Kazaamm! Shazzakk! Zwzzwadddaaarkraakkk!

Der Drohneneinsatz in Afghanistan und Pakistan

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Mein Sohn (fünf Jahre alt) liebt den Krieg. Er fasziniert ihn, weil der Krieg böse ist, weil Soldaten Helme tragen, Waffen, und weil sie kämpfen, weil sie für die Guten sind. Wo immer er das her hat ... Die Erzieher im Kindergarten sind als gute Sozialpädagogen allesamt Pazifisten, Waffen beim Spielen nicht erlaubt. Immerhin - er hört mir sehr aufmerksam zu, wenn ich ihm erkläre und erzähle, warum Krieg auf eine Art böse ist, die er nicht bestimmt nicht mag. Aber daran, dass ihn Krieg und Waffen faszinieren, ändert das nichts. Sein liebstes Magazin sind die monatlich erscheinenden "Power Rangers".

Aus den Heften lernt man zweierlei: erstens eine Vielfalt an flashigen Soundtranskriptionen, wie Kazaamm! Shazzakk! Zwzzwadddaaarkraakkk! Oder Krakka-Dompff! Krakkk-Ka-Brakkk! Zweitens ständig neue Overload-Mega-Zord-Morphings und in jedem Magazin gibt es aktuell neu eine Wahnsinnswaffe für die Rangers - in jüngster Zeit immer öfter mit mystischer Kraft aufgeladen. Zur Zeit sind die Rangers auf der animalischen animierten Rittermission und zerbröseln babrrrakkk mit dem "Dschungel-Morgenstern mithilfe des Geistes des Elefanten" die Rinshis. Der Ausgang der Geschichten ist immer der gleiche: Die tollen brandneuen Waffen lehren - nach einer ersten Euphorie - den etwas einfältigen "Power Rangers" jedes Mal, dass sie fehlbar sind, wenn sie sich nur auf die Technik verlassen und dass sie es nur einem - den Hyper-Waffen gegenüber enttäuschend simplen - taktischen Kniff zu verdanken haben, wenn sie den Sieg über den bösen Gegner "mit der Güte Null" noch einmal davon tragen können. Am Ende verlässt der Gegner mit einem Racheschwur die Zeichengeschichte.

Konfusion im Weißen Haus

In den USA gibt es derzeit eine Diskussion über den Einsatz von Drohnen, Predators und Reapers. Folgt man dem Nachrichtenstrom der letzten Wochen, dann herrscht Verwirrung im Weißen Haus über die richtige Taktik für "Afpak". Außerhalb der höchsten Macht melden sich augenblicklich aber alle Spezies von Vizes, Deputies, Ministern, Generälen, Ex-Soldaten und Experten zu Wort und plädieren entweder für die Truppenaufstockung in Afghanistan oder für "Going Deep", der von Spezialeinheiten durchgeführten gezielten Bekämpfung von Milizen, al-Qaida und Taliban-Guerillas. Der Präsident schweigt. Der Kreis um Obama lässt verlautbaren, dass man erst die politische Situation klären muss, ob Karsai der starke Mann bleibt, seine Legitimität usw.; die Außenministerin ist nur mehr Sprecherin ihres Ministeriums, gestalterische Vorschläge zur Afpak-Strategie gibt es von ihr augenblicklich nicht zu hören.

31 bis 33 Prozent der Opfer sind Zivilisten

In den Noise der Generäle und Strategen und das Schweigen der politischen Verantwortlichen zielen nun aktuelle Analysen zum Einsatz von Drohnen: "Revenge of the Drones" und "The Predator War", sowie ein paar kleinere, daran anknüpfende Überlegungen.

Die Argumente für und wider den Einsatz von Drohnen sind seit dem Irak-Krieg bekannt. Interessant ist, wie sie für die militärische Strategie in Afghanistan und vor allem in Pakistan neu justiert werden. Bemerkenswert sind dazu zwei Fakten, die herausgehoben gehören: Dass der Einsatz von Drohnen unter der Präsidentschaft Obamas zugenommen hat. Und dass die Aufträge für die daran beteiligten Rüstungsindustrie steigen:

According to a new study by the New America Foundation, the number of drone strikes has gone up dramatically since Obama became President. General Atomics Aeronautical Systems, the defense contractor that manufactures the Predator and its more heavily armed sibling, the Reaper, can barely keep up with the government's demand.

Jane Mayer, New Yorker

Die Untersuchung, die Jane Mayer hier heranzieht, stammt von Peter Bergen und Katherine Thiedemann. Bergen dürfte einigen Lesern auch hierzulande bekannt sein, als Autor von "Heiliger Krieg Inc." und als Journalist, der ein "Interview mit Osama Bin Laden bekam". In der Studie, die Bergen und Thiedeman dem US-Think Tank The New America Foundation vorstellten, zählen die beiden zunächst die Toten.

Gestützt auf Berichte von großen Medienhäusern, die "substantielle Arbeit" leisten - genannt werden New York Times, Washington Post, Wall Street Journal, AP, Reuters, AFP, CNN, und die BBC - errechneten die beiden, dass bei 82 Drohnenangriffen in Pakistan im Zeitraum zwischen 2006 bis Mitte Oktober 2009 insgesamt zwischen 750 und 1000 Menschen getötet wurden (Quellen und Zahlen sind hier detailliert aufgelistet). Darunter 500 bis 700 Personen, die von den Journalisten als "militants" bezeichnet wurden - und etwa 250 bis 320 Personen, die als Zivilisten aufgeführt wurden. Demnach waren 66 bis 68 Prozent der von Hellfire Getöteten militärisch beabsichtigtes Ziel und 31 bis 33 Prozent der Opfer "Kolalateralschäden" - Zivilisten.

Natürlich wissen Bergen/Thiedemann, dass ihre Zahlen ungenau sind und nur bedingt valide. Doch wer hat schon gültige? Bergen/Thiedemann erwähnen auch höhere Zahlen, die von anderer Seite genannt werden, etwa von dem pakistanischen Journalisten Amir Mir, der im April 2009 von bis dato 60 Predator-Angriffen auf Pakistan schrieb und 14 Tote al-Qaida-Mitglieder gegenüber 687 Toten aus der Zivilbevölkerung zählte. Dazu die Angaben der "Counter-Insurgency" Experten David Kilcullen und "Abu Muqawama" Andrew Exum, die in der New York Times von 700 bei Drohnenangriffen getöteten Zivilisten berichten, einen "Koeffizienten" von 50 toten Zivilisten pro getöteten Militanten ausmachen und bei einem Prozentsatz ziviler Toter von 98% für einen Stopp der Drohnenangriffe plädieren.

Die am wenigsten schlimme realistische Lösung

Aber Bergen/Thiedemann nennen auch bekömmlichere Statistiken. Vom Long War Journal, wo Bill Reggio und Alexander Mayer zwar einen vehementen Anstieg der Predator-Angriffe für 2009 in Säulenform veranschaulichen, aber die zivilen Opfer eine gleichbleibende, sehr niedrige blaue Sockelleiste abgeben, die etwa bei 10 Prozent liegt (43 tote Zivilisten bei insgesamt 409 bis September 2009).

Angesichts der an anderer Stelle genannten sehr hohen und sehr niedrigen Verluste unter der Zivilbevölkerung nehmen sich die 30 bis 33 Prozent der beiden Autoren Bergen/Thiedemann moderat aus, das gibt ihnen die Basis für eine "realistische Argumentation", an deren Ende die Befürwortung des Drohneneinsatzes als die "am wenigsten schlechte Option, die die Vereinigten Staaten haben, um die Bedrohung der pakistanischen Militanten zu reduzieren".

Als Argumente für Predators und Reapers führen die Autoren folgende Punkte auf: die Akzeptanz der Bevölkerung in den pakistanischen Stammesgebieten (FATA), wie sie das Aryana Institute for Regional Research and Advocacy im März dieses Jahres ermittelt hat. Von dem Institut ist wenig bekannt, seine Stellung im politischen Lagerspiel ist noch nicht klar1.

Als wesentliches Argument für den Drohneneinsatz führen Bergen/Thiedemann die Treffer an, die unter den Militanten (insbesondere unter Führungspersonen) gemacht wurden. Dass Baitullah Mehsud - beim 15ten Angriff - getötet wurde und namhafte Köpfe der Qaida und der Taliban-Guerilla, die allesamt aufgelistet werden, Drohnenangriffen zum Opfer fielen, resultiere in einer wahrnehmbaren Schwächung der Schlagkraft dieser Gruppen, so Bergen/Thiedemann. Das belegen sie u.a. mit dem Cheney-Folter-Argument, wonach dadurch Terroraktionen vereitelt wurden, weil wichtige Kapazitäten zur Planung und Ausführung fehlten.

Fortdauernde Rache

Dass aber Baitullah ziemlich rasch durch seinen von Rache befeuerten Bruder Hakimullah ersetzt wurde, wird vernachlässigt, wie auch in anderen Analysen etwa von einem indischen Regierungsexperten, der der pakistanischen Offensive gegen die Taliban kaum Chancen einräumt und diese nur in gezielten Drohnenangriffen auf Milizen-Führer erkennen kann.

Das Racheproblem wird von Bergen/Thiedemann bloß erörternd erwähnt und an anderer Stelle verstärkt. So nimmt etwa Spencer Ackerman das bekannte Argument auf, dass die zivilen Toten bei Drohnenangriffen Rekrutierungs- und Motivationsgrund Nummer 1 für Talibankämpfer sind. Und wie Ackermann verweist auch ein Kolumnist von Salon auf die Taliban-Insider-Berichte des Journalisten David Rohde, der sieben Monate lang Geisel der Taliban war. Rohde erzählt in seinem mehrteiligen Bericht davon, dass Talibankämpfer Bomben- und Predatorangriffe, die das Leben von unschuldigen Zivilisten auslöschten, als Ursache für ihren Hass auf die USA schilderten und als Beweggrund, gegen die USA zu kämpfen - um so mehr als die brutale Vorgehensweise gegenüber Muslimen die Doppelzüngigkeit und Doppelmoral der USA, die ansonsten humanistisch argumentieren, vorführen würden:

For the next several nights, a stream of Haqqani commanders overflowing with hatred for the United States and Israel visited us, unleashing blistering critiques that would continue throughout our captivity.
Some of their comments were factual. They said large numbers of civilians had been killed in Afghanistan, Iraq and the Palestinian territories in aerial bombings. Muslim prisoners had been physically abused and sexually humiliated in Iraq. Scores of men had been detained in Cuba and Afghanistan for up to seven years without charges.
To Americans, these episodes were aberrations. To my captors, they were proof that the United States was a hypocritical and duplicitous power that flouted international law.

"Surreales Emirat"

Doch, was den Bericht über solche Kausalzuweisungen (Drohnenangriffe vermehren die Guerillas) - denen auch ein willkürliches Element anhaftet, ähnlich dem, der sich bei Zitaten aus dem Koran einstellt, wenn das Buch herangezogen wird, um offensive Gewaltakte zu rechtfertigen - hinaushebt, ist das Nebeneinander von widersprüchlichen Dingen, Einstellungen und Argumenten in der von Rohde beschriebenen Welt "Inside the Islamic Emirate". Die nimmt sich, wie Rode das schildert und bezeichnet, als "surreal" aus:

My Taliban guards slept beneath bedspreads manufactured by a Pakistani textile company and emblazoned with characters from the American television show "Hannah Montana" and the movie "Spider-Man." My blanket was a pink Barbie comforter.
My captors railed against the evils of a secular society. In March, they celebrated a suicide attack in a mosque in the Pakistani town of Jamrud that killed as many as 50 worshipers as they prayed to God. Those living under Pakistan's apostate government, they said, deserved it.

Angesichts dieser comic-crazy-haften und radikal simplen Ewigkeitswelt des Taliban-Emirats stellt sich die Power-Ranger-Frage: Was nützen die Hyperwaffen, außer, dass sie einen episodischen Erfolg herbeiführen können?