Von Jamaika zu Sandino?

Die Spekulationen über eine neue Parteienkonstellation gehen weiter

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Knapp eine Woche nach dem für Deutschland ungewöhnlichen Wahlausgang hat man fast alle möglichen Phantasiekoalitionen öffentlich durchgespielt. Eben musste der erstaunte Zeitungsleser noch die neuen Begrifflichkeiten der Schwampel oder etwas utopiehaltiger der Jamaika-Koalition lernen, so kann er diese neuen Wörter auch schon wieder vergessen. Die klassische Ampel fiel wegen der erstaunlich festen FDP-Absage ganz aus. Für eine große Koalition wird man es tunlich vermeiden, nach irgendwelchen griffigen Begrifflichkeiten zu suchen, sonst kommt jemand auf die Idee von der Chaos-Koalition zu reden. Schließlich gehört die schwarz-rote Fahne gemeinhin den Anarchosyndikalisten, die auch gerne fälschlicherweise in die Chaotenecke gestellt werden. Wer es exotisch mag, könnte gar vor der Sandinista-Koalition sprechen. Manche Freunde des sandinistischen Nicaraguas werden es noch wissen, dass auch diese linkschristliche Bewegung eine schwarz-rote Flagge zur Parteifahne erkoren hatte.

Die Flagge der Sandinisten 1998: Es würde Gleichgewicht herrschen, allerdings bleibt die Frage, wer unten und wer oben ist

Das schnelle Ende aller Spekulationen über eine um die Grünen ergänzte schwarz-gelbe Regierung scheint auf den ersten Blick einleuchtend. Zu groß seien die Unterschiede zwischen den Unionsparteien und den Grünen, hieß es schnell. Doch die sind in Wirklichkeit in erster Linie in differenten Lebensstilen zu suchen. Der Durchschnittsgrüne hört andere Musik und geht zu anderen Partys als der klassische Unionswähler. Jenseits dieser Geschmacksfragen gibt es aber gerade in wirtschaftlichen Fragen längst mehr Gemeinsamkeiten zwischen grünen Haushaltspolitikern und der Union als mit Gewerkschaftsfunktionären. Schließlich handelt es sich bei den Grünen, wie ein Taz-Redakteur treffend bemerkte, um Bürgerkinder, die aber noch nicht heimkehren wollen.

Wie in der Weimarer Blick bleibt das liberale Lager so vorerst in zwei Parteien gespalten, in die wirtschaftsliberale FDP und die linksliberalen Grünen. Allerdings war die kurze Jamaika-Debatte durchaus nicht folgenlos. Schließlich gingen Grüne und CDU/CSU nach ihren kurzen Schnuppergesprächen mit der erklärten Absicht auseinander, es erst einmal auf Länderebene miteinander zu versuchen. Thüringen oder Baden-Württemberg könnten hier das Pilotprojekt einer schwarz-grünen Zusammenarbeit sein. Sie wird dann aber nicht mehr mit Rasta und Dope, sondern mit Mittelstandsförderung und der Reform der Sozialsysteme verbunden werden. Der Abgang Fischers als Führungsfigur der Grünen macht den Weg in diese Richtung frei. Denn der Noch-Außenminister stand wie kein zweiter für das rot-grüne Projekt, während in der zweiten Reihe schon längst von der Suche nach neuen Optionen die Rede war.

Mit der Jamaika-Koalition lässt sich offenbar kein Staat machen, ebenso wenig mit den Farben der deutschen Nationalflagge: Schwarz-Rot-Gold(Gelb)

Für die SPD sind das keine guten Nachrichten. Schließlich geht ihr eine machtpolitische Option verloren, wenn die Grünen nicht mehr automatisch an ihrer Seite stehen. Überhaupt war die politische Nachwahl-Woche für die SPD längst nicht so erfolgreich, wie ein selbstbewusst auftretender Bundeskanzler Schröder und sein Generalsekretär Müntefering vermuten ließen. Schröders Auftritt in der Elefantenrunde am Wahlabend war noch von einem Teil der Zuschauer begrüßt oder zumindest psychologisch erklärt worden. Doch als die SPD auch noch Tage nach der Wahl unbeirrt am Anspruch festhielt, den Kanzler stellen zu wollen, machte sich Unmut breit. Vom Realitätsverlust Schröders war die Rede und vom Versuch, sich eine Niederlage schön zu reden.

Nun scheint alles auf eine große Koalition hinauszulaufen. Führende Industriekreise drängen ebenso darauf wie Umfragemehrheiten in der Bevölkerung. Inhaltlich gäbe es auch genügend gemeinsame Projekte, auf die man sich wohl schnell einigen kann. Schließlich wurde beim Jobgipfel und bei der Föderalismusdebatte sowie bei mehreren Abstimmungen im innenpolitischen Bereich in der letzten Legislaturperiode die große Koalition schon eingeübt. Auch über eine gemeinsame Steuerreformen ist schon in der Diskussion. Doch vorerst streitet man weiter um Personalien. Die Union will praktisch als Voraussetzung zum Einstieg in Koalitionsgespräche eine Festlegung auf Merkel als Kanzlerin einer großen Koalition durchsetzen. In SPD-Kreisen wurde das umgehend als unannehmbares Ultimatum zurück gewiesen.

Auffallend ist, dass gerade Unions-Ministerpräsidenten wie der Niedersachse Christian Wulff und der Hesse Roland Koch zu den entschiedensten Propagandisten einer sofortigen Festlegung auf Merkel zu gehören scheinen. Dahinter könnten auch unionsinterne Machtspiele stehen. Denn mit dieser Maximalposition wird Merkels Spielraum eingeschränkt. Scheitern die Verhandlungen, könnte plötzlich einer ihrer parteiinternen Konkurrenten im Hintergrund „aus staatspolitischen Interesse“ die Rolle Merkels übernehmen. Schon wurden Spekulation über Stoiber in dieser Rolle gestreut und halbherzig dementiert. Damit wäre der Weg frei für den Rücktritt beider aktuellen Kandidaten. Merkel, die bei einer solchen Lösung die Verliererin wäre, wird alles dransetzen, um eine solche Lösung möglichst zu verhindern.

Die große Koalition dürfte sich auch Angola-Koalition nennen

Auch eine israelische Lösung, ein Kanzlerwechsel in der Mitte der Legislaturperiode, scheint nur auf den ersten Blick einfach und logisch. In Wirklichkeit setzt er einŽvertrauensvolles Verhältnis zwischen den beiden Partnern voraus. Schließlich gäbe es genügend Möglichkeiten, die Rotation im Amt dann zu hintertrieben, um eine Krise zu inszenieren und sich in Neuwahlen bestätigen zu lassen.

So hatten die Sozialdemokraten 2001 in Berlin die große Koalition verlassen, um nach Neuwahlen mit der PDS zu regieren. Die CDU hat sich davon bis heute nicht erholt. Auch die Bundespolitiker entdecken die Linkspartei zunehmend als Faktor im Pokerspiel mit der Union. Auffallend ist schon, dass nicht nur der frisch ins Parlament gewählte Ex-Juso-Chef Nils Annen, sondern auch ein gestandener Alt-Sozialdemokrat wie Erhard Eppler die Mehrheit "links von der CDU“ entdeckt hat, die im Parlament bestehe, aber eben leider vorerst nicht politisch umgesetzt werden könne. Von der Linkspartei kommen unterschiedliche Signale in dieser Hinsicht.

Eine Woche nach der Wahlist nur eins klar: Nach Jamaika geht die Reise nicht.