Medien, Bachmut und der Ukraine-Krieg: Der Russe ist schon fast besiegt!

Präsident Selenskyj im Dezember 2022 in Bachmut. Bild: President Of Ukraine

Mitte Mai stand die Ukraine in Bachmut kurz vor dem Sieg. Zumindest in den Medien. Wie kam es zu der Fehlleistung und warum bleibt Selbstkritik aus? Der Telepolis-Leitartikel.

Im medialen Blick auf den Krieg Russlands gegen die Ukraine ist vieles eindeutig, politische Positionierungen sind es ohnehin. Entsprechend befremdlich mutete die Berichterstattung über die militärischen Ereignisse im ostukrainischen Bachmut am Wochenende an. Unklarheit herrschte, "Verwirrung" gar. Was war geschehen?

Am Samstag hatte das russische Verteidigungsministerium die Einnahme der seit Monaten umkämpften und weitgehend zerstörten Stadt gemeldet. Für Aufmerksamkeit sorgte aber erst der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj: Er bestätigte die Entwicklung am Rande der G7-Konferenz im japanischen Hiroshima – und das gleich mehrfach.

"Ist Bachmut noch in ukrainischer Hand? Die Russen sagen, sie hätten Bachmut eingenommen?", fragte ein Journalist bei Selenskyjs Pressekonferenz mit US-Präsident Joseph Biden in Japan. Selenskyjs Antwort: "Ich glaube nicht".

Die Stadt sei vollständig zerstört und es sei "nichts" mehr übrig, fügte er an: "Für heute ist Bachmut nur noch in unseren Herzen."

Die Bestätigung macht kurz die Runde – dann Schweigen. Auf den großen deutschen Nachrichtenportalen Spiegel und Tagesschau fand sich am Sonntagnachmittag keine Nachberichterstattung, kein Kommentar, keine Einschätzung.

Stattdessen dies: Der Ukraine-Korrespondent der Financial Times, Christopher Miller, versuchte, die Aussagen ins Gegenteil zu verkehren. "Sein Team sagte mir, er habe den zweiten Teil der Frage beantwortet", schrieb er auf Twitter.

Diese Haltung – sowohl das Schweigen als auch die Relativierungsversuche – ist journalistisch problematisch, aber erklärbar. Über Wochen und Monate war dem Kampf um Bachmut eine enorme und stetig wachsende Bedeutung beigemessen worden. Nicht nur von der ukrainischen Regierung und Armee, sondern auch von distanzgeminderten westlichen Medien.

Peter Sawicki sah die russischen Invasoren im Deutschlandfunk noch eine Woche zuvor "aufgerieben"; militärisch, fügte er an, könnte das Kalkül Kiews aufgegangen sein". Die Russen müssten kapitulieren, "oder sie landen im Kessel", schrieb ebenfalls eine Woche vor dem Fall der Stadt der Tagesspiegel. Das Redaktionsnetzwerk Deutschland meldete: "Erste Russen ergreifen die Flucht: Der Ukraine gelingt der Gegenschlag in Bachmut".

Der Fall Bachmut – im doppelten Wortsinn – wirft damit auch die Frage auf, wie weit sich westliche Leitmedien unter dem politischen und moralischen Druck, der die Ukraine-Debatte bestimmt, von ihrem Informationsauftrag entfernt haben. Und was das für das von ihnen gezeichnete Bild des Krieges insgesamt bedeutet.

Moralisch war die Schlacht um Bachmut von Anfang an mehr als fragwürdig. Bereits im März waren Berichte über einen offenen Streit zwischen Präsident Selenskyj und General Walerij Saluschnyj publik geworden.

Ein Rückzug aus der zerstörten Stadt sei nicht kriegsentscheidend, so der General. Erst durch die Konzentration Russlands auf Bachmut und den Einsatz tausender "Wagner"-Söldner habe der Ort eine symbolische Bedeutung erlangt. Selenskyj hatte die Stadt im Dezember zur "Festung" erklärt. Telepolis schrieb damals:

In den USA werden nun andere Stimmen laut. US-Vertreter drängten die Ukraine, von dem Stellungskrieg abzulassen, um sich auf eine mögliche Offensive im Süden vorzubereiten. Dabei solle stärker militärisches Gerät aus dem Westen genutzt werden, um weitere hohe Verluste zu vermeiden.

"Es ist ein brutaler und zermürbender Kampf", zitiert der US-Nachrichtensender CNN einen Geheimdienstbeamten. Jede Seite erobere wechselseitig zwischen 100 und 400 Metern Land pro Tag, zugleich würden täglich mehrere tausend Artilleriegranaten verschossen. Dabei sei Bachmut militärisch "weniger attraktiv", zumal die Infrastruktur fast völlig zerstört sei.

Bis heute ist unklar, wofür Männer in den Tod von Bachmut gezogen sind oder geschickt wurden. Die Frage, welchen Sinn das Gemetzel hatte, geht gerade völlig unter.

Das Vorgehen der Ukraine und ihrer Unterstützer erinnert an verheerendes Suchtverhalten. Der Sieg der ukrainischen Landesverteidiger bei Bachmut sollte die große Befreiung bringen, das nötige Gefühl der ermutigenden Befriedigung. Jetzt herrscht der Kater am Morgen danach.

Und wie reagieren die Verantwortlichen? Sie legen nach: Uranmunition und Marschflugkörper sind schon vor Ort, nun sollen F-16 folgen. Die Mittel werden immer mächtiger, geleitet von der Hoffnung, dass sich nun endlich das erhoffte Ergebnis einstellt. Und wenn nicht? Dann wird die Katerstimmung global sein.

Noch Mitte dieses Monates erfuhren wir aus deutschen Leitmedien, dass die Russen in Bachmut "fliehen", "eingekesselt werden", "toben", "Uneinigkeit" herrsche, sie "eiskalt überrascht" worden seien – was alles in allem "schlechte Nachrichten" für Moskau bedeute.

All das scheint sich über Nacht in Luft aufgelöst zu haben.

Selbstkritik bleibt aus. Stattdessen werden die enttäuschten Hoffnungen der entsprechenden Journalisten und Redaktionen auf die angekündigte ukrainische Gegenoffensive projiziert, deren Erfolg dem geschundenen Land durchaus zu wünschen wäre. Bisher bleiben militärische Erfolge nach Einschätzung von EU-Experten aus.

Die Frankfurter Rundschau zitiert einen der unzähligen Militärexperten, von denen einige der oben zitierten Einschätzungen zu Bachmut stammen. Die bevorstehende Offensive sei nicht einfach eine Offensive, sondern "etwas viel Größeres".

Nur vom Frieden spricht niemand.

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