Machtkämpfe am rechten Rand

In Hamburg und anderswo wird bei den Rechten um den Fortbestand und die Identität der "nationalen Volksfront" gestritten

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Nach den Wahlerfolgen in Ostdeutschland rüsten sich die rechtsextremen Parteien für die Urnengänge im Westen der Republik. Im Mai dieses Jahres werden zunächst die Bremische Bürgerschaft und die Stadtverordnetenversammlung in Bremerhaven neu gewählt. Hier hat die Deutsche Volksunion Mandate zu verteidigen, die vom Bündnispartner NPD 2008 in Hamburg, Hessen, Niedersachsen oder Bayern erst noch gewonnen werden sollen.

In den einzelnen Landesverbänden sind die Rechten unterschiedlich gut organisiert. Insofern differieren auch ihre Chancen, die Fünf-Prozent-Hürde tatsächlich zu überspringen. Durch den gemeinsamen Beschluss von DVU und NPD, bei Wahlen nicht mehr gegeneinander anzutreten, und die ausgedehnte Zusammenarbeit mit den Freien Kameradschaften hat sich der Aktionsradius der selbsternannten Volksfront allerdings erheblich verbreitert. Rechtskonservative Parteien wie die Deutsche Soziale Union oder die Deutsche Partei wurden durch die Kooperation endgültig an den Rand der Bedeutungslosigkeit gedrängt, und auch die „Republikaner“ verlieren Mitglied um Mitglied an die aussichtsreichere Konkurrenz. Gerade hat Peter Walde, seines Zeichens Landesvorsitzender von Sachsen-Anhalt, den „Republikanern“ mit mehreren Parteifreunden den Rücken gekehrt und gut drei Monate vor der Kommunalwahl am 22. April bei der NPD angeheuert.

In Hamburg trat der gesamte Landesvorstand mit zahlreichen Parteimitgliedern schon im Januar 2005 zur NDP über, um ein Signal für die „Einheit der Patrioten“ zu geben. Aus den wahren Motiven der Parteiwechsler machte Initiator Thomas Nissen allerdings keinen Hehl: “Besser einen Stehplatz in einer guten Bewegung als ein Sitzplatz auf einem sinkenden Schiff.“ Dass sich ausgerechnet die Hamburger NPD in sicherem Fahrwasser bewegt, darf nach den jüngsten Ereignissen in der Hansestadt allerdings bezweifelt werden.

Streit um Posten und Strategien

Am 4. Januar trat hier der gesamte Parteivorstand um die Landesvorsitzende Anja Zysk zurück, nachdem es offenbar zu erheblichen Differenzen mit einer Gruppe um den erst kürzlich in die NPD eingetretenen Rechtsanwalt Jürgen Rieger gekommen war. Der 1946 geborene Strafverteidiger vertrat schon prominente Neonazis und Holocaustleugner wie Michael Kühnen, Christian Worch oder Horst Mahler, wurde selbst mehrfach rechtskräftig verurteilt und sorgte nicht nur als Organisator des berüchtigten Rudolf-Heß-Gedenkmarsches in Wunsiedel, sondern auch als Immobilienmakler der rechten Szene immer wieder für Aufsehen. Zuletzt wollte er als Bevollmächtigter der Wilhelm-Tietjen-Stiftung für Fertilisation Ltd. ein Hotel in Delmenhorst kaufen, um hier ein Schulungszentrum für Gesinnungsgenossen aufzubauen. Im Dezember sah sich die Stadt schließlich gezwungen, das Haus weit über dem Marktwert für drei Millionen Euro selbst zu erwerben.

Rieger gilt in Norddeutschland als wichtiges Bindeglied zwischen der neonazistischen Kameradschaftsszene und den parteipolitischen Ambitionen der Rechtsextremisten. Zu seinen Weggefährten zählt unter anderem Thomas „Steiner“ Wulff, Zentralfigur der Neonazi-Szene und mittlerweile ebenfalls Mitglied der NPD, der nach seinen gescheiterten Bemühungen um ein Mandat in Mecklenburg-Vorpommern nun in Hamburg einen neuen Anlauf nehmen will.

Rieger und Wulff treten seit vielen Jahren gemeinsam in Erscheinung, so auch beim Bundestagswahlkampf 2005, als der Anwalt – seinerzeit noch ohne Parteiausweis – bereits zum Spitzenkandidaten ernannt worden war. Die NPD erreichte zwar nur 1,0 Prozent der abgegebenen Stimmen, erzielte in der Hansestadt aber immerhin ihr bestes Ergebnis seit 1972 und konnte eine Wahlkampfkostenerstattung beanspruchen.

Nach Informationen einschlägig bekannter Internet-Foren nahm Wulff am 4. Januar unaufgefordert an der Landesvorstandssitzung der Hamburger NPD teil, um die Spitzenkandidatur von Jürgen Rieger bei der Bürgerschaftswahl 2008 vorzubereiten. Außerdem gab es Streit um eine von Anja Zysk geplante Kampagne gegen einen Moschee-Bau in Hamburg-Bergedorf, die bei manchen Kontrahenten auf wenig Gegenliebe stieß, weil Islamisten mit Blick auf spätere Zweckbündnisse nicht verprellt werden sollten.

Rückendeckung bekam Wulff angeblich von Landesvorstandsmitglied Thorsten de Vries, der vor wenigen Wochen erst an einer Kampagne gegen den Kreisvorsitzenden der NPD in Hamburg-Harburg, Martin Dembowsky, beteiligt gewesen sein soll. Im Dezember hatte das „Aktionsbüro Norddeutschland“ behauptet, Dembowsky sei in der kabbalistisch inspirierten Freimaurersekte „Thelema Society“ aktiv und so auf Umwegen mit dem „historisch berüchtigten Illuminaten-Orden“ verbunden. Dembowsky habe also „mit dem Feind paktiert“ und sei „entsprechend“ zu behandeln (Auch das noch!).

„Massive Drohungen und eine beispiellose Mobbingkampagne“

Dembowskys Parteifreundin Anja Zysk sah nun keine andere Möglichkeit, als mit dem gesamten Vorstand zurückzutreten und scheiterte anschließend bei dem Versuch, ihre Sicht der Dinge auf der Homepage des Landesverbandes zu veröffentlichen. „Unsere Internetseite wird derzeit überarbeitet und ist in Kürze wieder für Sie erreichbar“, lautete die offizielle Sprachregelung der Hamburger NPD, die mutmaßlich vom Internetbeauftragten Lars Niemann ausgegeben wurde. Die sonst so redefreudige Bundespartei schwieg sich ebenfalls aus.

Mittlerweile wurde eine neue Adresse frfeigeschaltet, unter der die Erklärung der früheren Vorsitzenden nun doch nachzulesen ist. Anja Zysk spricht hier von „massiven Drohungen und einer beispiellosen Mobbingkampagne“ und äußert überdies die Befürchtung, dass die Hamburger Nationaldemokraten „nicht mehr von den demokratisch gewählten Vorständen, sondern mehr und mehr von Kräften außerhalb des Landesverbandes gelenkt“ werden.

Das Störtebeker Netz, das zu den "rechtsextremen Top-Adressen im Internet" zählt, aber keine rückhaltlose Vorliebe für die NPD pflegt, nutzte die zwischenzeitliche Funkstille und veröffentlichte unbekümmert vermeintliche Dokumente zum Thema. Demnach hat Anja Zysk bereits Strafanzeige wegen Verstoßes gegen § 86 a StGB und obendrein noch wegen Bedrohung, Beleidigung, übler Nachrede und Verleumdung gegen Thorsten de Vries gestellt haben.

Ich war bis zum 4.1.2007 Landesvorsitzende des NPD Landesverbandes Hamburg. Thorsten de Vries, ein Landesvorstandsmitglied, schrieb mir und einem Tobias Thiessen nach einem Streit am 5.11.2006 eine E-Mail (Anlage 1), die er mit „Heil und Sieg Friese 88“ unterschrieb. In dieser E-Mail beleidigt er mich als „Mosaische Levantiner Hexe“ und äußerte den Wunsch, mich an die Wand stellen zu wollen, sollte er hierzu die Möglichkeit haben. Am 8.12.2006 folgte eine weitere als Rundschreiben verfaßte E-Mail an die Mitglieder des Landesverbandes Hamburg, die de Vries wiederum mit „Heil und Sieg Euer Friese 88“ unterschrieb (Anlage 2).

In einer E-Mail vom 27.10.2006 (Anlage 3), die meines Wissens ebenfalls als Rundmail kursierte, beleidigte de Vries mich als „anscheinend psychisch Kranke“, sowie als „tollwütiges Tier“ und drohte mir mit Schlägen, wenn ich „keine Frau wäre“. In einer weiteren E-Mail (Anlage 4) droht er mir, daß ich „zur Rechenschaft gezogen“ werden würde, was ich angesichts der Aggressivität von de Vries als physische Drohung auffasse. Diese E-Mails haben vermutlich auch andere Empfänger in Blindkopie zugestellt bekommen. Zudem behauptet de Vries wahrheitswidrig, daß ich den Rechtsanwalt Jürgen Rieger auf einer Landesvorstandssitzung als „Triebtäter“ und „Perversen“ bezeichnet hätte. Trotz einer Unterlassungsaufforderung meinerseits vom 27.10.2006 (Anlage 5) verbreitet de Vries diese Behauptung auch heute noch.

Anja Zysk (zitiert nach Störtebeker Netz)

Die in Frage stehenden, Thorsten de Vries zugeschriebenen Mails werden auf der betreffenden Seite gleich mitgeliefert. Sollte dies nun der übliche Umgangston in der Hamburger NPD sein oder werden, bekommt das örtliche Landesamt für Verfassungsschutz einiges zu tun und darf überdies darauf verweisen, eine solche Entwicklung schon im Dezember 2005, kurz nach der Wahl von Anja Zysk, vorausgesehen zu haben.

In der Hamburger NPD ist ein zunehmender Einfluss des neonazistischen Spektrums erkennbar. Dies zeigte sich u.a. an der massiven Unterstützung des Bundestagswahlkampfes durch die „Neonazi- und Skinheadszene in Bramfeld“. Für welchen Kurs die neue Landesvorsitzende steht und ob sie über die nötige Hausmacht verfügt, ihre Vorstellungen umzusetzen, kann derzeit nicht beurteilt werden. Zysk muss sich sowohl gegen die für einen aktionistischen Kurs stehenden Vorsitzenden der Kreisverbände Harburg und Wandsbek als auch gegen Vertreter der Freien Nationalisten positionieren und darf gleichzeitig traditionelle NPD–Mitglieder nicht verprellen. Es bleibt abzuwarten, ob sie die verschiedenen Interessen in der Partei bündeln kann oder ob es zu Richtungskämpfen kommt.

Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz

Diese Frage wäre nunmehr beantwortet. Offen bleibt, wie sich die parteiinternen Querelen auf die Wahlchancen der NPD auswirken. Sollte Rieger auf dem Parteitag am 18. Februar zum Spitzenkandidaten gekürt werden, kann er im rechtsextremen Spektrum zweifellos mit großem Rückhalt rechnen. Seine Nominierung würde allerdings manchen Gelegenheits- und Protestwähler abschrecken, der seine Entscheidung mit der Illusion rechtfertigen will, es handele sich bei der NPD längst um eine Partei wie jede andere.

Im benachbarten Niedersachsen stellt sich übrigens ein ähnliches Problem. Dort forderten 67 NPD-Mitglieder Mitte Dezember die Einberufung eines Sonderparteitags, um das weitere Vorgehen mit Blick auf die kommende Landtagswahl abzustimmen. Der aktuelle Landesvorsitzende Ulrich Eigenfeld wird von der Mehrheit der parteifreien Aktivisten abgelehnt, die nur den altgedienten Mitstreiter Adolf Dammann unterstützen wollen.

Nachteile eines Zweckbündnisses

Das vermeintliche Erfolgsrezept einer rechten Volksfront, das vor allem NPD und DVU einen ungeahnten Aufschwung bescherte, scheint sich immer mehr zum Bumerang zu entwickeln. Neid, Missgunst und Kompetenzstreitigkeiten können eben nicht per Dekret überwunden werden, überdies gibt es fundamentale Unterschiede in den persönlichen Ambitionen und politischen Zielsetzungen.

Unter den Damoklesschwertern der öffentlichen Meinung und eines immer wieder diskutierten neuen Verbotsantrags gegen die NPD sind die tonangebenden Funktionäre ohnehin gehalten, nachweisbare Kontakte zur gewaltbereiten Neonaziszene tunlichst zu vermeiden. Zwischen Januar und November 2006 registrierte die Polizei 11.254 Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund. Die Jahresbilanz könnte damit noch erschreckender ausfallen als 2005, als bereits ein Anstieg von 27 Prozent registriert worden war.

Den meisten Mandatsträgern, die vom „verhassten System“ mittlerweile gut bezahlt werden und ihre mit Springerstiefeln und Bomberjacken ausgerüsteten Bündnispartner ohnehin nur mit spitzen Fingern anfassen mochten, haben augenscheinlich nichts gegen eine gewisse Distanz einzuwenden. Die Freien Kameradschaften, autonomen Sozialisten und sonstigen Aktionsbündnisse sind in ihrem Konzept bestenfalls Handlager für gezielte Provokationen und vor allem braune Eventdekoration. Als ernstzunehmende Partner kommen die Aktivisten, die sich im Kampf um die Straße bewähren sollen, während die führenden Parteimitglieder um Köpfe und Parlamente streiten, kaum in Frage. Kein Wunder also, dass viele von ihnen die Hoffnung aufgegeben haben, über Personalwechsel und Parteireformen doch noch zum Ziel zu kommen. Einige „Nationale Sozialisten Deutschlands“ hatten übrigens schon vor der letzten Bundestagswahl via Internet zum ausnahmslosen Wahlboykott aufgerufen.

Der Parlamentarismus ist nicht nur die demokratische Kulisse für die Herrschaft des raffenden Kapitals, sondern auch der Todesengel unseres deutschen Volkes. (...) Wir sind nicht Anhängsel oder Nische, sondern wir sind eigenständig. Und wenn Herr Voigt (Udo Voigt, Parteivorsitzender der NPD, AdV) meinte, es gäbe eine nationale sozialistische Strömung in der NPD, so irrt er, kein Nationaler Sozialist würde seine Weltanschauung und seine Ideale auf Bundesparteitagen zur Abstimmung stellen, kein Nationaler Sozialist würde seinen Platz in einer der vielen Strömungen einer demokratischen Partei sehen. (...) NPD und DVU sind genauso BRD-Parteien wie CDU und SPD. Der Auftrag des Systems an die NPD ist, möglichst viele Unzufriedene und Systemgegner an das unsinnige Parlamentarische System zu binden und damit kalt zu stellen. Ohne uns.

„Nationale Sozialisten Deutschlands“

Auch in diesem Bereich scheint sich eine Entwicklung zu bestätigen, die für manche Beobachter bereits vor geraumer Zeit absehbar war. Im „Verfassungsschutzbericht 2005“ kommen die Autoren zu dem Ergebnis:

Das Verhältnis zwischen dem Neonazispektrum und der NPD ist ambivalent. Einerseits unterstützten „Freie Kräfte“ die NPD im Vorfeld der Bundes- und Landtagswahlen, indem sie Werbematerial verteilten, sich als Personenschutz für Infostände zur Verfügung stellten und der Partei als Mobilisierungspotenzial für deren Großveranstaltungen dienten. Darüber hinaus wurden Neonazis bundesweit in die Kandidatenlisten der NPD aufgenommen, teilweise sogar als Direktkandidaten für den Deutschen Bundestag.

Andererseits bestehen bei Neonazis zahlreiche Vorbehalte gegenüber der NPD. So hielten einige Neonazis der Partei vor, sie habe die Unterstützung der Neonazis nicht ausreichend gewürdigt. Darüber hinaus weckte das Bündnis mit der DVU im Rahmen der „Volksfront von Rechts“ - teils harsche - Kritik, da der DVU-Parteivorsitzende Dr. Frey u.a. aufgrund seines Geschäftsgebarens kaum Ansehen in der Neonazi-Szene genießt.

Verfassungsschutzbericht 2005

Die Vorgänge in Hamburg oder Niedersachsen sind folglich Teil einer Kraft- und Machtprobe, deren Ausgang über den Fortbestand der „nationalen Volksfront“ und das Abschneiden rechtsextremer Parteien bei den kommenden Kommunal- und Landtagswahlen entscheiden könnte. Für die demokratischen Parteien wird es umso mehr darauf ankommen, die rituellen Bekundungen von Entrüstung und Betroffenheit zu überwinden und stattdessen die politische, sprich: inhaltliche Auseinandersetzung zu suchen und ihren Wählern deutlich zu machen, welche sinnvollen Alternativen sie anzubieten haben.