Misstrauensantrag: Kurz muss zurücktreten

Der Nationalrat sprach dem Kanzler und seinen MinisterInnen auf Antrag der SPÖ mit breiter Mehrheit sein Misstrauen aus. Nationalratssitzung am 27.5. 2019. Bild: Parlamentsdirektion / Thomas Topf

Zum ersten Mal geht ein Misstrauensantrag durch. Ein wildes Spiel an Anschuldigungen hat begonnen, dem Land steht ein hitziger Wahlkampf bevor

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Die Ausgangslage ist komplex und trotzdem war die heutige Reaktion des Parlaments im Grunde simpel und leicht nachvollziehbar. Ein Misstrauensantrag spricht das Misstrauen gegen den aktuellen Kanzler Sebastian Kurz aus und könnte als Instrument nicht treffender sein, denn die Parlamentarier vertrauen dem Kanzler schlicht nicht mehr. Wie könnten sie auch? Sie tun dies aber aus sehr unterschiedlichen Gründen.

Kurz hat die FPÖ vermutlich durch die Neuwahlen über den Löffel balbiert, weil er ihnen zunächst eine Fortführung der Koalition nach dem Abtritt des starken Mannes der FPÖ HC Strache angeboten hatte. Dann hatte aber Kurz - obwohl er dies explizit dementiert - auch noch den Kopf des Innenministers Kickl gefordert und dessen Ministerium für die ÖVP reklamiert, woraufhin sich die FPÖ zum Kampf entschied.

Kurz wirft nun seinen Gegnern im Parlament Rachegelüste vor, was die FPÖ doppelt trifft. Schließlich werden der FPÖ die eineinhalb Jahre "Neuer Stil" und Harmonie nicht leicht gefallen sein, sie hat diese aber vergleichsweise diszipliniert durchgestanden. Dadurch fühlt sie sich aus ihrer Sicht einerseits blamiert, weil sie von Kurz heute als unverantwortliche Desperados darstellt werden, und andererseits, weil sie Kurz lange brav "Pfötchen" gegeben haben.

Neben diesem Kernkonflikt, der Vertrauenskrise der ehemaligen Koalitionäre, gehen die Sorgen der anderen Parteien beinahe unter. Die SPÖ, die sicherlich lange nach deeskalierenden Maßnahmen Ausschau hielt, fühlte sich letztlich wohl zu sehr provoziert. Beispielsweise durch den Vorwurf, das Ibiza-Video könne aus der SPÖ und von ihrem ehemaligen Berater Tal Silberstein lanciert worden sein. Die Gesprächsangebote von Kurz erschienen der Partei wie Fototermine, bei denen Selbstverständlichkeiten verlautbart wurden. Dann wurden den neuen Mitgliedern der Expertenregierung Kurz-Vertraute an die Seite gestellt. Der Optik nach sei dies, laut SPÖ, also eine Alleinregierung der ÖVP.

Deswegen wurde der Misstrauensantrag der Liste Jetzt, der nur den Kanzler betraf, durch einen Misstrauensantrag gegen die ganze Regierung erweitert. Der Gründer der Liste Jetzt, Peter Pilz, versuchte in der Parlamentsdebatte herauszustreichen, dass die Steuersenkungen, für die sich Strache laut Ibiza wollte schmieren lassen, tatsächlich von Kurz geliefert wurden. Das daraus entstehende enorm schiefe Licht müsste doch der Volkspartei unangenehm sein.

War es aber nicht. Die ÖVP, die nach dem furiosen Wahlerfolg bei der EU-Wahl vor Kraft kaum laufen kann, meinte sich um all dies zunächst nicht kümmern zu müssen, sondern verwies auf eine spätere lückenlose Aufklärung. Ihr ist offenkundig etwas anderes viel wichtiger. Sie arbeitet unermüdlich und sehr erfolgreich an der Verbreitung ihrer Sicht der Krise, die sie zu einer Staatskrise rhetorisch überformt, um damit die anderen als unverantwortlich und sich selbst als staatstragend darzustellen.

Das ist Österreich

Die ÖVP meinte, im Bundespräsidenten einen Verbündeten gefunden zu haben. Deshalb lag wohl eine der wesentlichen Verteidigungsstrategien der ÖVP während der Parlamentsdebatte in dem wiederholten und überschwänglichen Lob des Bundespräsidenten. In Österreich obliegt dem Bundespräsidenten die Bürde der direkten Wahl, er muss sich also in einer Mediendemokratie unerbittlichen Societykriterien stellen, um gute Presse zu haben.

Der frühere Präsident Thomas Klestil gelobte die erste ÖVP-FPÖ Koalition, das Kabinett Schüssel 1, mit versteinerter Miene an, was ihm bis zum Tod (er starb zwei Tage vor dem Ende seiner Amtszeit) vorgehalten wurde. Van der Bellen scheint in dieser Sache überzukompensieren, sein Umgang auch mit Vertretern der FPÖ ist an Herzlichkeit kaum mehr zu überbieten. Die nötige Distanz der staatlichen Instanzen droht in einem "Man-kennt-sich-ja-eh" unterzugehen.

Dies ist allerdings wiederum Teil der Kurzschen Vermarktungsstrategie, der als Kanzler der Harmonie zu punkten trachtete und dies anscheinend auch tut. Deswegen erscheint es nun also so, als würde sich der Präsident Alexander Van der Bellen von Kurz vor "den Wagen spannen lassen", wenn er mit dem letztlich nicht stichhaltige Argument der Stabilität auftritt. Denn eigentlich muss er wissen, dass die Abberufung einer Regierung in einer Demokratie intendiert ist und die Logik eines Misstrauensvotum wäre eigentlich selbsterklärend.

Die zusätzlichen melodramatische Ansagen Van der Bellens, dass das in dem Video gezeigte "nicht Österreich sei", schlagen in die selbe emotionale Kerbe, in die auch die ÖVP und Kurz dreschen. Der Präsident, der ehemals Vorsitzender der Grünen gewesen ist, ließ bereits in seinem Wahlkampf aufhorchen mit einem für das grüne Unterstützerumfeld irritierenden Österreich-Heija-Popeija, wie etwa Wahlplakate mit Hund vor Bergkulisse und rot-weiß-roter Banderole. Man ließ es ihm als Wahlkampftaktig durchgehen, nun scheint sich zu zeigen, wie stark das Amt einen Menschen ändert.

Wäre damals der ÖVP-Kandidat Andreas Khol (der "Architekt" der ersten Koalition von ÖVP und FPÖ) in die Hofburg eingezogen, er könnte heute nicht verknöcherter argumentieren als Van der Bellen. Die ÖVP goutiert dies, was als eine Wahltaktik in eigener Sache des Präsidenten gelesen werden. Genutzt hat dies Kurz aber nichts. Heute wurde er kurz nach 16 Uhr als erster Kanzler in Österreich mit den Stimmen aller Parlamentarier, außer denen von ÖVP und NEOS, abgewählt.

Sitzung des Nationalrates, Public Viewing. Bild: Parlamentsdirektion / Thomas Jantzen

Wie geht es weiter für Kurz?

Offenkundig hat Sebastian Kurz nahezu das ganze Parlament gegen sich außer der eigenen Fraktion. Nur, wie entscheidend ist dies? Die Rede von Sebastian Kurz macht deutlich, dass er versucht, das Parlament gegen die Bevölkerung auszuspielen. Im Herbst sei das Volk gefragt und es würde entscheiden, meinten Kurz und andere Sprecher der ÖVP siegesgewiss, wohl bestärkt durch den EU-Wahlerfolg vom Vortag.

Damit wird eine tatsächlich gefährliche Opposition aufgebaut. Das Argument, die Menschen da draußen würden die parlamentarische Opposition nicht verstehen, ist so etwas wie das Einmaleins der Demagogie. In einer repräsentativen Demokratie wählt die Bevölkerung das Parlament, nicht die Regierung, und bei dieser Wahl gibt es immer eine Vielzahl von Beweggründen.

Kurz versucht den Wahlgang im Herbst zu nicht weniger als einem Entscheid über die Wirklichkeit zu machen. Würden die Wählerinnen und Wähler ihn wählen, dann sei damit implizit auch ein Urteil über den Ibiza-Skandal gefällt: "Die FPÖ war’s und Kurz hat alles richtig gemacht." Die Beurteilung der komplexen Vorgänge, die zu den Aussagen des späteren Regierungsmitglieds Strache geführt haben, kann aber nur - sofern sie nicht strafrechtlich relevant sind und Ermittlungsbehörden bearbeitet werden - durch das Parlament geleistet werden. Hier müsste durch Rede und Gegenrede vermittelt und bewertet werden, welche Konsequenzen zu ziehen sind, wie etwa eine Änderung der Parteienfinanzierung. Und die Ergebnisse müssten dann in Gesetze gegossen werden. Daran hat Sebastian Kurz erkennbar kein Interesse. Die FPÖ unterstellt ihm sogar explizit in den Worten des ehemaligen Innenministers, Kurz wolle "Verschleiern, Verhindern und Zudecken". Vermutlich ist dies aber gar nicht die eigentliche Intention des Ex-Kanzlers.

Im Laufe seiner Karriere hat Kurz viele Strategien von der FPÖ übernommen, so droht er auch aktuell wieder, bei passender oder nicht-passender Gelegenheit, mit den Gefahren von Überfremdung und "illegaler Migration". In der Wortwahl wohl tut er dies wohl eleganter und weniger polternd, aber er zielt dabei auf dieselben Befindlichkeiten.

Er ist aber auch längst ein Vertreter des "unendlichen Wahlkampfs" geworden, den die FPÖ seit Jörg Haider führt. Da die politische Arbeit in der FPÖ und auch der Kurz-ÖVP im Wesentlichen auf die rhetorische Zuspitzung ausgerichtet sind und somit letztlich auf eine Message, die auf ein Plakat passt, brauchen die Parteien mit dieser Ausrichtung den ständigen Wahlkampf. Im Wahlkampf ist es legitim, den griffigen Spruch unter die Gesichter der Parteivertreter zu kleben, um die möglichst simple Botschaft in der Bevölkerung zu verankern. H C Strache grinste zeitweilig bei jeder Wahl im Land vom Plakat herab, auch wenn er in den meisten Fällen nicht zur Wahl stand.

Kurz' Regierungsarbeit schien somit schon immer bereits auf dem Absprung zur nächsten Neuwahl. Denn erst mit dem Wahlkampf kann er wieder jene Publicityfähigkeiten ausspielen, die im Klein-Klein des täglichen Regierens und dessen notwendiger Ambivalenzen untergehen. Ermüdend lange Parlamentsdebatten sind nichts für Kurz, innerhalb deren eruiert wird, wer was wie sieht oder wer - im Fall von Untersuchungsausschüssen - was gewusst oder gesagt hat und wem Geld bezahlt wurde. Kurz weiß, dass es hier nichts zu gewinnen gibt, sondern er in der Öffentlichkeit nur verlieren kann. Jede Positionierung könnte später gegen ihn verwendet werden. Kurz macht lieber Wahlkampf, denn dort dürfen die Parteien wieder alles auf große Sprüche reduzieren. In diesem populistischen Wettstreit haben rechte und rechtsautoritäre Parteien immer eine Bahn Vorsprung, weil ihre Themen einfach griffiger sind

Was tut die SPÖ?

Die Lage der SPÖ ist somit verzweifelt. Man will jetzt laut Aussage des EU-Spitzenkandidaten Andreas Schieder nicht taktieren, sondern wolle "nun dem Herzen folgen". Dieses Herz wird man wohl Ende September an der Biegung des Flusses begraben dürfen.

Es scheint kein Ankommen gegen Kurz, seine Erzählung ist gut verankert, dass er Garant der Stabilität sei, die Solidarisierung mit dem Kanzler ist beachtlich. Auch aus Kreisen der SPÖ-Wählerschaft sind Stimmen zu vernehmen, man dürfe jetzt nicht weiter spalten. Diese Auffassung von Parlamentarismus versucht, bestehende Konflikte mittels einer falschen Versöhnung zum angeblichen Wohl des Landes zu überdecken. Implizit schwingt dabei Obrigkeitshörigkeit mit - und genau diese nutzt Kurz.

Deswegen ist es wohl, trotz des gewissen Beigeschmacks der Verzweiflungstat, der richtige Versuch der SPÖ, Kurz aus dem Kanzleramt zu wählen. Denn dieser würde das Amt erbarmungslos mittels "Kanzlerbonus" nutzen. Kurz spielt den Stabilen, den Harmonischen und den nahezu gottgegebenen Kanzler. Eine darin verborgene Pointe ist in der österreichischen Bevölkerung noch nicht gezündet, dass nämlich die Freundlichkeit eben ein Spezifikum der Freunderlwirtschaft ist, also des wechselseitigen Zuschusterns von Aufträgen und Ämtern. Und deswegen müsste sich Kurz fragen lassen, weshalb er immer noch die Harmonie mit den mutmaßlichen Straftätern der FPÖ lobt.

Nun hat Kurz aber sein Amt verloren, wodurch eine Dynamik entstehen könnte, die das Rennen wieder offener macht. Zwar gibt es in der SPÖ die Bedenken, Kurz könnte dem katholischen Publikum ein Passionsspiel aufführen, doch muss dieser theatralische Effekt des zu Unrecht des Amtes enthobenen braven Kanzlers in drei Monaten Wahlkampf irgendwann ausgelutscht sein.

Rein praktisch verlieren Kurz und die ÖVP jetzt den enormen Medienapparat des Kanzleramtes, der Mitarbeiter bereitstellt und kostenlose "Airtime" garantiert. Wie sehr ihm dies schadet oder ob die ÖVP nicht doch wieder die nötigen Millionen für einen großen und clever durchgetakteten Wahlkampf aus dem Hut wird ziehen können, werden die nächsten Wochen zeigen.

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