Saudi-Arabien mit Nuklearambitionen

Korantor, Ortseingang von Mekka Bild: Rowan5j, CC BY-SA 4.0

Der größte Erdölexporteur der Welt will den Weg für einen reibungslosen Übergang in eine kohlenstoffarme Wirtschaft ebnen. Kernenergie steht auf dieser Agenda ganz oben

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Elektrizitätsengpässe sind im Königreich Saudi-Arabien an der Tagesordnung, der Pro-Kopf-Verbrauch ist in den vergangenen zehn Jahren nach Weltbank-Daten um rund 50 Prozent gestiegen (2014: 9.4 MWh, zum Vergleich: der deutsche Pro-Kopf-Verbrauch lag im gleichen Jahr bei 7 MWh). Deshalb wollen die Saudis in den kommenden zwei Jahrzehnten massiv in ihre Energie-Infrastruktur investieren. Die gegenwärtige Gesamtleistung des Netzes von 55 Gigawatt soll dabei schrittweise verdoppelt werden. 40 GW sollen über Solarenergie ans Netz gehen. Weitere 17 GW könnten ab 2032 durch Atomkraftwerke beigesteuert werden - sie sollen die Grundlast eines künftigen Energiemixes sicherstellen. Saudi-Arabien hat eine Großeinkaufstour angekündigt: im Königreich wird der Bau von 16 Kernkraftwerken diskutiert, es stehen geplante Baukosten von mehr als 80 Milliarden US-Dollar im Raum.

Bis zum Jahresende sollen Verträge für zunächst zwei Kernkraftwerke unter Dach und Fach sein, so Reuters. Die sollen dann im Verbund 2.8 GW liefern.

Angebote für diese ersten Projekte werden von nationalen Konsortien aus den USA, China, Frankreich, Japan, Russland und Südkorea erwartet.

Die Pläne Saudi-Arabiens sind nicht neu. Bereits 2012 kursierten Berichte zum angedachten Bau der Reaktoren. 2011 hatte die saudische Regierung einen Pakt für Kernenergie mit Frankreich geschlossen, der zur Entwicklung von technischen Fähigkeiten und der Ausbildung von Fachpersonal sowie der Weitergabe von Wissen über die friedliche Nutzung der Kernenergie dienen soll. 2015 schließlich war durchgesickert, dass die Pläne zur Entwicklung der Kernenergie länger für ihre Verwirklichung brauchen würden als zunächst angenommen. Die Regierung und andere Interessengruppen hatten ihren Ausblick mit der Erwartung revidiert, dass die geplante nukleare Energieerzeugung nicht vor 2040 ans Netz gehen würde.

Weitere Länder des Nahen Ostens entwickeln nationale Atomprogramme, unter anderem Jordanien und die Vereinigten Arabischen Emirate. Ägypten will noch in diesem Jahr seinen ersten Atomreaktor ans Netz bringen.

2006 gaben die sechs Mitgliedsstaaten des Golf-Kooperationsrates (GCC - Gulf Cooperation Council) - Bahrain, Katar, Kuwait, Oman, Saudi-Arabien und Vereinigte Arabische Emirate - bekannt, dass der Rat eine Studie zur friedlichen Nutzung der Kernenergie in Auftrag gegeben hatte. 2007 einigten sich diese Staaten mit der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA - International Atomic Energy Agency) auf eine Machbarkeitsstudie für ein regionales Programm zur Kernenergie und zur Entsalzung, wobei Saudi-Arabien die Untersuchungen leitete.

Doch der GCC, einst zum Schutz der Golfmonarchien vor den Schockwellen der iranischen Revolution 1979 zusammengetreten, schwächelt. Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate hatten im Dezember 2017 bekanntgegeben, von nun an nur noch zu zweit enger kooperieren zu wollen (): die Katar-Krise stellt die Zukunft des GCC in Frage.

"Atoms for Peace"?

Saudi-Arabien hat den Atomwaffensperrvertrag ratifiziert und ist Mitglied eines Zusammenschlusses von Staaten, die eine atomwaffenfreie Zone im Nahen Osten anstreben. Trotzdem tauchen seit Mitte der 1990er Jahre immer wieder Gerüchte auf, nach denen sich das Land Atomwaffen beschaffen will.

2008 hatten die USA und Saudi-Arabien in Anlehnung an das "Atoms for Peace"-Programm der Vereinigten Staaten aus den 1950er Jahren eine Absichtserklärung unterzeichnet, die eine Intensivierung der saudischen Bemühungen um ein ziviles Nuklearprogramm zum Ziel hat.

"Atoms for Peace" basierte seinerzeit auf Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und an einer Nutzung der Kernenergie interessierten Entwicklungsländern; als Startschuss des Programms gilt eine gleichnamige Rede des US-amerikanischen Präsidenten Dwight D. Eisenhower, 1953 vor der UN-Vollversammlung in New York gehalten, Thema: Risiken und Hoffnungen einer nuklearen Zukunft. Das Programm war Teil von "Operation Candor", einer PR-Kampagne der US-amerikanischen Regierung. "Atoms for Peace" sollte die Weltöffentlichkeit davon überzeugen, dass den USA mehr am Frieden als am Krieg gelegen war.

Im Rahmen des "Atoms for Peace"-Programms stellten die USA Forschungsreaktoren und Brennstoff zur Verfügung und unterstützten die wissenschaftliche Ausbildung. Im Gegenzug verpflichteten sich die Partnerstaaten, die Technologie nur für friedliche, zivile Zwecke zu nutzen - außerdem erwarteten die USA Unterstützung beim Erreichen politischer und strategischer Ziele. So entstanden die ersten Kernreaktoren Irans, Israels und Pakistans.

Sie wurden von American Machine and Foundry (AMF) gebaut. Das Unternehmen ist eher bekannt als Betreiber von Bowlingcentern, stellte jedoch von der dafür benötigten Ausrüstung über Garten- und Freizeitausrüstung sowie Yachten bis hin zu Atomreaktoren und unterirdischen Abschussbasen für Titan I-Interkontinentalraketen einiges mehr her und war in den 1950er und 1960er Jahren Teil des militärisch-industriellen Komplexes der Vereinigten Staaten.

Das "Atoms for Peace"-Programm kam in die Kritik, weil es die nukleare Proliferation durch die Verbreitung von Dual-Use-Nukleartechnologien förderte. Die teilnehmenden Länder wurden in die Lage versetzt, sich die notwendigen Technologien und Materialien für die Entwicklung eines Atomwaffenprogramms zu beschaffen.

Saudisches Eigenuran als Brennstoff?

Saudi-Arabien will eigenes Uran gewinnen, um das Atomprogramm voranzubringen und um bei der Produktion von Kernbrennstoff autark zu werden. Das hatte Hashim bin Abdullah Yamani, Chef der mit den Atomplänen betrauten saudischen Regierungsbehörde KACARE (King Abdullah City for Atomic and Renewable Energy), auf der im Herbst 2017 in Abu Dhabi stattfindenden Internationalen Ministerkonferenz zur Kernenergie im 21. Jahrhundert angekündigt.

60.000 Tonnen Uranerze sollen wirtschaftlich förderbar unter dem Wüstenboden Saudi-Arabiens lagern. Der Uranreichtum des Königreichs kommt überraschend, denn der tauchte bislang nicht im Roten Buch auf, in dem Nuclear Energy Agency (NEA) und IAEA regelmäßig die Analysen und Informationen zu Uranvorräten und Verbrauch zusammenfassen. Anders als beispielsweise im Fall von Nachbar Jordanien, der 2015 auf gemeldeten 47.700 Tonnen Uran-Reserven saß.

Geologen wissen um eine Diskrepanz zwischen publizierten Meldungen und Daten aus der in den Ländern des Nahen Ostens vorliegenden wissenschaftlichen Literatur - die Suche nach Uran befindet sich hier noch in einem relativ frühen Stadium.

Der Saudi Geological Survey (SGS) hatte im Dezember 2017 den Beginn der Suche nach Uran- und Thoriumvorkommen in der Provinz Ha'il bekanntgegeben.

Integrated Nuclear Fuel Cycle Information Systems, eine IAEA-Datenbank mit technischen und statistischen Informationen zu weltweiten Aktivitäten rund um Kernbrennstoffe, hat bisher einige saudische Uran-Lagerstätten gelistet, von denen nur die Tantalmine in Ghurayyah in der Provinz Tabuk in der Erkundungsphase ist.

MBS: Der Kronprinz und die Saudi Vision 2030

Die Vision 2030 des Kronprinzen Mohammed bin Salman al-Saud (MBS) strebt wirtschaftliche, soziale und religiöse Veränderungen an (Träume aus tausend und einer Marktwirtschaft. Der Plan ist, das saudische Leben zu verändern, indem eine Wirtschaft jenseits des Öls geschaffen wird, die die saudische Beschäftigung erhöht und die Bildung, Gesundheit und andere öffentliche Dienstleistungen verbessert. MBS ist seit 2015 Vorsitzender des als Folge des gefallenen Ölpreises neu geschaffenen Rats für Wirtschaft und Entwicklung.

Ähnliche Entwicklungspläne saudischer Regierungen gibt es seit Jahrzehnten. Auch sie hatten dazu aufgerufen, die Abhängigkeit vom Öl zu verringern und den Anteil der saudischen Beschäftigung zu erhöhen - mit wenig Wirkung.

MBS selber ist umstritten. In seine Amtszeit als Verteidigungsminister fällt der 2015 vom Zaun gebrochene Krieg gegen den Jemen. Der versprochene kurze Waffengang verwandelte sich in einen langwierigen, desaströsen Abnutzungskrieg, der den Saudis bereits dutzende Milliarden von US-Dollar und tausenden jemenitischen Zivilisten das Leben kostete. Der Jemen wurde in eine humanitäre Katastrophe gestürzt. Militärbeobachter bemängeln unter anderem eine schlechte Koordination der eingesetzten Truppenteile - MBS leitete die Operationen zeitweise von den Malediven aus und war für seine Verbündeten nur schwer zu erreichen. Doch der Kronprinz ist angetreten, den Einfluss des Irans im Nahen Osten zurückzudrängen: sei es im Irak, im Jemen, im Libanon oder in Syrien.

Außerdem hat der Thronfolger das Staatsbudget zusammengestrichen, Staatsverträge eingefroren und die Löhne der Zivilangestellten gekürzt. Diese Maßnahmen sind Teil drastischer Sparmaßnahmen, das Land leidet unter den niedrigen Ölpreisen auf dem Weltmarkt. Und trotzdem leistet es sich das viertgrößte Rüstungsbudget der Welt.

Im Rahmen einer Antikorruptionskampagne ließ MBS im November 2017 elf Prinzen sowie eine ganzen Reihe von Regierungsbeamten und prominenten saudischen Geschäftsleuten verhaften. Diese können sich durch Überschreibung eines Großteils ihrer Vermögen freikaufen. Unter den Festgenommen: Bakr Bin Laden, Vorstandsvorsitzender der Binladin-Gruppe, dem größten Bauunternehmen des Landes, sowie weitere Mitglieder der Bin Laden-Familie. Der saudische Staat hat mittlerweile die Kontrolle des Unternehmens übernommen.

Auf der anderen Seite ist der dynamische Blaublüter für seine extravaganten Einkaufstouren bekannt: 2015 erwarb er beispielsweise für mehr als eine halbe Milliarde US-Dollar die 133-Meter-Yacht SERENE. Im November 2017 ersteigerte er für 450 Millionen US-Dollar "Salvator Mundi", ein Ölgemälde von Leonardo da Vinci. Und erst im Dezember 2017 hatte die New York Times enthüllt, dass MBS 2015 auch hinter dem Kauf der bislang teuersten Wohnimmobilie der Welt steckte, dem Château Louis XIV in Louveciennes, ganz in der Nähe von Paris gelegen, Kaufpreis: 300 Millionen US-Dollar.

Die Frage, die sich viele Bobachter stellen: Wird es dem energischen Kronprinzen gelingen, einen neuen Weg für das Königreich zu finden, oder wird seine Impulsivität und Unerfahrenheit die größte Wirtschaft der arabischen Welt in einer Zeit der Unruhe im Nahen Osten weiter destabilisieren?

Staatlicher Ölförderer Saudi Aramco vor Börsengang

Auch die Nuklearpläne haben in die Vision 2030 Eingang gefunden. Sie zielen unter anderem auch darauf ab, die Bedeutung fossiler Brennstoffe für den saudischen Energiemix von 75 Prozent auf 40 Prozent zu senken. Erste Schritte sind im National Transformation Program 2020 festgeschrieben. Kernkraft und Solarenergie spielen bei diesen Plänen eine große Rolle, doch zur Umsetzung ist ein erfolgreicher Börsengang von Saudi Aramco im Jahr 2018 erforderlich.

Der Börsengang, der größte seiner Art in der Finanzgeschichte, würde privaten Investoren nur fünf Prozent des Ölriesen zugänglich machen. Dennoch garantiert das Volumen der Unternehmens-Assets genügend Kapital, das für die Energiepläne benötigt wird: zur Umschulung saudischer Arbeitskräfte, zur Entwicklung eines Dienstleistungssektors, zur Zurückdrängung des Einflusses der Interessengruppen aus dem Ölsektor.

Außerdem sollen noch in diesem Jahr Gesetze für das Atomprogramm verabschiedet und Vorschriften für die neue Atombehörde erlassen werden. Die IAEA wurde ebenfalls aufgefordert, im zweiten Quartal 2018 eine integrierte Überprüfung der saudischen nuklearen Infrastruktur durchzuführen.