Das Warten auf Obama und die "Verschwörung der Zellen des Feuers"

Foto: Wassilis Aswestopoulos

Griechenland im Alarmzustand: Zum Abschiedsbesuch des US-Präsidenten fürchtet man brennende US-Flaggen, Molotowcocktailorgien und Terrordrohungen

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Am Dienstag der kommenden Woche wird der scheidende US-Präsident Barack Obama in Athen für einen zweitägigen Aufenthalt während seiner internationalen Abschiedstour erwartet. Obamas Besuch ist aus vielerlei Gründen hochproblematisch für die Syriza-Regierung. Zugleich küpft sie an ihn Hoffnungen auf ihr politisches Überleben.

Der 17. November, die CIA und die Obristendiktatur

Schon im Vorfeld des Besuchs gab es Bedenken hinsichtlich des Termins. Die Besuchstage, der 15 und 16. November, sind die Zeit, in der alljährlich die Gedenkfeiern für den am 17. November 1973 blutig niedergeschlagenen Studentenaufstand in Griechenland abgehalten werden. Rund um das Polytechneio, der Technischen Universität der Stadt werden Kränze niedergelegt.

Antifaschistische Gruppen und demokratisch gesinnte Bürger, gedenken der Zeit, in der die von der CIA installierte Obristendiktatur Griechenlands Bürgerrechte brutal brach, Dissidenten verbannte, folterte und ermordete sowie zahlreiche Bücher und Musik verbot.

Die Feierlichkeiten gipfeln in einem Protestmarsch am 17. November, zu dessen Abschluss vor der US-Botschaft in Athen die amerikanische Flagge verbrannt wird. Es gehört zur Tradition der jüngeren Geschichte, dass dieser stets friedlich beginnende Protestmarsch, sei es durch Überreaktion der Einsatzpolizisten, anderweitige Provokationen oder wegen einiger Hitzköpfe unter den Demonstranten in einer Tränengas- und Molotowcocktailorgie in und um das Athener Zentrum mündet. Der 17. November ist zudem auch der Tag, an dem die heutigen Bürger des Landes Parallelen zur damaligen Zeit ziehen und den Anlass zur Regierungskritik nutzen.

Normalerweise wird das Hauptgebäude der TH Athen Tage vor dem 17. November von zahlreichen linken und anarchistischen Gruppen besetzt. Politiker aller Parteien des Spektrums links von der Mitte erscheinen ebenso zur Kranzniederlegung wie die Überlebenden der damaligen Studentenaufstände sowie Gewerkschaftsvertreter.

Alexis Tsipras hat als Premierminister, ebenso wie die Papandreous der PASOK vor ihm, als amtierender Premier eine Kranzniederlegung vorgenommen. Ob er es sich dieses Jahr noch einmal traut, steht noch nicht fest.

Es ist nicht das erste Mal, dass ein amerikanischer Präsident an diesem denkwürdigen Tag nach Athen reist. Der letzte Präsidentenbesuch fand 1999 am 19. November statt. Die Visite war zunächst von den USA auf den 17. November terminiert worden.

Erst mit viel Mühe und diplomatischem Geschick konnte die damalige Regierung die US-Administration überzeugen, eine Verschiebung des Termins um zwei Tage zur Gesichtswahrung "aus eigenen, amerikanischen Gründen" zu akzeptieren.

Das Kabinett Tsipras: Früher in den Reihen der Demonstranten

Athen war seinerzeit in eine Festung verwandelt worden. Unter den Demonstranten, die den damaligen Präsidenten Bill Clinton in die Hölle schicken wollten, befand sich der heute amtierende Premierminister Alexis Tsipras. Es handelt sich um eines der Ereignisse, welche Tsipras einstiges Image als linken Revolutionär begründeten.

Sein aktueller Justizminister, Stavros Kontonis, hatte in einem "Volksgericht" genannten Happening die Rolle des Staatsanwalts übernommen. Das Volksgericht stellte die Menschenrechtsverletzungen und die imperialistische Politik der USA an den Pranger. Nahezu jedes Mitglied aus der aktuellen Kabinettsliste war seinerzeit in den Reihen der Demonstranten.

Heute ordnet die Regierung an, dass ein Heer von mehr als 3.000 griechischen Polizisten die Hauptstadt hermetisch abriegelt und in eine Hochsicherheitszone verwandelt. Zudem genießen mehr als 500 Mitarbeiter des CIA das Privileg, Hoheitsrechte auszuüben, und im Zweifel absolute Befehlsgewalt auch gegenüber hochrangigeren griechischen Uniformierten zu haben.

Abgesagte Symbolik: Obama am Geburtsort der Demokratie

Die USA hatten nach dem Putsch des 21.April 1967 über offizielle Vertreter in zynischen Kommentaren der Niederschlagung der Demokratie nicht nur zugestimmt, sondern diese auch aktiv gefördert. Ein typisches Zitat des CIA-Chefs gegenüber dem damaligen Botschafter der USA in Athen war: "Man kann eine Hure (gemeint war die Demokratie) nicht vergewaltigen."

Heuer sollte Barack Obama eine seltene Ehre am Geburtsort der Demokratie zugestanden werden. Es war geplant, dass Obama an der antiken Stätte der Pnyx, dem Ort der Athener Bürgerversammlung, seine feierliche Rede halten sollte.

Das Amt für Antike, welches mit Argusaugen über alle Ausgrabungsstätten wacht, hatte die Ausnahmegenehmigung zur Nutzung erteilt. Obama hätte zum Abschluss seiner Präsidentschaft vom Podium des Perikles sprechen können - "hätte", wenn nicht zahlreiche Begleitumstände zur Annullierung des Ereignisses geführt hätten.

Zur Wahrung des politischen Gesichts versuchen beide Seiten, die Griechen und die Amerikaner, die Absage mit "schlechten Wetteraussichten" zu begründen.

Im Athener November die Aussicht auf Regenwetter als seltenes Phänomen anzusehen, hieße jedoch, die Wahrscheinlichkeit für Schneefall in den Alpen während des Winters als unvorhersehbare Wetterkapriole darzustellen.

Freie Sicht und freies Schussfeld - die Angst vor Terroranschlägen

Die allgemein bekannte Wahrheit ist, dass die Pnyx von vielen Punkten Athens aus mit freier Sicht, und somit freiem Schussfeld einsehbar ist. Die jüngsten Terroranschläge in Athen, Brandsätze auf das Wohnhaus einer leitenden Staatsanwältin und ein Handgranatenwurf auf die französische Botschaft in der Nacht vom Mittwoch auf Donnerstag, haben gezeigt, wie löchrig das griechische Sicherheitsnetz momentan ist.

Zudem wurden sämtliche Fußballspiele auf Anordnung der FIFA abgesagt, weil die Verantwortlichen für die Schiedsrichterauswahl des Profifußballs trotz Polizeischutz zum Opfer von Anschlägen wurden.

Pünktlich zum Staatsbesuch und fast wie auf Befehl, veröffentlichte die Zeitung To Ethnos einen brisanten Brief eines prominenten Inhaftierten. In diesem, bereits im Juni geschriebenen, Schriftstück hatte der zu einer mehrfach lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilte Alexandros Giotopoulos, die Öffentlichkeit darüber informiert, dass hochrangige Terroristen der Gruppe "17. November" immer noch frei sind.

Giotopoulos gilt gemäß des gegen ihn erteilten Gerichtsurteils als Anführer der als Terrororganisation bezeichneten Gruppe "17. November". In seinem Schreiben ließ er jedoch durchblicken, dass die noch in Freiheit befindlichen Mitglieder Angehörige einer damaligen Regierungspartei sind, und vom Geheimdienst gedeckt wurden. Vier der dreiundzwanzig Opfer der Gruppe waren hochrangige Vertreter der USA.

Akute Terrorwarnungen

Außer dem Anschlag auf die französische Botschaft, bei der ein Wachmann verletzt wurde, gibt es zahlreiche weitere Indizien, welche die griechische Antiterrorpolizei zum Anlass nimmt, um ihre Sicherheitsmaßnahmen zu verstärken.

Es gibt durchaus Hinweise, dass es sich bei der Botschaft Frankreichs um einen gegen die Franzosen gerichtete Aktion zugunsten George Ibrahim Abdallahs handelt.

Andererseits ist die französische Botschaft im Gegensatz zur amerikanischen ein leichteres Ziel. Das Fehlen eines Bekennerschreibens zählt in Griechenland normalerweise zu den Anzeichen, die weitere Anschläge vermuten lassen. Die Sicherheitsvorkehrungen für sämtliche ausländische Vertretungen in Athen wurden daher verstärkt.

Es ist zudem sicher, dass es eine Rasterfahndung hinsichtlich der Telefonverbindungen in und um das Athener Zentrum gibt. Darüber hinaus werden die griechischen Sicherheitskräfte in den Tagen um den Besuch Obamas wieder auf das anlässlich der Olympischen Spiele 2004 angeschaffte, digitale Funknetz zurückgreifen. Dies war in den letzten Jahren aufgrund der hohen Lizenzkosten des Betriebs zur Verminderung der Staatsausgaben durch analogen, leicht abhörbaren Funk ersetzt worden.

Die Terrorhysterie geht so weit, dass in anderem Zusammenhang festgenommene Personen systematisch hinsichtlich ihrer möglichen Terrorverbindungen kontrolliert werden. So wurde bei einem Vierunddreißigjährigen, der am Donnerstag bei einem Bankraub in Artaki auf der Insel Euböa auf frischer Tat gefasst wurde, festgestellt, dass er bei Prozessen gegen Terrorverdächtige als Sympathisant unter den Demonstranten war.

Die "Verschwörung der Zellen des Feuers", eine vom Staat als Terrorgruppe eingestufte Gruppe von Autonomen, hat bereits angekündigt, dass sie den Besuch Obamas nach Kräften sabotieren wird.