Frankreich überprüft Migranten demnächst in Afrika

Markt in Niger (Maradi). Foto: annevbast / CC BY 2.0

"Schutzmissionen": Macron bietet für die nächsten zwei Jahre 3.000 Flüchtlingen aus dem Tschad und Niger eine Umsiedelungsmöglichkeit an. Auf der Dringlichkeitsliste des UNHCR stehen 94.000

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

In den nächsten Wochen werde die für Asylgesuche zuständige französische Flüchtlingsbehörde Ofpra (Office français de protection des réfugiés et apatrides) Büros in Niger und im Tschad eröffnen, kündigte der französische Präsident gestern an. Aufgabe der dorthin entsendeten Mitarbeiter sei es, die Asylberechtigung von Personen zu überprüfen, die auf Vorschlagslisten des UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) erstellt worden sind.

"Die Dinge schreiten voran. Gespräche mit Niger und Tschad haben uns in den letzten Wochen extrem konkrete Umsetzungen erlaubt", sagte Macron bei seiner Pressekonferenz. Die Superlativversion "extrem konkret" lässt aufmerken. Feststeht nämlich noch nicht so viel.

So wurde ein etwas präziserer Zeitraum für die Eröffnung einer "Mission" der Ofpra nur für den Niger bekannt gegeben. Dazu heißt es im Wortlaut aus dem Umkreis des Präsidenten, "dass Ofpra die Durchführung einer ersten Mission Ende Oktober im Niger ins Auge fasst". Aus dem Tschad gibt es noch gar kein Datum. Auch der bei der Pressekonferenz ebenfalls anwesende Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, Filipo Grandi, wird nur mit einer Äußerung zum Niger zitiert.

Grandi lenkt den Blick auf den solche noch zu klärenden Details überragenden grundsätzlichen Erfolg: Dass es eine Präsenz in den Ländern geben wird, die es gestattet, den Ländern dabei zu helfen, den Strom der Migranten besser zu regeln und den Migranten über die Präsenz vor Ort Lösungen anzubieten, "seien sie lokal, sei es eine Umsiedlung in Drittländer".

Prinzipiell ist der Ansatz klar. Macron hatte in den letzten Wochen betont, dass künftig Wirtschaftsflüchtlinge genauer von denjenigen Migranten unterschieden werden sollen, die um Asyl ersuchen und Aussichten darauf haben, diesen Status zu erlangen. Eine Vorabprüfung solle möglichst schon in Afrika erfolgen. Macron brachte vor Wochen schon die Einrichtung entsprechender Überprüfungsmissionen im Niger, im Tschad und in Libyen in die Debatte.

Die Einrichtung von sogenannten Hotspots in Libyen sei gegenwärtig unmöglich, hieß es dann. Der "Flüchtlingsgipfel" Ende August, bei dem sich die Regierungschefs aus Deutschland, Italien, Frankreich und die EU-Außenbeauftragte Mogherini mit den Staatschefs von Niger, Tschad und Libyen in Paris trafen, legte die Grundlagen für die Verwirklichung des Konzepts der Überprüfung der Asylansprüche oder des Flüchtlingsstatus schon in afrikanischen Ländern.

Gekoppelt wurde dies mit dem Versprechen, dass mit diesem Verfahren Migranten legal nach Europa kommen können, "wenn sie Kriterien des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen entsprechen". Die Überschrift dazu heißt: "Schutzmissionen".

Macron nannte gestern eine Zahl für Frankreichs Aufnahmebereitschaft für Flüchtlinge, die umgesiedelt werden: 10.000 Plätze werde man die nächsten zwei Jahre für sie bereit halten "aus dem Tschad, aus dem Niger, aber auch aus der Türkei, aus dem Libanon und Jordanien". Diese Kontingentlösung präzisierte dann Innenminister Gérard Collomb noch mit Zahlen für die Schutzmissionen der Ofpra im Niger und dem Tschad: 3.000 will man in Frankreich einreisen lassen.

Diese Zahl ist erheblich geringer als die Zahl derjenigen, die der Sondergesandte des UNHCR, Vincent Cocherel, kürzlich für seine Liste der "verwundbaren Personen" angab, "die einen Transfer benötigen". Ende September sprach Cocherel von 83.500 Personen im Tschad und 10.500 im Niger, die als "personnes vulnérables" auf der Liste des UNHCR stehen.

Diese Personen müssten dringend nach Europa, die Liste, die vom UNHCR mit Sorgfalt erstelllt worden sei, so Cocherel am 22.September, würde nach Paris an Ofpra zur Überprüfung geschickt. Vertreter der Ofpra würden sich die Personen dann vor Ort anschauen und überprüfen. Dies ist dann anscheinend die erste Aufgabe der Ofpra-Mission im Tschad.

Nicht klar wird aus den bisherigen Berichten, ob Ofpra auch für die anderen europäischen Länder Überprüfungen übernimmt. Angesichts des französischen Angebots, in den nächsten zwei Jahren 3.000 Flüchtlinge oder Migranten im Rahmen eines Umsiedlungsprogramms aus dem Tschad und dem Niger nach Frankreich kommen zu lassen, bleiben noch zusammengerechnet 91.000 Flüchtlinge auf der Liste, deren Umsiedlung das UNHCR für dringend geboten hält.

Sollen diese dann auf die anderen europäischen "Schutzmission"-Konferenzteilnehmerländer Deutschland, Italien und Spanien verteilt werden? Schicken diese Länder dann ebenfalls Behördenvertreter zur Unterstützung des Ofpra-Personals in den Tschad oder später dann nach Niger? Es ist kaum vorstellbar, dass das Ofpra-Personal derart viele Personen auf der UNHCR-Liste überprüfen kann.

Vieles ist also noch offen trotz der "extrem konkreten Umsetzungen", von denen Macron sprach. Dazu kommt noch, wie der UNHCR-Sondergesandte äußerte, das Problem der Migranten in Libyen. Zwischen 7.000 und 9.000 Migranten und Asylsuchende sind nach seiner Schätzung in "offiziellen Gefängnissen" eingesperrt, 390.000 sollen sich im Land aufhalten.

Zu diesen Angeben liefert Cochetel noch einen Aspekt, der in der größeren Öffentlichkeit selten erwähnt wird: Dass 56% der Migranten in Libyen behaupten würden, dass sie damit ihr Ziel der Reise erreicht hätten. "Sie hofften darauf dort Arbeit zu finden, was viele unter ihnen nicht verwirklichen konnten", so Cochetel. Das IOM habe in diesem Jahr 3.000 Personen, die in Libyen angekommen waren, dabei geholfen, wieder nach Hause zurückzukehren.

Der französische Präsident Macron kündigte an, dass die Regierung im Gegenzug zu ihrer Aufnahmebereitschaft bei den Schutzmissionen, künftig sehr viel rigoroser bei den Rückführungen vorgehen werde ("Accueillir mais aussi expulser d'une manière beaucoup plus rigoureuse").