Ein akzeptiertes Gewaltregime

Wenige Tage nach dem Präsidentschaftswechsel in Kolumbien sind neue Militärs an der Macht und Bürgerrechte eingeschränkt, Menschenrechtsaktivisten malen ein düsteres Bild

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Als der neue kolumbianische Präsident nur fünf Tage nach seinem Amtseid zu Beginn der Woche den Ausnahmezustand ausrief, fiel John Walters Kommentar knapp aus. "Im Krieg", sagte der Direktor der Nationalen Drogenkontrollbehörde der USA, "gibt es gewisse Entscheidungen, die nun einmal getroffen werden müssen." Und der Krieg nimmt in Kolumbien in rasantem Tempo zu.

Die Entscheidung begründete der ehemalige liberale Gouverneur der vom bewaffneten Konflikt zerrütteten Provinz Antioquia mit einer Serie von Sprengstoffanschlägen, die während seiner Amtseinführung am vergangenen Mittwoch die Hauptstadt Bogotá erschütterten. Dabei wurden in einem Armenviertel 21 Menschen getötet. Zu Beginn dieser Woche hatte der kolumbianische Inlandsgeheimdienst Berichte veröffentlicht, nach denen 100 Raketen auf die Hauptstadt abgefeuert werden sollten. Dies sei jedoch von Sicherheitskräften verhindert worden. In beiden Fällen wird die linke Guerilla der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) verantwortlich gemacht. Von der Gruppe ist bisher keine Erklärung eingegangen.

Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Anschläge nur ein Anlass waren, um militärisch massiver gegen die Guerilla vorzugehen. Bereits vor Monaten provozierte der Hardliner Uribe ("Keinen Schritt zurück") aufgeregte Proteste von Menschenrechtsorganisationen, als er die Bewaffnung von einer Million Menschen in einer Art Bürgerwehr gegen die Guerilla der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens und des Volksbefreiungsheers (ELN) ankündigte. Nach der Erklärung des Ausnahmezustandes präsentierte der 48-jährige nun eine abgeschwächte Form des Plans: die Million Menschen sollen nicht mehr bewaffnet, aber in ein nationales Netzwerk von Informanten integriert werden. Kolumbien hat gut 42 Millionen Einwohner. Überraschend will Uribe damit nun doch auch Zivilisten in den Kampf gegen die Guerilla einbeziehen.

Doch ein Schwerpunkt der Anti-Guerilla-Politik Uribes liegt nach wie vor im militärischen Bereich. Justizministerin Martha Lucia Ramirez - erstmals in der Geschichte des Landes eine Frau - kündigte die Einstellung von 100.000 Polizisten an. Für zwei neue Armeebataillone sollen 6.000 Reservisten einberufen werden. Zur Deckung der Mehrkosten hat die Regierung zudem eine neue Steuer von 1,2 Prozent erhoben. Dadurch sollen umgerechnet 800 Millionen Euro zusätzlich in die Staatskasse fließen. Mitte der Woche veröffentlichte die Regierung Armeevideos, die die Bombardierung von Guerillalagern zeigen. Uribe ist auf solche Erfolgsbelege angewiesen, denn die vom ehemaligen Präsidenten Pastrana befohlene Einnahme der über drei Jahre von den FARC kontrollierten Zone im Süden des Landes vor fünf Monaten stellte sich als weniger erfolgreich heraus als erwartet. Seither tritt die Guerilla nicht mehr nur auf dem Land, sondern auch in den Städten in Erscheinung. Beide Seiten benötigen Erfolgsmeldungen und greifen dabei zu immer härteren Mitteln.

Mit Sorge wird die Entwicklung bei der deutschen Sektion von Amnesty International gesehen, die auch einen offenen Brief an den Präsidenten geschrieben hat. Jörg Lehnert, Kolumbien-Experte bei der Organisation, erklärte am Mittwoch gegenüber der Tageszeitung "junge Welt" , die Menschenrechtsorganisation sehe die Ausrufung des Ausnahmezustandes mit großer Sorge. "Es ist zu befürchten, dass diese Entscheidung den Schutz der Menschen- und Bürgerrechte in Kolumbien weiter schwächen wird", so Lehnert. Zwar sei die Regierung durchaus von einer bewaffneten Opposition bedroht, "allerdings hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass die Übertragung von Sonderrechten an Polizei und Armee oft mit einer Zunahme von Menschenrechtsverletzungen einhergeht."

In dieser Richtung weist auch die rasche Neubesetzung des Oberkommandos der Armee. Mit Jorge Enrique Mora wurde ein Militär zum Oberkommandeur der Streitkräfte ernannt, dem von Menschenrechtsorganisationen zahlreiche Verwicklungen in Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. "Zynisch" nennt der Kolumbien-Experte und Buch-Autor Raul Zelik die Ernennung des neuen Chefs der Anti-Drogen-Einheiten, Oberst Alfonso Plazas. Der Militär war 1985 verantwortlich für die Erstürmung des von einem Guerillakommando besetzten Justizpalastes, bei der 100 Menschen starben und das Gebäude völlig zerstört wurde. "Den Militärs war die Vernichtung des Justizarchivs damals gelegen gekommen", so Zelik, denn in den achtziger Jahren sei in Hunderten von Fällen gegen hochrangige Offiziere wegen Verbindungen zum Drogenhandel ermittelt worden.

Im Gespräch mit Telepolis fand Eduardo Careño, Sprecher der Rechtsanwaltvereinigung "José Alvear Restrepo", am Donnerstag klare Worte: "Wir können schon in den ersten Tagen der Präsidentschaft von Alvaro Uribe Vélez in Kolumbien den Beginn einer Legalisierung des Paramilitarismus beobachten", so der Anwalt mit Blick auf die neue Armeeführung. Zudem seien während des Ausnahmezustandes nicht nur die Zivil- und Bürgerrechte eingeschränkt. Verstärkt würden auch Telefone abgehört. Erste Verhandlungen mit den Telefongesellschaften Bellsouth und Comcel über Eingriffe in die Mobilfunknetze haben schon stattgefunden.

"Besonders beunruhigend aber sind die Sonderrechte für die Sicherheitskräfte", so Careño. Dazu zähle auch die Möglichkeit von Festnahmen auf bloßen Verdacht. Besonders soziale Organisationen, Gewerkschaften und Menschenrechtsaktivisten fürchten nun Repressalien. So gingen bei der Rechtsanwaltsvereinigung Dutzende Morddrohungen ein, nachdem ein nachweislich an Menschenrechtsverletzungen beteiligter Mayor öffentlich kritisiert wurde. In den Drohungen wurde die internationale renommierte Organisation als "juristischer Arm der Guerilla" bezeichnet. Mit der Guerilla werden in Kolumbien unliebsame Mahner schnell in Verbindung gebracht. Die Folgen für die Beschuldigten sind meist tödlich.