Keine Freiheit für Irak

Kann die irakische Bevölkerung nach einem Sturz Husseins eine demokratische Regierung erwarten?

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Am 11. September 2001 erschütterte eine Reihe von Terroranschlägen die USA. In einer ersten Reaktion erklärte US-Präsident George W. Bush einen "Krieg gegen den Terrorismus", wenige Wochen später sprach er in seiner ersten Rede zur Lage der Nation nach den Anschlägen im Januar 2002 erstmals von der "Achse des Bösen" und rückte Bagdad nach dem US-irakischen Golfkrieg 1990/91 wieder ins Visier der USA (Zehntausende über die Welt verstreute tickende Zeitbomben).

Auch die Kontakte zur irakischen Opposition erhielten damit nach Jahren der Krise wieder Aufwind. Dabei ist es selbst für Kenner der Materie nicht einfach, den Überblick über die zahlreichen Gruppen und Grüppchen zu behalten, geschweige denn ihre tatsächliche politische Stärke zu bestimmen.

Von Washington favorisiert wird der "Irakische Nationalkongress" (INC), einer der etabliertesten Partner der CIA im Irak. Nachdem der Feind benannt war, erörterten Vertreter des US-Geheimdienstes im April vergangenen Jahres mit Vertretern des INC die Situation nach einem Sturz des Ba'ath-Regimes von Saddam Hussein. Vergleichbare Treffen fanden auch mit der "Patriotischen Union Kurdistans" (PUK) und der "Demokratischen Partei Kurdistans" (DPK) statt, von denen der Norden Iraks militärisch und politisch beherrscht wird.

Im Juni wurde der "Hohe Rat für die Islamische Revolution im Irak" (SICRI) nach Washington geladen, und im August 2002 gaben sich gleich mehrere Oppositionsgruppen die Ehre; darunter auch Monarchisten und Militärs. Trotz der offensichtlich intensiven Kontakte ist von dem Aufbau eines zivilen Systems nach westlichem Vorbild bislang keine Rede. Nach den der Presse freigegebenen Plänen favorisiert die US-Administration ohne Zaudern und Zögern ein militärisches Regime.

Zwei Gründe sind dafür erkennbar: Zwischen den oppositionellen Gruppen verlaufen tiefe Gräben. Weniger ethnische Differenzen als die angestrebte wirtschaftliche Macht lässt die Konflikte immer wieder aufflammen. Zudem könnte entgegen illusorischen oder bewusst verzerrten Darstellungen in westlichen Medien keine der Gruppen - einmal inthronisiert - auf die Akzeptanz der 23 Millionen Iraker zählen. Die irakische Bevölkerung wird etwaige Invasoren nicht als "Kräfte des Bösen" (Saddam Hussein) besiegen, und niemand wird die US-Soldaten feiern, weil sie den Irak der "Achse des Bösen" (George W. Bush) entrissen haben. Die Flächenbombardements der US-amerikanischen und bitischen Luftwaffe Anfang der neunziger Jahre haben den Hass vieler Iraker auf die dafür Verantwortlichen geschürt. Zwölf Jahre Embargo taten ein Übriges.

Ohne jeden Zweifel wird ein Krieg gegen den Irak nicht nach dem Afghanistan-Schema verlaufen. "Afghanistan war ein unterentwickeltes Land, ohne funktionierende Regierung und Streitkräfte", sagte der irakische Außenminister Tariq Aziz im Interview mit einer Delegation spanischer Nichtregierungsorganisationen und Politiker, die vor wenigen Wochen den Irak bereiste. Dass die politische Lage im Irak alles andere als labil ist, muss auch und gerade in Washington eingedenk der Tatsache akzeptiert werden, dass seit mehr als zehn Jahren jeder Umsturzversuch gescheitert ist.

Nachdem im nordirakischen Irbul im Schutz der Flugverbotszone der Kurdische Nationalkongress (KNK) seine Basis errichtete, fand von hier 1995 aus eine der größten Aktionen gegen Hussein seit dem Krieg 1990/91 statt. Unter führender Beteiligung des KNK und der undurchsichtigen Gruppe INA (Irakischer Nationaler Einklang), einem Zusammenschluss abtrünniger Militärs, sollten sich zeitgleich Armeeeinheiten in Bagdad erheben und kurdische Milizen aus dem Norden in Richtung der Hauptstadt vordringen. Die Mission scheiterte und nach einer Säuberungswelle ist der Widerstand gegen Hussein im Militär gebrochen.

In Washington wird diese Realität bewusst verdrängt. Als ein CIA-Report im Oktober vergangenen Jahres auf die politischen Gegebenheiten hinwies, kam es zwischen zum Eklat mit dem Weißen Haus. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld kündigte nach der Publikation des Geheimdienstdokumentes die Einsetzung einer kleinen Gruppe an, die künftig die Geheimdienstberichte prüfen werde (Sturz Husseins durch Oppositionelle unwahrscheinlich). So sollen Verbindungen des Irak mit dem internationalen Terrorismus herausgefunden werden, die in den ursprünglichen Berichten gegebenenfalls nicht zu finden seien.

Die Gründe für solche Vorsichtsmassnahmen liegen auf der Hand. Geht es um irakische Politik, legt Washington größten Wert auf Image. Während mit religiöser Konnotation zum Kampf gegen Saddam Hussein und das Böse schlechthin aufgerufen wird, präsentierte der Vorsitzende des Irakischen Nationalkongresses, Ahmed Chalabi, unlängst schon einmal sein Schattenkabinett. Chalabi, der von den US-Administration bereits als Nachfolger für Hussein gehandelt wird, ist in der Region indes kein Unbekannter. Ende der achtziger Jahre zeichnete er für den Zusammenbruch der jordanischen Petra Bank verantwortlich verantwortlich und sah sich dem Vorwurf ausgesetzt, das Kreditinstitut um weit über 200 Millionen Dollar geschröpft zu haben. Obwohl er seine Unschuld beteuerte, floh er vor einer drohenden Verurteilung wegen Finanzbetrugs und kehrte seither nicht mehr nach Jordanien zurück. Letzten Donnerstag ist er vom Iran aus in den Nordirak eingereist und betonte, dass seine Organisation damit keine Exilgruppe mehr sei.

Im Freundeskreis Washingtons mutet das aber noch harmlos an. So trifft man hier auf den einstigen irakischen Brigadegeneral Najib Al-Salhi, den Führer der "Bewegung Freier Offiziere". Al-Salhi war Stabschef der ersten Panzergrenadierdivision des fünften Korps der irakischen Armee, bis er vor gut sieben Jahren desertierte. In Dänemark wird er wegen des Einsatzes von chemischen Waffen während des Irak-Iran-Krieges in den achtziger Jahren gesucht. Ein weiterer abtrünniger Militär und Kooperationspartner der USA, General Fawzi Al-Shamari, hat den Einsatz chemischer Massenvernichtungswaffen bereits offen zugegeben.

Mehrere US-amerikanische Stiftungen entwerfen derweil bereits "Fahrpläne" für einen politischen und wirtschaftlichen Übergang nach einem Sturz Saddam Husseins. Nach Plänen des rechtskonservativen "National Endowment for Democracy" gehören dazu auch Kriegsverbrechertribunale für die Besiegten. Die mit Washington befreundeten Kriegsverbrecher sind damit nicht gemeint. Der ehemalige CIA-Berater Bob Baer beschrieb die Perspektive im Gespräch mit dem australischen Politmagazin "Four Corners" treffend:

"Al-Salhi könnte zurückgehen und eine Militärregierung aufbauen, die an Saddams Stelle tritt, was die logischste Sache wäre, wenn man wirklich daran interessiert ist, das Land zusammenzuhalten. Was man nicht machen kann, ist Demokratie im Irak einzuführen. Das wäre das totale Chaos."