Vor zwanzig Jahren, als die USA Putin waren

Sechs Wochen nach der Irak-Invasion, am 1. Mai 2003, erklärte US-Präsident George W. Bush auf einem Flugzeugträger: "Mission Accomplished". Bild: Kipp Teague / CC BY-NC-ND 2.0

Die russischen Verbrechen in der Ukraine werden zu Recht verurteilt. Doch beim Irak-Krieg herrscht Amnesie und Heuchelei. Über eine Zeit, als Washington seinen moralischen Kompass verlor.

Wer erinnert sich noch daran, dass wir US-Amerikaner im Jahr 2003 Wladimir Putin waren? Heute sind unsere Massenmedien und Social-Media-Nachrichten voll von Anklagen gegen den Präsidenten der Russischen Föderation wegen seines gesetzlosen und brutalen Einmarsches in der Ukraine.

Als Außenminister Antony Blinken am 2. März in Neu-Delhi kurz mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow zusammentraf, forderte er ihn unmissverständlich auf, "diesen Angriffskrieg zu beenden".

Putin selbst hat jedoch ein längeres Gedächtnis. In der Rede, mit der er seine "Spezialoperation" einleitete, prangerte er die USA für "die Invasion des Irak ohne jegliche rechtliche Grundlage" an. Dann fügte er hinzu:

Wir wurden Zeuge von Lügen, die man auf höchster staatlicher Ebene und von der hohen UN-Tribüne aus äußerte. Daraus resultierte ein enormer Verlust an Menschenleben, Schädigungen, Zerstörung und ein enormer Anstieg des Terrorismus.

Ja, es ist wahr, am 20. Jahrestag der Irak-Invasion ist dieser Krieg bei uns in den Vereinigten Staaten längst vergessen. Niemand in der Biden-Administration kümmert sich heute darum, dass er die Glaubwürdigkeit Amerikas als Pfeiler der internationalen Ordnung im Globalen Süden ruinierte und Putin Deckung für seine eigenen Gräueltaten gegeben hat.

Juan Cole ist Professor für Geschichte an der Universität von Michigan, Buchautor und preisgekrönter Blogger.

Nehmen Sie sich also einen Moment Zeit und lassen Sie sich von mir auf eine kleine Reise in eine längst vergessene, von den USA dominierte Welt mitnehmen.

Mission (un)vollendet

Am 1. Mai 2003 saß Präsident George W. Bush in seiner Top-Gun-Ausrüstung auf dem Ko-Pilotensitz eines Kampfjets und wurde zum Flugzeugträger USS Abraham Lincoln geflogen, der damals vor der Küste von San Diego stationiert war. Für diesen kostspieligen Ausflug gab es keinen Grund, außer dem visuellen Eindruck, den sein Propagandateam zu erzeugen hoffte.

Dann hielt er vom Deck des Schiffes aus unter einem Banner mit der Aufschrift "Mission Accomplished" (Mission erfüllt) eine Fernsehansprache über die Invasion des Irak, die er weniger als zwei Monate zuvor angeordnet hatte. Stolz verkündete Bush, dass "die Hauptkampfhandlungen im Irak beendet sind. In der Schlacht um den Irak haben die Vereinigten Staaten und unsere Verbündeten gesiegt".

Natürlich erwies sich keine der beiden Behauptungen als auch nur annähernd wahr. Tatsächlich sind bis heute rund 2.500 US-Soldaten im Irak stationiert, um den Kampf gegen die Anführer der ehemaligen Baath-Partei zu unterstützen, die inzwischen zu fundamentalistischen Guerillas geworden sind. Und diese Truppen verbleiben dort weiter, obwohl das irakische Parlament sie zum Abzug aufgefordert hat.

Der Rest von Bushs Rede enthält viel Niedertracht, die bei uns aber kaum als solche anerkannt wird. Der US-Präsident erklärte:

Heute verfügen wir über mehr Macht, eine Nation zu befreien, indem wir ein gefährliches und aggressives Regime stürzen. Mit neuen Taktiken und Präzisionswaffen können wir militärische Ziele erreichen, ohne Gewalt gegen Zivilisten anzuwenden.

Träumen Sie weiter, Herr Präsident. Sicherlich hat Bush seine "Mission-Accomplished"-Rede gehalten, um einen Angriffskrieg als einen normalen politischen Akt erscheinen zu lassen. Das heruntergekommene Vierte-Welt-Land Irak als "gefährlich" und "aggressiv" zu bezeichnen, war ebenso übertrieben wie Putins Einstufung der Ukraine von Wolodymyr Selenskyj als "Nazi"-Staat.

In Bushs napoleonischer Rede, in der er von der gewaltsamen Durchsetzung von "Demokratie" und "Freiheit" mittels "Präzisionskriegsführung" sprach, fehlte jedoch ein Begriff: das "Völkerrecht".

Bei den Nürnberger Prozessen nach dem Zweiten Weltkrieg hatte das Internationale Militärtribunal festgestellt,

Der Krieg ist im Wesentlichen eine böse Sache. Seine Folgen betreffen nicht nur die kriegsführenden Staaten, sondern die ganze Welt. Einen Angriffskrieg zu beginnen, ist daher nicht nur ein internationales Verbrechen; es ist das höchste internationale Verbrechen, das sich von anderen Kriegsverbrechen nur dadurch unterscheidet, dass es das gesamte Übel der Welt in sich birgt.

Und natürlich verbietet die Charta der Vereinten Nationen die militärische Aggression. Sie erlaubt einen Krieg nur zur Selbstverteidigung oder wenn der Sicherheitsrat ihn genehmigt.

Auf dem Deck des Flugzeugträgers hatte Bush jedoch die Frechheit zu sagen: "Wenn die irakische Zivilbevölkerung in die Gesichter unserer Soldatinnen und Soldaten sieht, erkennt sie Stärke, Freundlichkeit und guten Willen."

Tatsächlich haben die Iraker große Teile des 20. Jahrhunderts damit verbracht, die britische Kolonialmacht aus ihrem Land zu vertreiben. Es war daher kaum verwunderlich, dass im Jahr 2003 viele von ihnen in den Streitkräften, die in ihr Land eindrangen, keine solchen Tugenden sehen konnten.

Die US-Militärs vor Ort, mit denen ich damals oder später sprach, berichteten von oft mürrischen, wütenden Blicken der Iraker, denen sie begegneten. Ein Bekannter von mir, Leutnant Kylan Jones-Huffman, schickte mir in jenem Sommer eine Nachricht, in der er beschrieb, wie er mit anderen US-amerikanischen Streitkräften auf dem Rücksitz eines Truppentransporters auf einer Straße im Südirak saß und von einer Lastwagenladung bewaffneter Iraker überholt wurde.

Einer von ihnen schaute sauer zu ihnen herüber und hob bedrohlich sein Gewehr. Kylan sagte, er habe nur sein M1-Gewehr getätschelt, um die Drohung zu erwidern.

Nach seinem Militärdienst plante er als Navy-Reservist und Spezialist für den Nahen Osten eine akademische Karriere und erwarb einen Doktortitel in Geschichte. Der einfühlsame und umgängliche Kylan, der ausgezeichnete Haiku-Gedichte verfasste, versprach, ein spannender Kollege für mich werden zu können. Er erzählte mir, dass er von Bahrain in die Stadt Hillah im Südirak geschickt wurde, um die militärischen Führungskräfte einzuweisen.

Am Abend des 21. August 2003 sah ich auf CNN, dass ein Amerikaner in Hillah erschossen worden war, und das machte mich unruhig. Am nächsten Tag erfuhr ich, dass es sich tatsächlich um Kylan gehandelt hatte, der von einem jungen Iraker getötet wurde, als er in einem Jeep an einer Kreuzung wartete. Es war ein Schlag in die Magengrube, der mich zu Tränen rührte – und es tut immer noch weh, die Geschichte zu erzählen.

Er war einer von mehr als 7.000 Angehörigen des US-Militärs, die im Irak, in Afghanistan oder an anderen Schauplätzen des "Kriegs gegen den Terror" ums Leben kamen, zusammen mit 8.000 Auftragnehmern des Pentagon. Ganz zu schweigen von den mehr als 30.000 Veteranen dieser Konflikte, die später Selbstmord begingen.

Einer dieser Irak-Veteranen besuchte meinen Kurs über den modernen Nahen Osten an der Universität von Michigan. Er war zwar gut informiert und gutmütig, konnte aber trotzdem nicht bis zum Ende des Semesters durchhalten, da er von den Dämonen des Kriegs geplagt wurde. Für diejenigen, die immer noch an den Irak denken müssen, hört der Schmerz über diesen Krieg nie auf.

Dazu kommen die 53.000 amerikanischen Militärangehörigen im Irak und in Afghanistan, die im Kampf so schwer verletzt wurden, dass sie in einem Krankenhaus landeten. Etwa zehn Prozent von ihnen erlitten Wunden auf einer Verletzungsschwere-Skala von neun aufwärts und leiden laut einer Studie der National Institutes of Health unter traumatischen Hirnschäden, an offenen Wunden, chronischen Blutgerinnseln und Verbrennungen.

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