Gesundheitsreport 2021: "Die Batterien sind leer"

Emotionale Erschöpfung kann ein Frühwarnsymptom für Burnout sein. Bild: Gerd Altmann auf Pixabay (Public Domain)

Krankenstand niedrig, psychische Belastungen hoch: Die Techniker Krankenkasse hat analysiert, wie sich das "Coronajahr" auf Beschäftigte ausgewirkt hat

Auf den allerersten Blick sehen die Zahlen gut aus: Insgesamt ist der Krankenstand unter Berufstätigen im Jahr 2020 gesunken - 4,14 Prozent lag er unter den Werten der Vorjahre. Das liege vor allem am Rückgang der Krankschreibungen wegen Erkältungskrankheiten, erklärte Dr. Thomas Grobe, vom aQua-Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen an diesem Mittwoch zur Vorstellung des Gesundheitsreports 2021 der Techniker Krankenkasse (TK). Auch seien im "Coronajahr" 2020 so wenige Antibiotika verschrieben worden wie noch nie seit Beginn der Auswertungen vor 20 Jahren. Diesen Effekt führte Grobe auf die Abstands- und Hygieneregeln zur Eindämmung der Pandemie zurück.

Das Risiko, durch eine Covid-19-Infektion vorübergehend arbeitsunfähig zu werden, lag für Frauen statistisch um 37 Prozent höher als für Männer - was TK-Vorstandschef Jens Baas aber darauf zurückführt, dass Frauen beruflich häufiger und enger mit anderen Menschen in Kontakt stehen, unter anderem als Pflegeberufen und im Einzelhandel. Männer innerhalb dieser Berufsgruppen sind demnach ähnlich oder genauso gefährdet, sich zu infizieren.

Persönliche Treffen fehlten besonders

Die Pandemie, die vor allem bei älteren und vorerkrankten Menschen zu schweren oder tödlichen Verläufen führte, traf Erwerbsfähige größtenteils eher psychosozial. Im Rahmen einer Studie für den TK-Report befragte das psychologische Institut der Technischen Universität Chemnitz knapp ein Jahr lang in mehreren Wellen insgesamt 2.900 Berufstätige.

Der Wegfall persönlicher Treffen stand mit 89 Prozent an erster Stelle der von ihnen genannten Belastungsfaktoren der Corona-Krise - die Angst, dass Angehörige oder Freunde an Covid-19 erkranken könnten, belegte mit 60 Prozent den zweiten Platz. Bei Familien mit Kindern kamen zudem Kita- und Schulschließungen hinzu, sowie bei Berufstätigen mehr Stress am Arbeitsplatz. Insgesamt fühlten sich laut dem TK-Gesundheitsreport 42 Prozent der Menschen in Deutschland während des zweiten bundesweiten Lockdowns stark bis sehr stark belastet.

Eine Zunahme der Krankmeldungen wegen psychischer Probleme gab es ebenfalls - die lässt sich aber nach Einschätzung von Baas nicht zwangsläufig auf die Corona-Situation zurückführen, weil es in diesem Bereich seit mehreren Jahren einen Anstieg gibt. Von 2018 auf 2019 sei er sogar größer gewesen als zuletzt, betonte Baas bei der Vorstellung des Reports an diesem Mittwoch. Nach in den ersten Wochen des Jahres 2020 im Vergleich zum Vorjahr um 8,0 Prozent höheren Werten und einem moderaten "Peak" im März 2020 lagen die Krankenstände mit entsprechenden Diagnosen bis zum Ende des Jahres insgesamt nur leicht über dem Vorjahresniveau. Bezogen auf das gesamte Jahr 2020 wurden die Vorjahreswerte um 3,3 Prozent überschritten.

Prognose schwer möglich

Die Teilnehmer der digitalen Pressekonferenz schlossen aber nicht aus, dass psychische Erkrankungen, die ihren Ursprung in der Corona-Situation haben, noch mit zeitlicher Verzögerung auftreten. Dass bestimmte Gruppen von Berufstätigen durch die pandemiebedingten Umstände psychisch belastet waren, wollte die Krankenkasse keinesfalls infrage stellen. Die "Batterien" der Menschen seien leer, sagte der Studienleiter Bertolt Meyer, Professor für Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie an der TU Chemnitz. Berufliche Stressfaktoren seien während der Lockdowns weiterhin oder verstärkt vorhanden gewesen, allerdings sei es in der Freizeit kaum möglich gewesen, die eigenen emotionalen Ressourcen "wieder aufzufüllen" - etwa durch Treffen mit Freunden, Sport oder Kulturveranstaltungen.

"Emotionale Erschöpfung" sei ein Frühwarnsymptom für einen später womöglich behandlungsbedürftigen "Burnout", betonte Meyer. Feststellbar seien bereits 40 Prozent mehr Anfragen nach psychotherapeutischer Behandlung gewesen - was nicht immer mit einer Krankmeldung einhergehen muss. Hinzu kommt, dass Krankmeldungen nichts über den Gesundheitszustand der bis dato prekär Beschäftigten aussagen, deren bisherige Erwerbsquellen durch den Lockdown weggefallen waren.

Der Fokus der Untersuchung lag auf sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Befragte, die im Homeoffice arbeiten konnten, empfanden dies vor allem dann als belastend, wenn Kinderbetreuungspflichten hinzukamen. Insgesamt wünsche sich aber die Mehrheit auch in Zukunft zumindest die Möglichkeit zur Heimarbeit, betonte Meyer. Das Problem sei eher die Gesamtkonstellation aus Homeoffice, Schul- und Kita-Schließungen sowie Kontaktbeschränkungen gewesen. Hier könne auch eine "Retraditionalisierung" stattgefunden haben: Insgesamt seien Frauen die emotional am stärksten belastete Gruppe.

Eine Prognose über das Ausmaß der psychischen Spätfolgen der Pandemie traute Meyer sich allerdings nicht zu, weil es keine Vergleichsmöglichkeiten für diese Situation gebe.