavlos Fysas, aka Kilah Past, erstochen hat (Anhänger der rechten Chrysi Avgi ermordet antifaschistischen Hip Hopper), sorgt der neue Fall eines politischen Mordes für Sorgenfalten bei den Griechen. Zunächst versuchten die ersten Reportagen und Kommentare die Lage zu beruhigen. In offiziellen Stellungnahmen verurteilten sämtliche politische Parteien des Landes den Anschlag. Mitten im Gerangel um neue Sparmaßnahmen sah sich Premier Antonis Samaras genötigt, sofort einen Krisenstab einzuberufen.

Mittlerweile befindet sich das Land erneut in einer Medienhysterie. Nach der wochenlangen Hetzjagd auf jedes Detail zur Goldenen Morgenröte und deren Verbrechen, und zehn weiteren Tagen, in denen es um die Roma und verschwundene Kinder ging, ist nun wieder die Goldene Morgenröte im Programm. Die aktuelle Rolle der Partei ist die eines Opfers. "Heute sind wir leider alle in der Goldenen Morgenröte … und der Faschismus war seit jeher graurot", riet der Homosexuellenfunktionär und liberale Politiker Grigoris Vallianatos per Facebook seinen Fans. Er verteidigt sein auch gegen die Linke gerichtetes Statement als Stütze der Demokratie. Vallianatos war nicht der Einzige, dessen Äußerungen für emotionelle Reaktionen sorgte. Dabei ist die bisherige Faktenlage recht dünn, um daraus eindeutige Schlüsse zu ziehen.

Die Chronik des Anschlags

Gegen 19 Uhr parkte ein Motorrad direkt gegenüber den Büros der Goldenen Morgenröte. Die Irakleiou Avenue ist eine belebte Geschäftsstraße. Direkt neben den Büros der Partei befindet sich ein Supermarkt. Der Sozius des Motorradfahrers stieg ab, überquerte die Straße und eröffnete sofort das Feuer auf vier Personen, die vor dem Eingang des Gebäudes der Goldenen Morgenröte warteten. Kaltblütig trat er näher an seine bereits am Boden liegenden Opfer und schoss erneut aus unmittelbarer Nähe ein Magazin auf zwei junge Männer leer. Ein dritter hatte es trotz schwerer Verletzungen an die nächste Straßenecke geschafft. Die vierte Person konnte ohne Verletzungen flüchten.

Der Fahrer blieb die ganze Zeit mit etwas Abstand zum Tatort in Beobachtungsstellung. Auch er hatte, berichten Augenzeugen, eine Waffe, setzte diese jedoch nicht ein. Die beiden begaben sich zurück zu ihrer Maschine und flüchteten. Während dessen lief, wie erste Tatortvideos zeigen, der Verkehr auf der Avenue zunächst weiter, als wäre nichts geschehen. Die Täter konnten ungehindert flüchten. Sie bogen drei Nebenstraßen weiter ab und ließen in knapp zwei Kilometern Entfernung vom Tatort das am 28. Juni gestohlene Motorrad zurück.

Es stellte sich entgegen den ersten Zeugenaussagen heraus, dass es sich bei der Mordwaffe um eine 9-mm-Pistole der Firma Zastava handelt. Zunächst war von automatischen Sturmgewehren die Rede gewesen. Am Tatort wurden bislang zwölf Patronenhülsen gefunden. Ballistischen Untersuchungen zu Folge war die Waffe bislang noch nicht bei Verbrechen oder terroristischen Anschlägen in Erscheinung getreten. Es gilt als gesichert, dass lediglich mit einer Waffe geschossen wurde.

Die betreffenden Büros der im Visier der Strafverfolger stehenden Partei waren bislang jeden Montag und Freitag für den Publikumsverkehr geöffnet. An diesen Abenden fanden Veranstaltungen statt. Normalerweise patrouillierten an solchen Abenden Steifenwagen und Zivilfahnder vor den Parteibüros. Von Seiten der Goldenen Morgenröte gab es zahlreiche Klagen, dass Drohungen eingegangen seien. Die Partei bat die Polizei mehrmals um Schutz. Jedoch wurden der Goldenen Morgenröte außer der Parteienfinanzierung auch sämtliche staatlichen Schutzmaßnahmen entzogen. Der gesamte Tathergang wurde von den Überwachungskameras der Partei aufgezeichnet. Die entsprechenden Videos gingen an die Antiterrorpolizei. Bislang hat keine terroristische Organisation die Verantwortung für den Anschlag übernommen.

Die Emotionalisierung durch die Medien

Ebenso wie beim Fall Fysas wurden innerhalb weniger Stunden die Identitäten der Opfer bekannt. Aus sozialen Netzwerken gepflückte Fotos machten sofort die Runde. Die Opfer, Giorgos Fountoulis und Manos Kapelonis, bekamen ein Gesicht. Und genau damit beginnt traditionell in Griechenland die Hysterie. Es war nicht mehr von "einem Zweiundzwanzigjährigen und einem Sechsundzwanzigjährigen" die Rede. Die Medienkonsumenten erfuhren, dass Fountoulis eine Schwester mit Down-Syndrom hat, dass er als Physiotherapeut ausgebildet wurde und dass er bei der Goldenen Morgenröte "nur einen Kaffee trinken wollte", wie sein Vater noch am Abend der Tat in einem Fernsehinterview sagte.

Ins Fernsehen kam auch die Mutter des neunundzwanzigjährigen, schwer verletzten Alexandros Gerontas zu Wort. Die Griechen erfuhren, dass der junge Familienvater erst vor Kurzem einen achtundzwanzigjährigen Bruder verloren hatte. Fast stündlich sickerten ärztliche Bulletins über den Gesundheitszustand des jungen Mannes durch. "Die Kugel verfehlte das Herz nur knapp", sagten die Ärzte - während Kommentatoren philosophierten, dass durch die Druckwelle der Geschosse vielleicht doch noch ein Schaden am Herzen eingetreten sein könne.

Tatortvideos sorgten für Einschaltquoten. Die typische Aussage: "Ich kam gerade vorbei, weil ich nachsehen wollte, wo die Schüsse fielen", wird medial als "Augenzeugenbericht" vermarktet. "Der Vierte … wurde durch ein Wunder gerettet - er lief davon", spielt bei einigen Berichten die göttliche Vorsehung mit.

Was sagte das Opfer, bevor es operiert wurde? Darüber klärt die Zeitung Parapolitika auf. Ob solche Dialoge tatsächlich stattfanden, oder ob das Opfer, wie ein Fernsehsender berichtete, vom Krankenwagen aus seine Gattin anrief und während des Telefonats ohnmächtig wurde, sei dahingestellt. Tatsache ist, dass die Emotionalisierung bei den Menschen nur eines bewirkt: Die einen sinnen auf Rache, die anderen fürchten sich und wiederum andere verfallen in Zynismus.

In den so genannten sozialen Netzwerken gab es unter Linken und Anarchisten Grabenkämpfe, ob die Todesopfer zu bedauern seien. Über das Internet und die Medien verbreitete sich die Nachricht weltweit, was die griechischen Medien erneut für eine Meldung nutzten. Selbst bei einer von Ultrarechten gestörten Antifa-Demonstration in Aachen gab es die Präsenz der Goldenen Morgenröte. Anhänger der Partei machten am Samstag im Aachener Stadtzentrum auf die ihrer Meinung nach zu Unrecht verfolgte Partei aufmerksam.

Den Vogel schoss jedoch Chefkommentator Giannis Pretenteris vom Sender Mega TV ab. Noch unter dem frischen Eindruck des Attentats beklagte er am Freitag in den 20-Uhr-Nachrichten: "Die Jäger (gemeint hat er die Täter) schlugen um zehn vor Sieben zu, da hätte doch auch ein Mensch sterben kommen können" - sprach's und war sich nicht bewusst, was er mit seinem Fauxpas auslöste.

Es ist klar, dass Pretenteris den Tod Unbeteiligter meinte. Ultrarechte Blogs nehmen seine Worte jedoch zum Anlass, eine Verschwörungstheorie zu spinnen. Schließlich haben die griechischen Medien in den vergangenen Wochen vermehrt über die Machenschaften der Partei berichtet.

Politische Reaktionen

Der Sprecher der Goldenen Morgenröte, Ilias Kasidiaris, schlug in die gleiche Kerbe. In der Nachrichtensendung des Senders Star TV beschuldigte er die Journalisten im Allgemeinen, dass sie an den Morden mit Schuld seien. Er gab jedoch auch die neue Parteilinie vor. "Geistige Urheber des Attentats sind Premierminister Antonis Samaras und Bürgerschutzminister Dendias", meinte er und verlangt seitdem in jeder Stellungnahme zum Fall, "die sofortige Bestrafung der physischen Täten und der geistigen Anstifter".

In die gleiche Kerbe schlug die Stellungnahme des in Haft befindlichen Parteichefs Nikos Michaloliakos. Aus den Reihen der Parteispitze hetzte lediglich der Parlamentarier Ilias Panagiotaros gegen linke Parteien und Anarchisten. Panagiotaros behauptet, dass der Todesschütze entsprechende Parolen gerufen habe.

Die Partei hatte am Samstag eine weitere Gelegenheit, noch einmal auf den Bürgerschutzminister zu schimpfen. Denn sämtliche Abgeordnete und Funktionäre der Goldenen Morgenröte mussten in diesen Tagen ihre Waffenscheine samt Waffen zurückgeben. Die Gattin des Parteichefs, Eleni Zaroulia, nutzte dies, um erneut Dendias als Drahtzieher anzuklagen. Zaroulia zählte sämtliche Begleitumstände der Tat auf und meinte, dass die Verkettung kein Zufall sei. In weiteren Stellungnahmen zum Verlust ihrer Waffenscheins sagte sie: "Ich warte nun auf die Henker des Herrn Dendias." Der Abgeordnete Panagiotis Iliopoulos, der gemeinsam mit Zaroulia seine Waffe abgab, meinte, er habe nun Angst um sein Leben und das seiner Familie.

In Blogs, die der nationalen Szene nahestehen, werden Fotos von den Gedenkfeierlichkeiten für die Todesopfer gezeigt. Die Irakleiou Avenue wurde kurzerhand umbenannt. Straßenschilder zeigen nun die Namen der Todesopfer.

Die meisten Spitzenpolitiker von PASOK, DIMAR, SYRIZA und den Kommunisten mahnen zur Vernunft. Sie fürchten eine Destabilisierung des Landes. Die Regierung selbst hat sich die Verfolgung der Täter auf die Fahnen geschrieben, während in linksgerichteten Medien Spekulationen gehegt werden, dass regierungsnahe Kreise eventuell eine Provokation versucht hätten.

In eine ähnliche Richtung gehen die Überlegungen des Vorsitzenden der Unabhängigen Griechen, Panos Kammenos. Außer der üblichen Befürchtung, dass nun bürgerkriegsähnliche Zustände drohen könnten, analysiert Kammenos die übrigen Ereignisse des denkwürdigen Freitags und der vergangenen Woche.

In der Fraktion der Nea Dimokratia brodelt der Widerstand, weil Dutzende Abgeordnete sich einer neuen Immobiliensteuer, die selbst die mögliche Bebauung eines Grundstücks besteuert, widersetzen. Der ehemalige Parteisekretär der PASOK, Michalis Karchimakis, muss sich des ungeheuren Vorwurfs erwehren, dass er als Oppositionspolitiker die Geheimdienste zum Abhören des damaligen Premiers Karamanlis genutzt habe. Karchimakis erhielt eine staatsanwaltschaftliche Vorladung, was den Regierungspartner der Nea Dimokratia, die PASOK nicht sonderlich freuen dürfte.

Zudem posaunte der ehemalige Vizepremier der PASOK, Thodoros Pangalos, in alle Welt hinaus, dass der griechische Geheimdienst die Amerikaner im In- und Ausland systematisch ausgehorcht habe. Als Außenminister habe er jeden Vormittag entsprechende Dossiers erhalten und gelesen. Pangalos möchte mit diesem Schritt die NSA-Abhöraffäre relativieren. Er schaffte es jedoch, lediglich Griechenland erneut zwischen alle Stühle zu manövrieren. Die EU ist sauer, weil die USA nun mit Recht sagen können, dass Spionage auch von der anderen Seite des Atlantiks durchgeführt wird. Die USA wiederum goutieren nicht, dass ausgerechnet Griechenland es schaffte, die amerikanischen Schlapphüte zu überlisten. All dies, meint Kammenos, würde durch die Mordanschläge elegant aus den Schlagzeilen gebracht.

Große Racheaktionen ultrarechter Schlägertrupps blieben bislang jedenfalls aus. Es kam lediglich zu Sachbeschädigungen an Treffpunkten der Linken.

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