70 Jahre Bilderberg-Konferenz: Meeting wird Stigma der Verschwörung nicht los

Fassade mit der Aufschrift "Bilderberg Hotel"

Namensgeber des Treffens: Hotelgruppe Bilderberg. Bild: ColorMaker, Shutterstock

Treffen in Madrid erstmals ohne Henry Kissinger. KI und Krieg stehen im Zentrum. Experte hatte in Telepolis-Interview mehr Forschung zu der Struktur gefordert.

Die Reichen und Mächtigen treffen sich ohne demokratische Legitimation hinter verschlossenen Türen, um über die Zukunft der Welt zu beraten. Diesem Konzept folgt die Bilderberg-Konferenz seit 70 Jahren. Die Kritik an der fehlenden Legitimation des Treffens, zumal politische Entscheidungsträger direkt beteiligt sind, ist das eine. Verschwörungstheorien um die lange Zeit abgeschottete Veranstaltung eine andere.

In diesem Jahr wird der Bilderberg-Gipfel, der derzeit in Madrid stattfindet, 70 Jahre alt. Die Organisatoren machen klar: Sie haben noch viel vor. Ein Grund mehr, die Konferenz genauer unter die Lupe zu nehmen?

In den vergangenen Jahren haben die "Bilderberger" versucht, sich neu zu formieren und sich ein wenig zu öffnen: Mehr Davos als Illuminaten, so beschreibt der britische Guardian das Konzept. Es ist allerdings fraglich, ob dieser Plan aufgeht.

Zukunft der Kriegsführung: Ein Kernthema unter strenger Bewachung

Die diesjährige Agenda des Gipfels in Madrid ist besonders brisant: Es geht um die "Zukunft der Kriegsführung" in einer Welt, die von Konflikten von der Ukraine über den Sudan bis nach Gaza gezeichnet ist.

Unter dem Surren der Polizeidrohnen, die die Sicherheit von Persönlichkeiten wie dem König der Niederlande oder dem Nato-Generalsekretär gewährleisten, werden Themen wie der zunehmende Konflikt westlicher Staaten mit Russland und China sowie der Krieg im Nahen Osten und die Klimakrise behandelt. Eine Sitzung mit dem bezeichnenden Titel "Ukraine und die Welt" lässt gar Debatten über eine Ausweitung des Krieges erahnen.

Technologie und Krieg: AI im Fokus

Die Konferenz zieht zahlreiche Technologie-Schwergewichte an, unter anderem die Chefs von Google DeepMind, Microsoft AI, Mistral AI und Anthropic, was das Ereignis auch zu einem Gipfel führender Akteure dieser Branche macht.

Während Technologie-Optimisten wie Demis Hassabis von Google DeepMind die Möglichkeiten der KI preisen, zeigen sich US-Sicherheitsbeamte, die aus Washington angereist sind, von einer pragmatischeren Seite: Sie wollen KI vorwiegend militärisch nutzen, um einen strategischen Vorteil zu erlangen.

Bilderberg ohne Kissinger

Dieses Jahr wird das Treffen ohne einen langjährigen Teilnehmer auskommen müssen: Henry Kissinger, Stammgast der Bilderberg-Konferenzen, ist im November im Alter von 100 Jahren verstorben.

Dennoch: Die Anwesenheit hochrangiger Militärs wie des Supreme Allied Commander Europe, Christopher Cavoli, unterstreicht die Bedeutung, die dem Militär und den es umgebenden Industrien am Bilderberg zukommt.

Auch die Teilnahme von Jens Stoltenberg, dem scheidenden Nato-Generalsekretär, und die Spekulation über seinen möglichen Nachfolger, den niederländischen Premierminister Mark Rutte, sprechen für die Tragweite des Ereignisses.

Große Unternehmen auf der Pirsch

Die Bilderberg-Konferenz zieht auch zahlreiche hochrangige Minister, EU-Kommissare sowie die Köpfe der Europäischen Investitionsbank und der Bank von Spanien an. Das Event selbst wird von Ana Botín, der Vorstandsvorsitzenden der Banco Santander, ausgerichtet, und die Führungskräfte großer Finanzkonzerne wie Citigroup, Deutsche Bank und Société Générale nehmen teil.

Große Unternehmen tragen oft die Kosten für Bilderberg, in der Hoffnung, an der Gestaltung der großen Strategie mitzuwirken und Marktvorteile zu erzielen. Ebendiese Einflussnahme, privatwirtschaftlicher Interessen, die Teilnahme politischer Verantwortlicher und die Verschlossenheit des Treffens haben über Jahre hinweg Verschwörungstheorien befördert.

Im Gespräch mit Telepolis hatte sich der Soziologe Björn Wendt, Autor der Studie "Die Bilderberg-Gruppe – Wissen über die Macht gesellschaftlicher Eliten" schon vor Jahren kritisch über die mangelnde Auseinandersetzung von Wissenschaft und Medien mit dem "Phänomen Bilderberg" geäußert. Wendt beklagte insbesondere in Deutschland ein Desinteresse der Sozialwissenschaften an dem Thema, obwohl prominente Vertreter der Disziplin wie Ralf Dahrendorf und Joseph Nye an den Konferenzen teilgenommen haben.

Verschwörungstheorie vs. Realität

Die Wahrnehmung der Bilderberg-Konferenz ist geprägt von einer Kluft zwischen verschwörungstheoretischen Deutungen und der Realität. Verschwörungstheoretiker sehen in Bilderberg die zentrale Schaltstelle einer globalen Schattenregierung, die skrupellos ihre Macht absichern will.

Wendt widerspricht dieser Sichtweise und führt aus, dass solche Theorien historisch oft mit antisemitischen Ressentiments verknüpft waren und sind.

Politische und mediale Reaktionen

Die politische Wahrnehmung der Konferenz variiert. Während einige Politiker die Verschwörungshypothese ablehnen und die Legalität des Treffens betonen, üben andere Kritik hinsichtlich demokratischer Transparenzregeln und intransparenter Lobbyarbeit.

Die Medienberichterstattung, so Wendt, sei insgesamt zu oberflächlich und unkritisch, wobei das Thema häufig unter dem Label "Verschwörungstheorie" abgehandelt werde. Wendt sagte damals:

Ralf Dahrendorf, Daniel Bell, Zbigniew Brzezinski oder Joseph Nye waren etwa bei Bilderberg, um nur vier prominente Beispiele zu nennen. Dieses Involviert-Sein der Sozialwissenschaften auf der einen Seite und ihr Desinteresse an der wissenschaftlichen Thematisierung der Bilderberg-Konferenz im öffentlichen Raum auf der anderen Seite, erschien mir erklärungsbedürftig. Auch für die an der Bilderberg-Konferenz teilnehmenden Journalisten und Politiker lässt sich dieser Zusammenhang von Involviert-Sein und Nicht-Thematisierung nachzeichnen. Die Summe dieser Nicht-Thematisierungen erzeugt ein Vakuum im öffentlichen Diskurs zur Thematik, das seit den 1970er Jahren vermehrt durch verschwörungstheoretische Deutungsversuche gefüllt wurde. Diesen verschwörungstheoretischen Ansätzen standen kaum adäquate Gegenerzählungen gegenüber.

Soziologe Björn Wendt

Forschungslücke in der Wissenschaft

Wendt weist darauf hin, dass es kaum wissenschaftliche Untersuchungen zur Bilderberg-Gruppe gibt und fordert eine systematischere Aufarbeitung vorhandener Selbstbeschreibungen und Dokumente. Im englischsprachigen Raum seien zwar Ansätze vorhanden, diese werden jedoch im deutschsprachigen Diskurs weitgehend ignoriert:

Im englischsprachigen Diskurs wurden seit etwa zehn Jahren immerhin einige Untersuchungen veröffentlicht, die solide Basisinformationen zur Geschichte, zur Intention, zur Organisation, zur Rekrutierung und zur Funktion der Bilderberg-Konferenz aufarbeiten, die jedoch im nicht-wissenschaftlichen Diskurs und auch im deutschsprachigen wissenschaftlichen Diskurs bisher nicht zur Kenntnis genommen werden. In Bezug auf die grundlegende Einordnung der Bilderberg-Konferenzen würde ich mich eher jener Forschungstradition anschließen, die davon ausgeht, dass wir es bei den Bilderberg-Konferenzen im weiten Sinne mit gesellschaftlichen Machtstrukturen zu tun haben, über die Machteliten und Superreiche über ihre privaten Netzwerke in die Weltpolitik hineinwirken.

Soziologe Björn Wendt

Selbstbild der Bilderberg-Gruppe

Die Konferenz selbst wird von ihren Organisatoren als informelles Diskussionsforum dargestellt, das den Austausch zwischen den Eliten Europas und Amerikas fördern soll.

Wendt deutete im Interview mit Telepolis jedoch darauf hin, dass das Selbstbild der Bilderberg-Mitglieder auch ein klares Klassenbewusstsein und den Willen zur Gestaltung der Welt nach eigenen Vorstellungen offenbart.

Die Bilderberg-Konferenz bleibt ein mysteriöses und kontrovers diskutiertes Ereignis. Während Verschwörungstheorien eine einfache Erklärung bieten, fordert Wendts Arbeit eine differenziertere Herangehensweise, die sowohl in der Wissenschaft als auch in der medialen Berichterstattung bislang zu kurz kommt. Es bleibt abzuwarten, ob die Berichterstattung und Forschung in Zukunft der Komplexität des Themas gerecht werden können.

Blick auf das nächste Jahr

Mit Blick auf das aktuelle Treffen zeichnet sich bereits jetzt ab, dass der schwedische Milliardär und Verteidigungsunternehmer Marcus Wallenberg als Gastgeber für das kommende Jahr gehandelt wird. Sein leitender Berater, Oscar Stenström, war bereits als Mitglied des Vorbereitungsteams vor Ort.

Die Bilderberg-Konferenz bleibt somit ein zentraler, wenn auch umstrittener, Treffpunkt für die "Eliten" der Welt, an dem die großen Fragen der Zeit hinter verschlossenen Türen verhandelt werden.