Bioerror, kein Bioterror

Safe-Genes-Programm der DARPA. Bild: DARPA

Ein Forschungsprogramm soll Lösungen bereitstellen für den Fall, dass ein gene drive aus dem Ruder läuft

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In den nächsten vier Jahren soll im Rahmen eines neuen DARPA-Programms unter anderem Know-how geschaffen werden, das Fortschritte in der Genomeditierung beflügeln und gleichzeitig potentielle Risiken minimieren soll.

Das Safe-Genes-Programm der Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA) kommt zu einer Zeit, da Wissenschaftler mittels so genanntem "gene drive" (Eingriff in das Erbgut frei lebender Organismen) an einer beschleunigten Verbreitung neuer oder manipulierter Gene in Populationen von Lebewesen arbeiten, um diese in eine gewünschte Richtung zu verändern.

Die alten Regeln der genetischen Vererbung und natürlichen Auslese werden damit gleichsam überschrieben und so Hoffnungen geweckt, dass diese Technologie eines Tages imstande sein könnte, Populationen von Krankheiten übertragenden Insekten oder anderen Schädlingen im Laufe von nur 20 Generationen zu verändern oder zu unterdrücken. Außerdem könnte man sich damit invasiver Arten entledigen oder das Erbgut gefährdeter Arten "aufbessern". Der Fantasie der Forscher sind dabei keine Grenzen gesetzt, die Ideen reichen weiter, von der Humangenom-Editierung bis hin zur Erschaffung von Mikroschweinen, für die es offenbar eine Nachfrage im Haustierhandel gibt.

Doch noch scheinen praktikable Anwendungen Jahre entfernt. Und noch existieren neben den eigentlichen wissenschaftlichen Problemen einige Unwägbarkeiten - zum Beispiel in Fragen der Sicherheit der neuen Technologien sowie hinsichtlich der Konsequenzen für eine der neuen Situation angepassten Gesetzgebung.

Die DNA-Schneide-Technologie namens CRISPR-Cas9 hat in wenigen Jahren die Fähigkeit von Wissenschaftlern revolutioniert, in Organismen maßgeschneiderte Änderungen am Erbmaterial vorzunehmen. Dieser Gen-Editor ist preiswert und relativ einfach zu verwenden. Über ihn rückt der gene drive in die Reichweite der Anwendung an verschiedensten Organismen.

Genetische Änderungen, die in nur wenige Mitglieder einer Population eingefügt werden, breiten sich schnell in ihrer Gesamtheit aus. Sind Fortpflanzung oder Überlebensfähigkeit davon in irgendeiner Art und Weise betroffen, kann dies zum Auslöschen der Population führen. Andere Anwendungen zielen auf die Verbreitung gewünschter Merkmale in einer Population. Zurzeit werden Lebewesen mit kurzen Generationswechseln als Zielorganismen bevorzugt - bei Wirbeltieren würde eine weite Ausbreitung gewünschter neuer genetischer Merkmale schlicht zu lange dauern.

Die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung sieht so viel Potential im gen drive, dass die Ausgaben für ihre Target-Malaria-Initiative auf 75 Millionen US-Dollar mehr als verdoppelt werden sollen. Doch ohne sorgfältige Vorsichtsmaßnahmen könnte sich ein in Umlauf gebrachter gene drive auf unerwartete Weise ändern oder verbreiten.

Gottloses Herummeißeln an der Kathedrale der Evolution?

Kevin Esvelt, Leiter des Sculpting Evolution Labors des MIT Media Lab, das sich in Zusammenarbeit mit acht weiteren Forschungsgruppen für eine Finanzierung durch das Safe-Genes-Programm bewirbt, hält einen Unfall binnen 15 Jahren für möglich, bei dem ein gene drive mit Potential zur globalen Verbreitung aus dem Labor entweicht: "Das wird kein Bioterror, das wird ein Bioerror sein."

Die DARPA selbst war in den letzten Jahren einer der größten öffentlichen Förderer der Forschung zur synthetischen Biologie in den USA, mit Ausgaben von mehr als 100 Millionen US-Dollar allein 2014, bei noch gar keiner Förderung im Jahre 2010. Ziel der synthetischen Biologie: die Erzeugung biologischer Systeme, die in der Natur nicht vorkommen. Die Agentur hat im September 2016 ihr Safe-Genes-Programm angekündigt und plant, mehrere Forscherteams ab 2017 darüber zu finanzieren. "Wenn wir uns als draufgängerische Gen-Ingenieure betätigen, müssen wir genauso aggressiv bei Werkzeugen sein, die diese Änderungen rückgängig machen", findet DARPA-Programm-Managerin Renee Wegrzyn.

Wegrzyns Team prüft derzeit Vorschläge von Forschern außerhalb der DARPA, die "radikal verschiedene" Ansätze entwickeln, um unerwünschte genetische Veränderungen und deren Auswirkungen zu entfernen, zu ersetzen oder zu hemmen, unabhängig davon, ob der Auslöser auf einem Gene-drive-Mechanismus oder einer anderen Art von Gen-Editierung basiert.

Die Suche nach Möglichkeiten, gentechnisch veränderte Gene aus einer Vielzahl von Arten und Lebensräumen zu eliminieren, ist nur einer von drei Schwerpunkten im neuen Programm der DARPA. Ein zweiter Bereich soll als Ergebnis Systeme zur Steuerung und Umkehr von Genbearbeitungswerkzeugen wie CRISPR-Cas9 liefern. Dies könnte zum Beispiel der Entwurf eines Gen-Editors sein, der nur in einer Art von Gewebe funktioniert. Oder wie vom Esvelt-Labor 2016 vorgeschlagen, könnten Gene-drive-Komponenten aufgeteilt und über ein Genom verstreut werden, so dass der Mechanismus nur lokal begrenzt wirkt und mit dem Voranschreiten der Generationen aus dem Genpool verschwindet - so ließe sich ein globaler gene drive vermeiden.

Schließlich werden Forscher mit der Entwicklung von kleinen Molekülen, Antikörpern oder anderen Mitteln zur Ausstattung von Organismen beauftragt, die damit auf molekularer Ebene gegen Gen-Editoren rebellieren können. Außerdem sollen Wege gefunden werden, um die vielversprechendsten dieser Inhibitoren zellulären oder tierischen Wirten zuzustellen - oral vielleicht, oder durch speziell dafür entwickelte Viren.

Um die Finanzierung durch das Safe-Genes-Programm beanspruchen zu können, müssen auf Gene-drive-Technologie fokussierte Forscherteams auch an deren Kontrolle und mindestens einem der anderen Schwerpunkte des Programms wie an möglichen Sanierungsmaßnahmen oder Inhibitoren arbeiten. Alle vom Programm unterstützten Projekte beginnen mit der mathematischen Modellierung und dem Testen in geschlossenen Systemen. Komplexität und Skalierung sollen nur dann erhöht werden, wenn aufgetretene Probleme in der weniger riskanten Umgebung behoben wurden.

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