Djindjic, die Mafia und der Westen

Die mafiöse Kriegsökonomie auf dem Balkan hat die Kriege quicklebendig überlebt

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Zwei Wochen nach der Ermordung des serbischen Premierministers Zoran Djindjic (Schockzustand in Serbien) scheinen sich die Hintergründe des Attentates aufzuklären. Am Dienstag konnte der vom Parlament bestimmte Djindjic-Nachfolger Zoran Zivkovic die beiden mutmaßlichen Täter präsentieren. Es handelt sich um den 38-jährigen Zvezdan Jovanovic und seinen 32-jährigen Komplizen Sasa Pejakovic. Damit scheinen sich die bereits direkt nach dem Attentat geäußerten Vermutungen zu bestätigen. Der Mord an Djindjic wurde aus der Mitte des mit der mächtigen Mafia verwobenen staatlichen Sicherheitsapparates geplant und ausgeführt.

Jovanovic ist nämlich kein Auftragskiller sondern Vizekommandant der dem Innenministerium unterstehenden Einheit für Spezialoperationen (JSO), in der auch Pejakovic dient. Die auch unter dem Namen Rote Barette bekannte Truppe zählt zu den kampferprobtesten Sondereinheiten, die der serbische Staatsapparat zu bieten hat und ist direkt mit der Mafia verbunden. Der 2001 abgelöste langjähriger Anführer der Roten Barette, Milorad Lukovic alias Legija, ist der Chef des Zemun-Clans, einer Mafiabande, die einen Großteil des Drogenhandels auf dem Balkan kontrolliert. In ihr arbeiten zahlreiche JSO-Mitglieder mit. Als mutmaßlicher Drahtzieher des Attentates ist Legija mit einer Reihe weiterer Zemun-Clan Mitglieder noch flüchtig.

Zvezdan 'Zveki' Jovanovic

Die Schüsse auf Djindjic haben damit vor allem eines deutlich gemacht: Die mafiöse Kriegsökonomie in Serbien hat die Kriege in der Region quicklebendig überlebt. Die im Krieg geformte Allianzen aus staatlichen Sicherheitsapparaten, Kriminellen und paramilitärischen "Kriegshelden" verfügt nach wie vor über bedeutenden wirtschaftlichen und politischen Einfluss. Ihren Ursprung hat der kriminell-institutionelle Komplex in der Rekrutierung von Kriminellen für paramilitärische Gruppen, die am Beginn des Krieges 1991 von Geheimdiensten und Polizei formiert wurden, um an den Fronten in Kroatien, Bosnien-Herzegowina und später Kosovo die Drecksarbeit der "ethnischen Säuberungen" zu erledigen. Dabei konnten die Paramilitärs einen wahren Plünderungsfeldzug unternehmen und alles zu Geld machen, was sie erbeuteten. Gleichzeitig wurden die entstehenden Netzwerke zur Umgehung des UN-Embargos eingesetzt und kontrollierten den profitablen Schwarzmarkt. Nach dem Ende der bewaffneten Konflikte blieben die organisatorischen Strukturen und Netzwerke bestehen und suchten im Drogen-, Waffen und Frauenhandel nach neuen Einkommensquellen.

Ein Bericht des US Institute for Peace (USIP) bemerkt, dass es sich bei der neuen Balkanmafia um einen "Modell der multi-ethnischen Zusammenarbeit" handelt. Tatsächlich stellt sich die Situation in den anderen aus Jugoslawien hervorgegangenen Republiken nur graduell anders dar wie in Serbien. Überall verfügen die kriminellen Unternehmen über die Möglichkeit, Strafverfolgung zu umgehen, sich Politiker unterzuordnen und die Medien zu manipulieren:

"Extremist political forces linked with security/intelligence agencies and organized criminal enterprises have carved out autonomous structures of power in the Balkans that have instigated conflict and profited ruthlessly from it. These power structures have been maintained via informal networks that allow them to operate with impunity from prosecution, suborn elected politicians, extort profit from entrepreneurs, and manipulate the media."

Die Zemun-Truppe ist ein illustratives Beispiel für diese Struktur. Seinen Spitznamen "Legionär" erwarb sich Milorad Lukovic durch den Dienst bei der französischen Fremdenlegion, für die er Mitte der 80er Jahre kämpfte. Anfang der 90er Jahre trat er in die paramilitärische Serbische Freiwilligen Garde von Zeljko Raznatovic alias Arkan ein. Mit seiner Vergangenheit bei den sogenannten Arkan Tigers als Empfehlung wechselte Legija 1997 als Kommandant zu den Roten Baretten.

Seitenwechsel

Diese für ihre Brutalität berüchtigte Truppe war von Legijas Freund und Tiger-Gefährte Franko Simatovic alias Frenki gegründet worden und galt als die Prätorianergarde des Milosevic Regimes. Als der Belgrader Kriegsherr allerdings nach Kosovokrieg zunehmend die Zügel aus der Hand verlor, wechselten die Roten Barette unter Legjias Führung die Seiten. Nach bestätigten Informationen hat sich Djindjic am Vorabend des Sturms der von ihm angeführten Opposition auf das Parlament am 5. Oktober 2000 auch mit Legjia getroffen und ein Abkommen geschlossen. Die Roten Barette schossen nicht auf die Demonstranten, blieben dafür aber nach dem Regierungswechsel unantastbar.

Dies war freilich nicht der einzige Deal, den die vom Westen politisch, finanziell und logistisch unterstützte Opposition mit den mafiösen Sicherheitsapparaten des alten Regime getroffen hat. Im nachhinein stellt sich eher die Frage, ob es nicht Kreise der paramilitärischen Mafia waren, die die Opposition instrumentalisierten, um selbst an der Macht zu bleiben. Denn auch die zwei grauen Eminenzen der serbischen Paramilitärs, der ehemalige Chef der Geheimpolizei Jovica Stanisic und der Gründer der Roten Barette, Franko Simatovic, waren mit von der Oktober-Partie (Die serbische Oktoberrevolution).

Stanisic war bereits 1998 von Milosevics geschasst worden, weil er mit der Kosovopolitik nicht übereinstimmte. Simatovic brach sogar schon 1996 nach dem Abschluss des Dayton Abkommens über eine Friedensvertrag für Bosnien-Herzegowina mit Milosevic. Beide verfügten aber auch nach ihren Konflikten mit Milosevic über steuernden Einfluss auf die kriminelle Unterwelt. Der frühere Belgrader Polizeichef, Marko Nicovic, meint:

"Der Oktober 2000 war eine Möglichkeit für Leute ihre Biographien weiß zu waschen und sich selbst unverzichtbar zu machen."

Zwischen den Stühlen

Wie der Mord an Djindjic allerdings zeigt, war die Oktoberallianz äußerst brüchig. Der in Deutschland ausgebildete Premier musste verschiedenen Herren gehorchen. Die "internationale Gemeinschaft", vor allem die USA, machten Druck auf die Auslieferung der Kriegsverbrecher, die sie möglichst bald in Den Haag sitzen sehen wollte. Mit immer neuen Ultimaten und der Kreditschraube wurde Djindjic dazu gezwungen, diesem Begehren nachzukommen, das das militärische Eingreifen im Kosovokonflikt nachträglich noch einmal legitimieren sollte.

Dabei musste der prowestliche Premier wie bei der Auslieferung Milosevics im Juni 2001 nicht nur den Rechtsstaat außer Kraft setzen, sondern sich auch mit seinen Bündnispartnern vom Oktober 2000 anlegen, die ebenfalls zu einem erheblichen Teil ein Verfahren in Den Haag fürchten müssen. Djindjic hat sich letztlich im Machtkampf gegen seinen rechtskonservativen Oppositionsrivalen Vojislav Kostunica, der gegen eine Kooperation mit Den Haag trommelte, durchgesetzt. Als Kostunica mit der offiziellen Auflösung Jugoslawiens im Februar schließlich sein Amt als Präsident des Staates verlor, stand Djindjic für einige Tage als einsamer Gewinner da. Dann fielen die Schüsse des 12. März.

Wie regierungsamtliche Quellen erklären soll die Zemun Bande mit dem Mord versucht haben, eine mögliche Strafverfolgung ihrer Mitglieder zu verhindern. Djindjic habe Haftbefehle gegen den Gangboss Milorad Lukovic alias Legjia und andere Mitglieder der 200 Mann starken Truppe erlassen wollen, heißt es in Erklärungen. Der im Belgrader Vorort Zemun ansässige Clan soll bereits hinter einem ersten Attentat auf Djindjic stecken, das am 21. Februar verübt wurde. Damals versuchte ein Gangmitglied mit einem LKW die Staatskarosse Djindjic zu rammen, verfehlte aber sein Ziel.

Ausnahmezustand und Verhaftungswelle lösen das Problem der Verflechtung von Staat und Mafia vermutlich nicht

Seitdem findet in Serbien die größte Polizeiaktion der Geschichte statt. Nach Angaben des Vizepremiers Cedomir Jovanovic wurden bisher über 3.000 "Verdächtige" festgenommen und verhört. Knapp tausend bleiben in Haft. Die wenigsten von ihnen dürften indes etwas mit dem Mord zu tun haben. Vielmehr nutzt die Polizei und das Militär den erklärten Ausnahmezustand zu einer umfassenden Operation gegen alle möglichen "kriminellen Banden", wie Innenminister Dusan Mihajilovic erklärt.

Der Ausnahmezustand räumt dem Militär und der Polizei umfangreiche Sondervollmachten ein, darunter das Recht, verdachtsunabhängige Verhaftungen vorzunehmen. Wie die Belgrader Assoziation Unabhängiger Elektronischer Medien (ANEM) erklärt erklärt, werden Journalisten dazu angehalten, lediglich zu berichten, was aus offiziellen regierungsamtlichen Quellen zu erfahren ist. Strikt verboten sind Berichte über den Ausnahmezustand selbst, solange sie nicht offiziellen Verlautbarungen entsprechen. Ein Zuwiderhandeln ist unter Strafe gestellt. Einige Zeitungen sind bereits mit Geldstrafen belegt worden oder sogar verboten worden, wie der Belgrader Fernseh- und Radiosender B92 berichtet.

Ob der Ausnahmezustand und die Verhaftungswelle allerdings das Problem der Verflechtung krimineller Banden mit staatlichen Organen löst, ist mehr als zweifelhaft. Zwar wurden zentrale Figuren dieser Zusammenarbeit, wie der stellvertretenden Generalstaatsanwalt Milan Sarajlic, mittlerweile verhaftet Sarajlic gab zu, für Geld Insiderinformationen der Ermittlungsbehörden und der Geheimdienste an den Zemun Clan weitergegeben und Strafverfahren gegen seine Mitglieder verhindert zu haben. Auch der Chef des militärischen Geheimdienstes Aco Tomic, ein weiteres Milosevic-Relikt, wurde in den Ruhestand geschickt. Gleichzeitig stellt sich aber die derzeit in Belgrad nur hinter vorgehaltener Hand geäußerte delikate Frage, wer durch den Ausnahmezustand an Macht gewinnt. Die Antwort zeigt, dass das Problem ähnlich wie im Oktober 2000 nur verlagert werden könnte.

Der amtierende Chef der uniformierten Polizei Sreten Lukic und Goran Gurij Radosavljevic, der Befehlshaber der Spezialtruppe Zandarmerija, die momentan in Belgrad maskiert Straßenkontrollen durchführen, sind mehr als zwielichtige Figuren. Wie die jetzt gesuchten oder festgesetzten Paramilitärs Legija, Frenki und Stanisic, waren auch sie führende Köpfe des Sicherheitsapparates von Milosevich. Lukic kommandierte 1998 und 1999, zum Zeitpunkt der eskalierenden Kämpfe, die Polizeitruppen im Kosovo. Radosavljevic war dort ebenfalls in führender Funktion im Einsatz. Nach Angaben des für gewöhnlich gut mit Den Haag Insiderwissen versorgten Think Tanks International Crisis Group (ICG sollen Lukic und Radosavljevic auf der geheimen Kriegsverbrecher-Auslieferungsliste von Carla del Ponte stehen. Mit dem harten Durchgreifen gegen ihre ehemaligen Mitkämpfer scheinen sie ihren eigenen Kopf aus der Schlinge ziehen zu wollen, ganz ähnlich wie bereits mit dem Seitenwechsel beim Sturz Milosevics.

Hauptproblem ist die seit dem Krieg danieder liegende Wirtschaft

Ungelöst bleibt indes das grundsätzliche Problem der serbischen Gesellschaft. Nach den neoliberalen Wirtschaftsreformen der 80er Jahre und dem zehnjährigen Kriegszustand der 90er Jahre ist eine warenproduzierende Ökonomie so gut wie kollabiert. Die von der "internationalen Gemeinschaft" als Medizin verschriebene Privatisierungspolitik und Handelsliberalisierung sorgt in dieser Situation lediglich für einen Anstieg der ohnehin grassierenden Arbeitslosigkeit.

Aufgrund der fortwährenden politischen Instabilität bleiben Auslandsinvestitionen weitgehend aus. In dieser Situation ist es gerade die informelle Schattenökonomie, die eine Überlebensperspektive bietet. In deren Sumpf kann sich allerdings die Mafia mit ihren profitablen Geschäften im Drogen-, Menschen-, und Waffenhandel ständig von neuem reorganisieren. Die grassierende Korruption im staatlichen Sicherheitsapparat bietet zudem einen strukturellen Schutz, der durch ein sich zunehmend autoritär wendendes Regime nicht verschwindet, sondern eher verstärkt werden kann. Legjia mag in den kommenden Tagen oder Wochen tatsächlich verhaftet werden. An seine Stelle wird der nächste Pate treten.

Das befürchten zumindest kritische Beobachter, die sich trotz Ausnahmezustand zu äußern wagen. In einem Artikel für das Internetmagazin Neues serbisches politisches Denken schreibt Slobodan Antonic von der Universität in Novi Sad, dass es, "schwierig wird, die Schlussfolgerung zu vermeiden, dass (der Ausnahmezustand) den Interessen einer bestimmten Clique nutzt, die in die Lage versetzt wird, in einem Showdown Terror und Gewalt gegen ihre Rivalen durchzusetzen."

Dragan Marsicanin, Vizepräsident der Demokratischen Partei Serbiens (DSS) von Vojislav Kostunica, fragt polemisch: "Wird der Kampf gegen die organisierte Kriminalität auch den Surcin Clan umfassen?" Diese Mafiagruppe hatte sich in den vergangenen Wochen eine blutigen Showdown mit dem Zemun Clan geliefert. Beobachter stellen fest, dass die Truppe bisher weitgehend ungeschoren davon gekommen ist.

Die Institutionen der Europäischen Union unterstützen die Maßnahmen der neuen serbischen Regierung nachdrücklich. Gerüchten zufolge sollen sogar Polizisten aus Deutschland an der Jagd auf die Mafia beteiligt sein. Die EU und die UN-Übergangsverwaltung in Kosovo (UNMIK) stehen allerdings selbst vor einem ähnlichen Problem, das sie nur zögerlich wahrnehmen wollen. Denn im Kosovo war es der Westen, der sich die Mafia beim Kampf gegen das Milosevic-Regime zunutzen gemacht hat.

Wie die der Bundesregierung nahe stehende Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in einem Bericht über die von der NATO unterstützte UCK feststellt, hat diese ihren Kampf zu einem erheblichen Teil aus Drogengeldern finanziert. Nach dem Einmarsch der NATO-geführten KFOR-Truppe in die Krisenprovinz 1999 konnten die mit der UCK verbundenen Mafiapaten ungehindert ihre Geschäfte entfalten.

Jetzt hat die KFOR-Truppe nachhaltige Schwierigkeiten, die Kosovo-Mafia in den Griff zu bekommen, denn auch hier bildet sie einen polit-kriminellen Komplex mit erheblichen Mobilisierungsfähigkeiten. Bei der Verhaftung von Mafiapaten wie dem ehemaligen UCK Kommandanten Rrustem "Remi" Mustafa im vergangenen Sommer demonstrieren immer wieder Tausende, die in den Warlords Befreiungskämpfer sehen.