Zocker entern die Rentenpolitik

Die Rentenpolitiker der Ampelkoalition kündigen ein Wunder an: Das "Grundkonzept zur Aktienrente". Ein Kommentar mit Hintergrund.

Die Rentenpolitiker der Ampelkoalition kündigen ein Wunder an: Die wachsende Belastung der Rentenkasse durch die Babyboom-Jahrgänge in den kommenden Jahren wird erträglich gemacht, indem noch viel mehr ausgegeben wird, als eigentlich notwendig ist. Das teure Wunder bekommt das Etikett "generationengerecht", ist in Wirklichkeit aber ein handfester Generationenbetrug. Es droht die Abzocke von Generationen von Beitragszahlern!

Im Ampel-Koalitionsvertrag steht ein Satz, der nur aus der Feder von "Scharlatanen"1 stammen kann:2

Es wird keine Rentenkürzungen und keine Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters geben. Um diese Zusage generationengerecht abzusichern, werden wir zur langfristigen Stabilisierung von Rentenniveau und Rentenbeitragssatz in eine teilweise Kapitaldeckung der gesetzlichen Rentenversicherung einsteigen.

Über ein Jahr wurde in der Öffentlichkeit gerätselt und spekuliert, wie denn der Einstieg erfolgen würde und vor allem: als Einstieg in was?

Am 4.11.22 legte Finanzminister Lindner nun ein "Grundkonzept zur Aktienrente"3 vor, das Klarheit schaffen soll. Das Papier ist, nach Aussagen von Sozialstaatssekretär Schmachtenberg, weitgehend zwischen dem Finanzministerium und dem Sozialministerium abgestimmt.

Nach dem Lindner-Papier zeichnet sich jetzt folgendes ab:

  • Die Aktienrente wird (zunächst?) nicht aus Versichertenbeiträgen, sondern aus Bundesmitteln finanziert. Dazu werden Schulden aufgenommen. Im Jahr 2023 erstmalig 10 Milliarden Euro. Ob danach in dieser Höhe oder höher jährlich weiter finanziert wird, ist noch offen.
  • Das Ziel ist dabei nicht, individuelle Rentenanwartschaften aufzubauen, sondern die Rentenversicherung "ab Mitte der 2030er Jahre" aus den Fondserträgen zu entlasten. Die Entlastungen sollen dann einen halben Beitragsprozentpunkt betragen.
  • Verwaltet werden soll der Fonds durch eine neue "unabhängige öffentlich-rechtliche Stelle" nach dem Vorbild der Kenfo-Stiftung (Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung) – die ursprünglich vorgesehene Bundesbank ist damit draußen vor.

Nach diesem Konzept kann eines mit Sicherheit festgestellt werden: Die angekündigte Aktienrente wird keinen Beitrag zur Finanzierung der "Baby-Boomer-Renten" leisten können. Das Gegenteil wird eintreten.

In den kommenden 15 Jahren wird die Zahl der über 65- bzw. 67-jährigen und damit annähernd auch die Kosten für die Rentner:innen, kontinuierlich um ca. 20 Prozent zunehmen. Grob gerechnet müssten dann, bei Erhalt des gegenwärtigen Rentenniveaus, die Rentenversicherungsbeiträge von 18,6 Prozent um rund 4 Prozentpunkte steigen. Das wären nach heutigen Verhältnissen jährliche Mehrbelastungen von 68 Milliarden Euro.

Bis zum Jahr 2035 würde die Aktienrente dazu keinen Cent Entlastung bringen. Danach dann 0,5 Prozentpunkte, das heißt 8,5 Milliarden Euro pro Jahr. Die Aktienrente "zur langfristigen Stabilisierung von Rentenniveau und Rentenbeitragssatz"? Das ist Schaumschlägerei!

Erträge aus schuldenfinanzierten Aktien?

Wenn fortlaufend bis zum Jahr 2035 zehn Milliarden Euro in den Fondstopf gezahlt würden, wären am Ende 130 Milliarden Euro eingezahlt. Während dieses Zeitraums sind die Refinanzierungskosten abzuziehen. Dazu gehören die Zinsen und die Tilgungen.

Die Zinsen für öffentliche Anleihen sind aus dem Minus-Prozent-Bereich aktuell wieder auf über zwei Prozent gestiegen, Tendenz weiter steigend. Die Tilgungsmodalitäten sind auch unklar, etwa in welchen Raten und in welchen Zeiträumen die Tilgungen erfolgen werden. Dagegen steht die vage Hoffnung, dass die Aktienmärkte satte Erträge bringen.

Sind Politiker lernresistent?

Seit über 30 Jahren wird vor einer demografischen Katastrophe und dem Zusammenbruch des Rentensystems gewarnt. Seit 30 Jahren wird von neoliberalen Ökonomen und Politikern gefordert, das Umlageverfahren durch sogenannte Kapitaldeckungsverfahren zu ersetzen.

Nachdem der Versuch, mit der Riesterrente in die Teilprivatisierung einzusteigen gescheitert ist, soll jetzt mit dem Projekt Aktienrente ein weiteres Großexperiment gestartet werden.

Der Versuch mit der Riesterrente hat 20 Jahre gedauert, er hat einer ganzen Generation vorgegaukelt, sie könnten mit "Riestern" eine sichere Rendite von mindestens vier Prozent einfahren. Die Sicherheit sollte gewährleistet werden, indem ihre Lohngelder hauptsächlich in öffentliche Anleihen angelegt werden.

Nach dem Scheitern der Riester-Rente kommt das nächste Gaukler-Stück. Aktien würden enorme Chancen auf hohe Renditen bringen. Die internationalen Finanzmärkte versprächen nur Gutes. Allerdings gäbe es auch (geringe) Risiken. Aber: wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Und die diversen Konzeptpapiere zu Aktienrenten sahen unisono vor, dass die Rentenbeitragszahler zu ihrem Glück gezwungen werden müssten. Die Aktienrente sollte, anders als bei Riester, obligatorisch sein. Das Lindner-Konzept sieht das (noch) nicht vor – aber die ersten Pflöcke werden schon einmal eingeschlagen.

Welche Kapriolen die Aktienmärkte und die Anleihemärkte schlagen, kann man gut an den folgenden Grafiken ablesen. Legt man die Entwicklungen der beiden Märkte übereinander, ist die Gegenläufigkeit der Finanzströme gut zu erkennen.

Quelle: finanzen.net / Grafik: TP

Die Spekulationsblase an den Aktienmärkten sorgte für Minusrenditen bei den Anleihen und umgekehrt. Seit einem Jahr geht der Trend wieder in Richtung Anleihemarkt. Gut möglich, dass die Zocker in der Bundesregierung wieder auf das lahmende Pferd setzen...

Quelle: finanzen.net / Grafik: TP

Sollte die Aktienrente à la Lindner tatsächlich die Mehrkosten für die geburtenstarken Jahrgänge tragen (wie es der Koalitionsvertrag ja verspricht), müssten die Beiträge zum Aufbau des Kapitalstocks achtmal höher sein. Also 80 Milliarden Euro statt der zehn Milliarden Euro. Das wäre ein gigantischer Unterschied, den man keinem Menschen als sinnvoll erklären könnte. Die ökonomischen Folgen wären verheerend.4 Das Ganze ist einfach absurd.