Genfer Verhandlungen: nuklearer Rückzug? Lenkt der Iran ein?

Neue Kräfteverhältnisse und Konstellationen im Nahen Osten bilden den Hintergrund für die Zugeständnisse der Regierung Ahmadinedschad an den Westen

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Am vergangenen Donnerstag traf sich Irans Chefunterhändler für Nuklearangelegenheiten, Saeed Dschalili mit den Vertretern der fünf UN-Vetomächten USA, Großbritannien, Frankreich, Russland, China sowie Deutschland (5+1-Staaten). Ein Tag zuvor besuchte Irans Außenminister Manutchehr Motaki überraschend Washington, der erste Besuch eines iranischen Diplomaten in der US-Hauptstadt seit 30 Jahren. Irans diplomatische Offensive nach der Verkündung der bisher geheim gehaltenen neuen Atomanlagen in Qom sowie einem umfassenden Raketentest kurz danach ist das Spiegelbild des atomaren Kurses Teherans. Irans Nukleardiplomatie unter der Regierung Ahmadinedschad zeichnet sich durch Unbeständigkeit, Unzuverlässigkeit und Unberechenbarkeit aus.

Mal Zugeständnisse, mal Drohungen, zuweilen Versöhnungstöne, es handelt sich um eine Diplomatie, die insbesondere dann als eminent bedrohlich erscheint, wenn man sich die Zusammensetzung des Teheraner Regimes vor Augen führt.

Vermeintliche externe Konzessionen im Zeichen der inneren Krise

In Genf soll Dschalili, der zugleich Generalsekretär des Obersten Sicherheitsrates des Iran ist, sich auf folgende Eckpunkte mit seinen Verhandlungspartnern geeinigt haben:

  1. Der Iran verpflichtet sich, keine hochprozentige Urananreicherung zu betreiben. Er wird Uran bis zu 3,5 und maximal 5% im eigenen Land anreichern, in Russland wird es bis zu 19,5 % angereichert und die Produktion von Brennstäben wird sodann in Frankreich vollendet, die anschließend in den iranischen Reaktoren verwendet werden. Auch Frankreich wird somit vom iranische Atomprogramm reichlich profitieren und das jenseits des sicherheitspolitischen Aspekts. Hochangereichgertes Uran kann zur Produktion von Atomwaffen dienen. Die Urananreicherung außerhalb des Landes wurde bereits vor vier Jahren von Russland vorgeschlagen, was die iranische Führung abgelehnt hatte.
  2. Innerhalb der nächsten zwei Wochen muss der Iran alle Vorkehrungen treffen, damit die IAEA-Inspektoren völlig ungehindert die neue Nuklearanlage in Qom inspizieren können. Beim Besuch ElBaradeis in Teheran am Sonntag wurde der 25.Oktober als Datum vereinbart, an dem die Inspektoren Zugang zur Anlage in Qom haben sollten. Zudem sollen Gespräche über eine zeitweilige Auslagerung der Urananreicherung geführt werden.
  3. Am 18. Oktober wird ein Experten-Meeting in Wien unter Führung von IAEA stattfinden, das über die Details berät. Das Meeting ist die Basis für eine Sitzung mit dem iranischen Vertreter, die Ende Oktober stattfindet. Dort muss der Iran ganze Arbeit hinsichtlich der Transparenz seines Atomprogramms leisten und die Experten überzeugen, keine Atomwaffenproduktion anzustreben.

Erst nach diesen Phasen wird entschieden, ob gegen den Iran verschärfte Sanktionen verhängt werden oder nicht, bzw., ob Irans Nuklearakte vom UN-Sicherheitsrat zur IAEA zurückgegeben wird. Bereits im September hatte Präsident Ahmadinedschad die Schließung der Nuklearakte Irans bekanntgegeben und klar gestellt, es werde keinen Dialog mehr über das Atomprogramm geben.

Nun macht Dschalili die weitgehendste Konzession in der Ära Ahmadinedschads. Die Zick-zack-Diplomatie lässt bei manch westlichen Diplomaten Zweifel an der iranischen Glaubwürdigkeit aufkommen (siehe Iran: Spiel auf Zeit). Es stellt sich nun die Frage, wie der neue Kurs Ahmadinedschads zu bewerten ist und warum er erst zu Beginn der zweiten Amtszeit umschwenkt.

Sicherlich haben zwei Faktoren maßgeblich für den vermeintlich neuen Kurs der iranischen Außenpolitik bzw. Nuklearpolitik gesorgt, die Ereignisse infolge der Präsidentschaftswahlen vom 12. Juni und die neuen Kräfteverhältnisse und Konstellationen im Nahen Osten. Erstere erschütterte das bis dato sicher geglaubte Fundament des Regimes der Velayat-e Faqih (Herrschaft des Rechtsgelehrten), und letztere schwächt Irans Position in der Region. Diese beiden Faktoren zusammen schwächen eklatant die Verhandlungsposition der Ahmadinedschads Regierung mit der Außenwelt.

Gestohlene Wahlen und die verlorengegangene Legitimität

Die großen Demonstrationen mit hunderttausend Demonstranten am „Al-Qodstag"“(28. September) haben dem Regime um Religionsführer Ayatollah Seyyed Ali Khamenei und Ahmadinedschad einmal mehr klar gemacht, dass der Putsch gegen das Volksvotum noch nicht gesiegt hat (siehe Iran: Wie geht es weiter?). Mit dem Beginn der Universitätssemester spüren Ahmadinedschad und seine Regierungsvertreter und Minister den Zorn der Studenten.

Selbst große Fußballspiele, wie das Derby zwischen zwei der größten und beliebtesten Fußballclubs mit ca. 70.000, meist „grünen“ Zuschauern am vergangenen Freitag, werden zu höchsten Sicherheitszonen. In einem historisch ungewöhnlichen Akt hat die Justiz zwei Richterstationen im Azadi (Freiheits-)Stadion postiert, die den auffälligen grünen Zuschauern sofort im Stadion den Prozess machen. Die Angst vor einem Volksaufstand ist in den Gesichtern der Machthaber mehr als ersichtlich. Die Oppositionsführer Mousavi und Karubi machen keinen Anschein einzulenken und sie haben, wenngleich eine schmale, aber prominente klerikale Geistlichkeit hinter sich. „Die Grüne Welle“ ist zwar unter erdrückendem Druck, sie ist jedoch nicht geschlagen.

Vor diesem Hintergrund kann man von einem illegitimen Regime im Iran sprechen. Das Regime selbst versucht zuweilen durch die Versetzungsstrategie einiger Schlüsselpersonen bei der Niederschlagung gewisse Ablenkungsmanöver zu unternehmen. In diesem Rahmen sind die Entlassung des berüchtigten Teheraner Richters, Saeed Mortazawi, im vergangenen Monat und die Absetzung des Vize-Kommandeurs der Revolutionswächter (Sepah-e Pasdaran) und des Oberbefehlshabers der Basidsch-Miliz Hossein Taeb einzuordnen. Mortazawi wurde Vize des obersten Generalstaatsanwalts und Taeb soll einen Vizeposten im Informationsministerium erhalten. Beiden werden schwere Vorwürfe und Misshandlungen der Verhafteten während der Protestaktionen nach den Wahlen vorgeworfen.

Solche Versetzungen sind traditionell die Art der Bestrafung der „Staatsdiener“ in der Islamischen Republik. Inzwischen hat die prominente iranische Menschenrechtsaktivistin, Schadi Sadr, die nach den Wahlen verschleppt worden war und erst Ende Juli wieder freikam, von „systematischen Vergewaltigungen“ in den iranischen Gefängnissen während der 30 Jahren Islamischer Republik gesprochen. Sadr erhielt Ende vergangenen Monates zusammen mit zwei anderen iranischen Menschenrechtsaktivistinnen den polnischen "Lech Valesa Preis".

Veränderte Landkarte im Nahen Osten

Auf der globalen Ebene ist eine gewisse Entspannung hinsichtlich der Weltwirtschaftskrise wenngleich auch nur allmählich zu verzeichnen. Die Krise hatte die Welt und besonders die Weltmächte lange in Atem gehalten. Iran und seine, bedingt durch immenses Missmanagement und wütende Korruption, chronisch kranke Ökonomie spürt diese Entspannung nicht. Das wirkt sich auf die Verhandlungsstärke des Gottesstaates aus, dem die härtesten Sanktionen drohen, wenn er nicht kooperiert.

Das Weiße Haus bemüht sich um eine Annährung an die russische Position. In diesem Kontext ließ Obama das Raketenabwehr-Programm in Osteuropa ad acta legen. Der russische Präsident Dmitri Medwedew reagierte darauf prompt und warnte den Iran, die Verhandlungen ernst zu nehmen. Auf der regionalen Ebene wird die Region ruhiger um die Islamisten. Der Irak tendiert, trotz ständiger Rückschläge, zur Ruhe und Ordnung. Die USA schmieden enge Beziehungen zu Syrien, Irans wichtigstem strategischen Partner in der Region. Im Libanon hat die Hisbollah die Parlamentswahlen vom Juni verloren. Oben am Kaspischen Meer verhandeln die Anreinerstaaten, ohne den großen Nachbarn Iran einzuladen.

Vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion hatten beide Nachbarn, Iran und Sowjetunion, jeweils 50 % Rechte an Schifffahrt, Fischerei und Ausbeutung der reichlich vorhandenen Rohstoffe. Nun droht ein Anteil von vielleicht weniger als 10%. Die Ignorierung Irans und die Nicht-Einladung zur Sitzung Anfang September war gewiss eine Folge der deutlichen Unruhen und der damit im Zusammenhang stehenden fraglichen Legitimität des Teheraner Regimes, die die vier Anrainerstaaten gewieft ausnutzten.

Wie ist es mit der Berechenbarkeit und Glaubwürdigkeit bestellt?

Vor diesem deprimierenden Hintergrund musste Saeed Dschalili in Genf vor sechs selbstbewussten Verhandlungsfüchsen sitzen. Dschalili musste nachgeben. Im Inland wird entsprechend der Natur von Ahmadinedschad weiterhin auf die Trommel der Unnachgiebigkeit gehauen. Dschalili sagte auf dem Teheraner Flughafen nach der Rückkehr, dass das iranische Urananreicherungsprogramm keineswegs Thema der Verhandlungen gewesen sei! In einem religiös legitimierten Polizeistaat traut sich nicht einmal der Generalsekretär des Obersten Nationalen Sicherheitsrates die Wahrheit zu sagen. Dabei sind Dschalilis Worte in einem offiziellen Interview auf Persisch festgehalten und übersetzt worden.

Wenn der ranghöchste Verhandlungsführer des Staates am selben Tag seine eigenen audio-visuell dokumentierten Worte von Stunden zuvor dementiert, wie ist es dann mit der Berechenbarkeit und Glaubwürdigkeit bestellt? Betrügen Dschalili und andere das eigene Volk? Betrug, willkürliche Verhaftungen, Folter, Mord, das alles ist erlaubt, wenn es zur Aufrechterhaltung des Regimes der Velayat-e Faqih dient. Das Regime könnte aber auch die internationale Gemeinschaft betrügen und hinter das Licht führen.

Mit dem Bau der neuen iranischen Atomanlage in Qom ist erst 2005/6 begonnen worden, kurz nach dem Amtsantritt von Präsident Ahmadinedschad. Es handelt sich um eine unterirdische Anlage, die auf einem Stützpunkt der Sepah in Qom steht. Anfang September haben Experten der IAEA in einer vertraulichen Analyse konzediert, dass der Iran das Know-how und die Daten für die Produktion von Atomwaffen besitzt.

In diesem Bericht wird die führende Rolle des iranischen Verteidigungsministerium beim Atomprogramm insbesondere für die Entwicklung von atomaren Sprengladungen für Raketen enthüllt. Ein Programm, das friedlich sein soll und in dem dennoch die höchste Militärinstanz des Landes die entscheidende Rolle spielt. Irans neuer Verteidigungsminister, Sepah-Brigadegeneral Ahmad Vahidi, steht als Verantwortlicher für Attentate im Ausland auf den Fahndungslisten von Interpol. Die vertrauliche Analyse wurde von Experten der IAEA erstellt und nicht von der CIA oder dem BND.

Der Bau der Nuklearanlage in Qom unmittelbar nach dem Amtsantritt markiert die Prioritäten von Ahmadinedschads Regierung. Weiß man von evtl. weiteren Anlagen oder Basen? Dreißig Jahre lang hat das Regime, bis auf die Amtszeit des Reformpräsidenten Khatami, für Unruhe und Spannung in der Region gesorgt. Von Somalia bis zum Jemen und Afghanistan, überallhin hat der Iran seine langen Arme ausgestreckt. Seit Ahmadinedschads Präsidentschaft könnte dieser Arm atomar werden. Mir-Hossein Mousavi hat zu Recht in einem seiner Communiques das Volk vor einer Regierung gewarnt, die nicht nur sich selbst, sondern auch das alte Kulturland mit zerstört.