Studiengebühren für Stipendien für Studiengebühren

Die etwas andere Art der Studienfinanzierung

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Mit dem Beginn des Wintersemesters stehen die in sieben Bundesländern erhobenen Studiengebühren wieder im Zentrum kritischer Auseinandersetzungen. Gleiches gilt für das deutsche Stipendiensystem, von dem derzeit weniger als zwei Prozent der rund zwei Millionen Nachwuchsakademiker profitieren. Die eigenwillige Logik der Bildungsreformer will aus zwei Negativbeispielen des deutschen Hochschulsystems nun ein positives Gesamtergebnis basteln. Mit den Gebühren sollen Stiftungen finanziert werden, die durch die Vergabe von Stipendien allzu eklatante Ungerechtigkeiten wieder ausgleichen. Das klingt nach einem Projekt von selbsternannten Vordenkern mit viel Tagesfreizeit. Doch das abenteuerliche Unterfangen hat durchaus System und ist allemal geeignet, langjährige Fehlentwicklungen weiter zu verschärfen.

Zum Start des Wintersemesters 2007/08 sind die Chancen, die einmal eingeführten Studiengebühren wieder zurückzunehmen, praktisch gleich null. Der Versuch eines Gebührenboykotts ist – abgesehen von einigen kleineren Hochschulen – flächendeckend gescheitert. Verfassungsklagen und allen anderen Initiativen, auf juristischem Wege Einfluss zu nehmen, werden allenfalls geringe Erfolgsaussichten eingeräumt, und der zweifellos intelligente Vorstoß, jenem pauschalen Einfordern von 500 Euro pro Semester durch eine präzise Bedarfsermittlung entgegenzuwirken und den Betrag so gegebenenfalls zu reduzieren, blieb weitgehend folgenlos - sieht man einmal von der renommierten Universität Münster ab, deren Studierende nach anhaltenden Protesten vorerst 275 Euro zahlen müssen.

Studiengebühren als Wahlkampfthema

Die umstrittene Campusmaut, die derzeit rund 70 Prozent aller Studierenden bezahlen müssen, wird trotzdem noch lange Zeit für Kontroversen sorgen. Die grünen Hochschulpolitiker aus Bund und Ländern haben Anfang der Woche deutlich gemacht, dass sie das Thema bis in die Wahlkämpfe der Jahre 2008 und 2009 tragen wollen. „Wir streben in allen Bundesländern parlamentarische Mehrheiten an“, lautet das Versprechen an Basis und Wähler – Mehrheiten, „mit denen wir Studiengebühren abschaffen oder verhindern können.“ Ob der potenziell sozialdemokratische Koalitionspartner da mitspielt oder einmal mehr kurzfristig die Prioritäten ändert, bleibt allerdings vorerst abzuwarten.

Für die Grünen steht auch vor dem Hintergrund der jüngsten OECD-Studie Bildung auf einen Blick fest, dass Studiengebühren die soziale Selektivität des deutschen Bildungssystems weiter verstärken, junge Menschen von der Aufnahme eines Hochschulstudiums abhalten und so im Endeffekt einerseits die Ausbildungsmisere, andererseits aber auch den Mangel an Akademikern und Fachkräften verschärfen.

Die Gebührenbefürworter in den unionsgeführten Bundesländern sehen das naturgemäß anders, konzedieren allerdings durchaus Schwierigkeiten bei der Umsetzung. Die „Notmaßnahmen“, die im grünen Aufruf aktuell gefordert werden, könnten demnach parteiübergreifend auf Zustimmung stoßen. Dazu gehören die strikte Verhinderung einer Zweckentfremdung von Studiengebühren zur Finanzierung von Heizkosten, Verwaltungsarbeiten oder Sanierungsvorhaben, die verbindliche Beteiligung der Studierenden an den entsprechenden Entscheidungsprozessen, klare Regelungen für Härte- und Ausnahmefälle sowie ein unabhängiges Monitoring.

Außerdem plädieren die Grünen für ein flächendeckendes Stipendiensystem, das besonders begabten und finanziell benachteiligten Studenten zugute kommt.

Den vollmundigen Versprechen, die Campus-Maut mit Stipendiensystemen „abzufedern“, müssen endlich Taten folgen. Derzeit erhalten weniger als zwei Prozent aller Studierenden ein Stipendium. Deutschland ist in dieser Frage ein hochschulpolitisches Entwicklungsland. Wo bleiben die Stipendien-Programme der Länder? Was macht der Bund? Wird die Wirtschaft wortbrüchig?

Aufruf der Grünen gegen Studiengebühren

Stipendien: Auslese für Fortgeschrittene

Die Realität ist wie so oft komplexer als die parteipolitische Auseinandersetzung. Denn auch wenn kaum jemand Politik und Wirtschaft gegen den Vorwurf in Schutz nehmen kann, das Versprechen sozialverträglicher Regelungen nie ernst gemeint und dann umso leichter gebrochen zu haben, leidet das deutsche Stipendiensystem nicht nur an fehlenden Quantitäten.

Die konkrete Vergabepraxis zeigt (Stipendienvergabe nach zweifelhaften Kriterien), dass die 13.858 Stipendien und 2.883 Promotionsbeihilfen, die von den elf großen Begabtenförderungswerken 2006 vergeben wurden, nur selten dem Zweck dienten, soziale und finanzielle Ungleichheiten auszutarieren und begabte Studenten, die in dieser Hinsicht benachteiligt waren, gezielt zu unterstützen. Der Anteil der Vollstipendien, von den vor allem Kinder aus Familien mit niedrigem Einkommen profitieren, lag bei etwa 25 Prozent, während die Teilstipendiaten und Büchergeldempfänger, die tendenziell aus Familien mit mittlerem und hohem Einkommen stammen, in den Genuss der restlichen drei Viertel kamen.

Beim mit Abstand größten Begabtenförderungswerk, der Studienstiftung des Deutschen Volkes, käme aber auch niemand auf den Gedanken, mit Hilfe der vergebenen Stipendien Studiengebühren abzufedern oder einen Beitrag zur Chancengerechtigkeit zu leisten. Ein solches Vorgehen widerspräche schlicht der Satzung.

Keine Rolle bei der Auswahl spielen politische Überzeugungen, Weltanschauung, Geschlecht, Religion sowie wirtschaftliche und soziale Aspekte.

Studienstiftung des deutschen Volkes

Gebühren für Stipendien

Die Fachhochschule Münster und die Universität Duisburg-Essen haben im Sommer dieses Jahres beschlossen, die Bereiche Studiengebühren und Stipendien, die bislang nicht recht zusammen kommen wollten, in einem Modellprojekt miteinander zu verbinden. Das Studienbeitrags- und Hochschulabgabengesetz des Landes Nordrhein-Westfalen erlaubt den einzelnen Hochschulen, einen Teil der eingenommenen Gebühren, die sich im Sommersemester 2007 auf insgesamt rund 100 Millionen Euro beliefen, zur Finanzierung von Stiftungen zu verwenden.

Die Zinserträge aus dem Stammkapital können ab 2008 in innovative Lehrmethoden wie etwa Online-Tutorien fließen oder in Form von Stipendien ausgezahlt werden. Diese sollen dann nicht nur für besondere Leistungen, sondern auch als „Stipendien für zu leistende Studienbeiträge“ gewährt werden. FH-Rektor Klaus Niederdrenk will so „der Sorge entgegenwirken, dass sich junge Leute aus bildungsferneren Schichten gegen ein Studium entscheiden“. Über die konkrete Vergabe befindet schließlich der Stiftungsvorstand, zu dem auch der Vorsitzende des lokalen AStA gehört. Der Anschein von Mitbestimmung bleibt damit gewahrt, doch bei einer Kuratoriumssitzung zeigte sich, dass die Zweckgemeinschaft auf tönernen Füßen steht und der AStA eben nur noch für einen Teil der Studierenden spricht.

In der Kuratoriumssitzung (…) wurden, leider von studentischen Stimmen aus dem Kuratorium Forderungen laut, dass Nicht-EU-AusländerInnen, Studierende aus bildungsfernen Milieus, spezielle Förderungen für Frauen und weitere wichtige soziale Aspekte nicht berücksichtigt werden sollten. Schließlich ramponierten diese Gruppierungen das Image der Stiftung und die “Elite” könnte sich auf dem Lebenslauf nicht damit schmücken, Stipendiat gewesen zu sein. Die Stiftung solle sich, nach Ansicht der Vortragenden, auf Prestigeprojekte und Elitenförderung beschränken. Diese unsozialen, elitären Gedanken gingen dem Anschein nach selbst dem Rektorat zu weit.

Bericht AStA der FH Münster, 20.09.2007

Die „studentischen Stimmen“ an der FH Münster sind kein Einzelfall. Der Ring Christlich-Demokratischer Studenten, der im übrigen die These vertritt, Studiengebühren würden die soziale Gerechtigkeit in der Bildungsfinanzierung erhöhen, gehört zu den engagiertesten Verfechtern eines Stipendiensystems, das vorrangig auf Elite- und Exzellenzförderung setzt.

Eliteförderung - dieses Schlagwort ist in der Vergangenheit immer wieder mit dem negativen Beigeschmack verbunden worden, zu einer sozial ungerechten Auslese zu führen. Wir sind jedoch überzeugt davon, dass leistungs- und begabungsgerechte Förderung nicht zu einem Weniger, sondern zu einem deutlichen Mehr an Gerechtigkeit führt. Leistung muss sich lohnen! Und junge Menschen sind bereit, Leistung zu zeigen.

RCDS

Schleichender Wandel der Studienfinanzierung

Der freie zusammenschluss von studentInnenschaften (fzs) befürchtet, die neue Praxis könne zahlreiche Nachahmer finden und zu einem „schleichenden Wandel der Studienfinanzierung“ führen, der einmal mehr den ohnehin schon Bessergestellten zugute kommt. In der jetzigen Form seien Stipendien gänzlich ungeeignet, Bildungs- und Chancengerechtigkeit herzustellen und die angestrebte Wissensgesellschaft auf eine breite soziale Basis zu stellen.

Frauen bekommen seltener Stipendien als Männer. Kinder aus Arbeiterfamilien bekommen seltener Stipendien als Akademikerkinder. Werden nun immer mehr Stipendienprogramme aufgelegt, wird sich auch die soziale Schieflage an den Hochschulen weiter verschlimmern.

Imke Buß, fzs-Vorstandsmitglied

Eine auf Daten des Studierendensurvey 1983-2004 basierende Studie bestätigt diese Befürchtung, der auch die oben genannte Aufteilung der Stipendien entspricht.

Mit höherer sozialer Herkunft steigt der Anteil Studierender, die ein Stipendium erhalten. (…) Mit Abstand liegen Studierende aus der Akademikerschaft vorn: 5,2% erhalten ein Stipendium der Förderungswerke.

AG Hochschulforschung der Universität Konstanz

Weichenstellungen

Der Rektor der FH Münster hat die Gründung einer Stiftung aus Studiengebühren durchgesetzt, doch eine andere Lösung wäre Klaus Niederdrenk offensichtlich lieber gewesen. Denn auch wenn es hier und da gelingen sollte, sozial benachteiligte Studierende zu fördern, übernimmt seine Hochschule „einen Teil der Verantwortung“, die nach der erklärten Meinung des Rektors „eigentlich der staatlichen Seite zufällt.“

Der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, der das Pilotprojekt mit entwickelt hat, erhofft sich von der zwielichtigen Operation nun auch noch eine weitreichende Signalwirkung. „Die Studienbeitragsstiftungen können das Tor aufstoßen zu einem neuen System der Hochschulfinanzierung“, meint Stifterverbands-Generalsekretär Andreas Schlüter, der darauf hofft, dass erfolgreiche Stiftungen mit der Zeit potente Stifter anziehen und die Studierenden nicht die einzigen Einzahler bleiben.

Die Hochschule der Zukunft wird sich aus einem Mix von staatlichen Zuwendungen, Forschungsdrittmitteln, Studienbeiträgen sowie Spenden und Stiftungserträgen finanzieren. Der Weg hin zu amerikanischen Verhältnissen ist weit, aber die Weichen für mehr Unabhängigkeit vom Staat stellen wir heute.

Andreas Schlüter

Eine größere Autonomie der Fachhochschulen und Universitäten gehört zweifellos zu den unabdingbaren Voraussetzungen einer erfolgreichen Bildungsreform. Doch wenn sich die Politik mit diesem Zugeständnis gleichzeitig aus der Verantwortung nimmt, dauerhaft dafür zu sorgen, dass junge Menschen unabhängig von Herkunft und sozialem Status Zugang zu sämtlichen Bildungsgütern und –einrichtungen haben, dürfte sich an der aktuellen Misere kaum etwas ändern.