US-amerikanische Gefängnisse: Instrumente sozialer Kontrolle

Bild: Hédi Benyounes/Unsplash

Corona hat das Justizsystem an seine Grenze gebracht und die Gefängnisse geleert. Das Geschäft mit der Freiheit macht die Diskriminierung der unteren Schichten noch offensichtlicher

Wie zu erwarten, hatte sich das Virus in den überfüllten Strafanstalten schnell ausgebreitet und die menschenunwürdigen Haftbedingungen soweit verschlimmert, dass Gefangene in Anstalten wie in St. Louis keine andere Möglichkeit sahen, als durch gewaltsame Aufstände auf sich aufmerksam zu machen.

Letztes Jahr warteten 470.000 Menschen in amerikanischen "Jails", also Untersuchungshaft-Anstalten, auf ihren Gerichtstermin, - und das oft für viel zu lange Zeit. Das zuvor schon überlastete Gerichtssystem kam durch die Pandemie geradezu zum Erliegen. Viele der eventuell zu Unrecht Angeklagten sahen sich der Gefahr einer Ansteckung im Gefängnis ausgesetzt ohne dabei auf einen baldigen Gerichtstermin, und damit auf eine potentielle Freilassung, hoffen zu können.

Die Strafjustiz musste Konsequenzen ziehen. Wegen der hohen Fallzahlen von Corona-Erkrankungen und Todesfällen in Folge der Infektion war sie gezwungen, einige Insassen, die nicht allzu schwerer Vergehen angeklagt waren, aus der Untersuchungshaft zu entlassen. In der Folge sank die Anzahl der Inhaftierten in amerikanischen Jails von Juni 2019 bis Juni 2020 um 25 Prozent.

Die Pandemie hat erreicht, was viele, die für Menschenrechte aktiv sind, seit langem fordern: Menschen, die in den USA nur leichter Vergehen angeklagt sind und deren Fluchtgefahr als niedrig eingestuft wird, können den menschenunwürdigen Lebensumständen der Haft bis zu ihrer Verurteilung entgehen.

Ein Privileg, das sich zuvor nur wenige über eine Kaution leisten konnten. Da diese, je nach Richter, Bundestaat und Straftat, sehr hoch angesetzt werden kann, verfügen nur wenige Privatpersonen über die nötigen finanziellen Mittel, auf diesem Wege ihre Freiheit zu wahren.

Sind aber Angst und Verzweiflung groß genug, was angesichts der Haftbedingungen in den Vereinigten Staaten nur allzu verständlich ist, gibt es für den ärmeren Teil der Bevölkerung nur einen Ausweg: die Dienste eines Kautionsagenten in Anspruch zu nehmen, der die benötigte Summe gegen eine Gebühr und Zinsen zu Verfügung stellt.

Das Geschäft mit der Freiheit von Menschen macht die Diskriminierung der unteren Schichten so offensichtlich, dass sich das höchste Gericht Kaliforniens Ende März gezwungen sah, in einem Urteilsspruch zu verkünden, es sei illegal, wenn Menschen hinter Gittern säßen, nur weil sie sich die Kaution nicht leisten können.

Das Urteil schafft das Kautionssystem nicht ab, sondern berechtigt Angeklagte lediglich zu einer richterlichen Anhörung bezüglich einer angemessenen Kautionssumme. Schon vor der Pandemie gab es Angeklagte, die ihre Zeit bis zum Urteilsspruch in Freiheit verbrachten, es waren nur deutlich weniger.

Es ist freilich kaum davon auszugehen, dass die Gefängnisse leer bleiben. Angesichts der rasant ansteigenden Mord-Rate in amerikanischen Städten werden die Rufe nach mehr Polizeipräsenz und mehr Verhaftungen wieder lauter. Der Druck auf die politische Führung steigt also, sich sowohl dem Kriminalitätsproblem als auch einer Gefängnisreform anzunehmen.

Um echten Wandel herbeizuführen, muss es jedoch um mehr als um die, von Präsident Biden angestoßene, Entprivatisierung des Gefängnis-Sektors gehen. Denn, obwohl das Kommerzialisieren von Inhaftierung eine Industrie ist - an Niedertracht kaum zu überbieten -, so ist dies, genau wie die zuvor beschriebene "Kautionsbranche", nicht Grund, sondern Symptom der "Massen-Inhaftierung" von der besonders Afroamerikaner betroffen sind.

Der primäre Zweck des amerikanischen Gefängnissystems ist die Kontrolle derer, die durch Globalisierung und Automatisierung vom Arbeitsmarkt verdrängt und damit ihrer positiven ökonomischen Funktion beraubt wurden.

Aus Sicht der Nachkommen versklavter Afrikaner steht der "Gefängnis-Industrie-Komplex" in einer Tradition rassistischer, staatlich legitimierter Institutionen wie den "Jim Crow" Gesetzen, die dazu dienten, sie trotz Beendigung der Sklaverei in ausbeuterische Arbeitsverhältnisse zu zwingen. Gerade deshalb ist der Fokus vieler Aktivistinnen auf die Ausbeutung durch Gefängnisarbeit mehr als verständlich.

Zwar findet der amerikanische Kapitalismus immer Wege, mit diesem im wirtschaftlichen Sinne "unbrauchbar" gewordenen Teil der Bevölkerung Geld zu verdienen. Aber vorrangig geht es vor allem darum, Armut zu verwalten.

Dies geschieht durch einen andauernden Kreislauf aus Gefängnisaufenthalten und einem Leben in Armut, aus dem viele keinen Ausweg finden. Überwachung und Verwaltung sind die Instrumentarien, nicht die Rehabilitation von Menschen. Eine Entwicklung, die dazu führt, dass sich die Lebensbedingungen in sozial benachteiligten Nachbarschaften kaum mehr von denen in Gefängnissen unterscheiden.

Hierbei spielt besonders die amerikanische Drogenpolitik eine Rolle. Im sogenannten "Krieg gegen die Drogen" ging und geht es besonders darum, Menschen wegzusperren.

In den 1970/80er-Jahren richtete die Crack-Epidemie ganze Wohnviertel und Gemeinden zu Grunde. Damals galt Drogensucht als Problem von Minderheiten in urbanen Zentren. Aktuell wird auch die arme, zumeist weiße, ländliche Bevölkerung zum Opfer amerikanischer Drogenpolitik und vielleicht entwickelt die Öffentlichkeit etwas mehr Mitleid als zu Zeiten von Nancy Reagans "Just Say No"- Kampagne.

Jedoch zeigt die von der Pharma-Industrie verschuldete Opiod-Crisis, dass Drogen, Armut, Kriminalität und Kriminalisierung in erster Linie mit der sozialen Klasse zusammenhängen - dann erst mit Rassismus. So wächst zwar der Anteil weißer Amerikaner an der Gefängnisbevölkerung doch die soziale Herkunft der Insassen bleibt die gleiche: Sie sind Angehörige schwacher sozialer Schichten.

Konzepte sind vonnöten, um auch künftig eine Gesellschaft zu organisieren und zu regieren, in der immer mehr Menschen leben werden, deren Arbeitskraft nicht mehr benötigt wird, ganz zu schweigen von den 5.3 Millionen Amerikanerinnen, die nach internationalen Standards schon jetzt in tiefster Armut leben.

Und der Trend setzt sich fort, die Technologisierung schreitet unaufhaltsam voran, der Arbeitsmarkt schrumpft und die Massen-Inhaftierung der unteren sozialen Schichten ist mit 182 Milliarden Dollar schon jetzt kein billiges Unterfangen.

Es ist kein Zufall, dass sich die Reichen und Mächtigen des Silicon Valley, also jene, die sich als Spitze technischen Fortschritts begreifen, für ein bedingungsloses Grundeinkommen einsetzen. Sie fürchten um die Stabilität ihres Landes.

Doch um eine solche Sozialreform durchzusetzen, müssten sich die Amerikaner allerdings erst von dem neoliberalen Grundsatz trennen, dass ein Mensch nur durch seinen wirtschaftlichen Beitrag berechtigt ist, in Würde und Freiheit zu leben.