AIDS ist ein globales Problem
Biologie des Virus, Behandlungsmethoden, Ansätze der Impfstoffe und die globale Pandemie
In der aktuellen Ausgabe von Nature prognostizieren Biologen, dass eine genetische Disposition dazu beitragen wird, langfristig das Massensterben durch AIDS ein wenig zu verzögern. Zuvor hatte die Zeitschrift schon ein Special Insight zu HIV/AIDS gebracht. Führende Experten analysierten die Biologie des Virus, die Krankheit und ihre Ursachen, die Behandlungsmethoden, die Ansätze der Impfstoffe und vor allem die globale Pandemie.
Paul Schliekelman und seine Kollegen vom Department of Integrative Biology der University of California haben den statistischen Blick auf einige afrikanischen Staaten und die entsprechenden AIDS-Infektionsrate gerichtet. Dabei haben sie für 100 Jahre hoch gerechnet, was die genetische Variation von CCR5, einem Rezeptor-Molekül, für Auswirkungen auf die Sterblichkeitsrate haben wird. Die Veränderung an dem Chemokin-Rezeptor (mehr zu HIV und Chemokine verzögert das Ausbrechen von AIDS um 2-4 Jahre. Diese genotypische Veränderung wird für eine starke Selektion in den nächsten Jahren sorgen.
Die Wissenschaftler haben mehrere afrikanische Staaten als Modell genommen. Bei den gegenwärtigen Infektions- und Sterblichkeitsraten hat z.B. ein 15jähriger Teenager in Botswana eine 90%ige Prognose an AIDS zu sterben. Die Gen-Veränderung wird dazu führen, dass für diejenigen, die sie haben, die Chance wesentlich besser ist, das Alter zu erreichen, um sich fortpflanzen zu können und damit die Disposition zu vererben. Am Ende wird die Hälfte der Bevölkerung sie haben. AIDS in Afrika (AIDS in Afrika 7448), sagen die Forscher, wird die Mortalitäts-Rate von 25-35% der Pest im Europa des 14. Jahrhunderts mindestens erreichen, wahrscheinlich aber übersteigen.
Der HI-Virus (Human Immunodeficiency Virus) hat sich viel schneller und epidemischer verbreitet, als es sich die Experten vor 10 Jahren vorgestellt haben. AIDS (Acquired Immunodeficiency Syndrome) ist eine Epidemie geworden. Mehr als 20 Jahre ist der Virus inzwischen bekannt und 1991 hatten die AIDS-Spezialisten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vorhergesagt, dass sich bis zum Jahr 2000 voraussichtlich 40 Millionen Menschen infiziert haben würden. Eine Fehleinschätzung, denn heute stehen wir vor dem tatsächlich verheerenden Ausmaß der tödlichen Immunschwäche. Über 20 Millionen AIDS-Tote sind weltweit bereits zu beklagen, mehr als 35 Millionen leben gegenwärtig mit HIV und 16'000 Menschen infizieren sich täglich neu.
Die Menschheit hat die Epidemie nicht im Griff, es ist eher umgekehrt. Bisher griffen die Maßnahmen, mit denen AIDS bekämpft nicht, bei weitem nicht in dem Umfang, wie es zu wünschen wäre. Die existierenden Therapien haben sich in den Industrieländern bewährt, sind aber für die Entwicklungsländer nicht bezahlbar (Patent geht vor Patient). Aber auch in den westlichen Wohlstandsnationen ist die Therapie nicht immer möglich, auch hier spielen Kosten eine maßgebliche Rolle und ebenso die Nebenwirkungen der starken Medikamente. Patienten mit Mehrfacherkrankungen (z.B. in der relativ häufigen Kombination mit einer Hepatitis C-Infektion) müssen die Pillen-Cocktails oft absetzen, weil sie die Kombinationspräparate nicht mehr vertragen.
In jedem Fall ist die Therapie letztlich eine Symptombekämpfung, sie kann nicht mehr, als die Ausbreitung des HI-Virus im Körper auszubremsen. Er wird dabei nicht ausgerottet. Sobald die Behandlung unterbrochen werden muss, vermehren sich die Viren im Blutkreislauf wieder ungehemmt. Das klassische Standard-Schema der Behandlung besteht aus der Kombinations-Therapie (Triple-Therapie) mit der Kombi-Tablette der beiden Revers-Transkriptase-Hemmern, welche die Übersetzung und Vervielfältigung des Virenerbguts kurz nach dem Eindringen in die weißen Blutkörperchen verhindern und zusätzlich ein Protease-Inhibitor, der die Endmontage neuer Viren blockiert. Die Medikamente müssen alle acht Stunden eingenommen werden. Inzwischen gibt es verschiedene Präparate, die weitere Optionen bieten. Die herkömmliche Kombinationstherapie, auch als HAART (Highly Active Anti-Retroviral Therapy) bekannt, verlangt den Patienten ein sehr hohes Maß an Disziplin ab, neuere Entwicklungen lassen eine Reduktion der Pillenzahl mit gleicher Wirksamkeit zu. Die neueste Errungenschaft ist eine Dreifachtherapie, die nur noch aus zwei Tabletten täglich besteht.
Mit der Hilfe der Kombinations-Therapie können nach einem Zeitraum von mehreren Wochen bis Monaten die Viren sehr stark reduziert werden, oft bis unter die Nachweisgrenze. Die HAART hat die durchschnittliche Lebenserwartung von AIDS-Patienten unglaublich gesteigert. Aber der Preis der Nebenwirkungen ist enorm: hohe Blutfettwerte, Diabetes, Leber- und Knochenschäden sowie häufig entstellende Umverteilungen des Körperfetts (Lipodystrophie). Diese Aufzählung spiegelt die häufigsten Folgen. Und die Therapie gilt - neben Übersättigung, Ignoranz und Verdrängung - als einer der Gründe für die steigenden Neuinfektionszahlen in den USA, Kanada und Europa (HIV wieder auf dem Vormarsch - Entwicklung eines neuen Impfstoffs). Die scheinbare Heilbarkeit der Krankheit führt zu einer Haltung vermeintlicher Sicherheit. Safersex wird oft nicht mehr praktiziert, die Risiken werden ignoriert.
"Zuschlagen, so schnell und so hart wie möglich", so lautete lange das Motto der Medizin im Kampf gegen HIV, inzwischen wird stärker auf die individuelle Ausgangslage und die spezifischen Empfindlichkeiten des einzelnen Patienten geachtet. "Zuschlagen, aber später" wird heute das Motto differenziert. Es gibt Erfolg versprechende Versuche, zuerst mit HAART zuzuschlagen und dann periodisch die Medikamenten-Therapie zu unterbrechen, um dem Körper Gelegenheit zu geben, sein Immunsystem auf die Abwehr der Viren einzuüben.
Prävention ist die Grundlage einer wirkungsvollen AIDS-Politik. Und Hoffnung bringen die vielfältigen Versuche von Impfstoffen. Speziell für die armen Länder dieser Welt wird letztlich nur die Kombination von Prävention und eventueller Impfung einen Ausweg aus dem AIDS-Massensterben bieten. In Kenia wird seit wenigen Wochen ein Vakzine namens Oxavi an den ersten Versuchspersonen getestet, es soll die körpereigene Abwehr steigern, um sich gar nicht erst mit HIV zu infizieren. Vorbild war das Immunsystem von Prostituierten, die sich trotz vielfältiger sexueller Kontakte mit Infizierten nicht ansteckten (AIDS in Afrika).
Die Impfung ist eine so genannte Prime-Boost-Strategie, um die Entwicklung entsprechender Killer-Zellen anzuregen. In Nature berichtete der Viren-Spezialist Gary J. Nabel vom US National Institute of Allergy and Infectious Diseases, dass die sich so entwickelnden Killer-Zellen (CTL, cytotoxische T-Lymphozyten) wohl nicht genügen werden, denn sie töten zwar die befallene Zellen, verhindern aber die Infektion mit HIV nicht. Einer Ansteckung kann damit nicht vorgebeugt werden.
Vorbild für einen wirkungsvollen therapeutischen Impfstoff ist die Tollwut-Impfung, denn nur Anti-Körper sind fähig, Viren abzufangen, bevor sie Zellen infizieren. Nabel ist überzeugt, dass nur eine Kombination aus den beiden Impfstoffen (Prime-Boost-Strategie und therapeutischer Impfstoff) wirklich umfassend wirksam sein könnte.
Eine weitere Möglichkeit sind protektive Impfstoffe: Die Abwehrzellen des Körpers sollen mit der Beschaffenheit von HIV vertraut gemacht werden, ohne die Krankheit selbst auszulösen. Bei einer späteren Infektion können die Immunzellen das Virus erkennen und unschädlich machen. Vorbild sind Grippe- und Polio-Impfung. Bei AIDS werden Bruchstücke des HI-Virus verwendet, da es zu gefährlich scheint, den vollständigen Virus zu impfen.
Seit 1987 haben etwa 60 Studien zu ca. 30 verschiedenen Impfstoffen stattgefunden. Mehr als 6000 gesunde Freiwillige haben sich bereit gefunden, an Testphasen teilzunehmen. In Phase I und II geht es zunächst nur darum, die Sicherheit und eventuelle Nebenwirkungen der Vakzine zu überprüfen. Testphasen fanden in den USA, Thailand, Frankreich, China, Brasilien, Kuba, Uganda und nun in Kenia statt. Gerade läuft auch ein breit angelegter Test mit einem therapeutischen Impfstoff (AIDSVAX) in den USA und Thailand. Die International AIDS Vaccine Initiative (IAVI) engagiert sich für die weltweite Vernetzung und Förderung der Forschung zu AIDS-Impfstoffen.
Experten von UNAIDS, der AIDS-Organisation der Vereinten Nationen, setzten sich in Nature mit dem globalen Ausmaß von AIDS auseinander. Die am Anfang des Artikels genannten Zahlen sprechen für sich: AIDS ist eine Geißel der Menschheit und die Krankheit ist auf dem Vormarsch.
Die reichen Länder wie Nordamerika und Westeuropa haben keine Fortschritte bei der Prävention gemacht. Die Bevölkerung verdrängt in weiten Teilen das Problem, schiebt es von sich weg und betrachtet AIDS als "Randgruppen-Krankheit". Safersex ist für viele Jugendliche schlicht kein Thema, sie halten sich für ungefährdet, nehmen das Risiko nicht ernst. Neben den Infektionen durch Drogenkonsum (Blutkontakt) und ungeschützten homosexuellen sexuellen Verkehr ist der Bereich der Infektion durch heterosexuellen Kontakt gewachsen. In Frankreich ist es inzwischen der Hauptübertragungsweg.
In Deutschland ist die Zahl der Infizierten vergangenes Jahr wieder gestiegen. Nach Einschätzung des Robert-Koch-Instituts gab es Ende 2000 etwa 37'000 mit HIV infizierte Menschen in Deutschland, darunter etwa 29.000 Männer, 8.000 Frauen und weniger als 400 Kinder. Nur 4 Prozent davon leben in den neuen Bundesländern. Bei 5.000 Menschen ist die Krankheit voll ausgebrochen, etwa 600 Patienten sind im vergangenen Jahr an der Immunschwäche gestorben. Seit dem Beginn der Epidemie Anfang der 80er Jahre sind in der Bundesrepublik etwa 18'000 Menschen den Folgen der Infektion erlegen.
Osteuropa und Zentralasien ist der Teil der Erde mit der größten AIDS-Wachstumsrate. 1999 lag die geschätzte Zahl der Infizierten dort bei 420'000, heute sind es 700'000. In der russischen Föderation stieg die Zahl der HIV-Positiven um das 7-fache. Stark betroffen war auch Estland, hier liegen die Gründe vor allem in starkem Drogenmissbrauch (Infektion über Injektionsnadeln). Die sozioökonomischen Probleme der ehemaligen Sowjetunion fördern Missstände, die die Ausbreitung von AIDS begünstigen, z.B. gewerblicher Sex. Präventionskampagnen laufen nur allmählich an. In Weißrussland konnte durch ein breit gefächertes Angebot an Aufklärung die Zahl der Neuinfektionen bereits wieder gesenkt werden.
Afrika südlich der Sahara hat die meisten Infizierten und kaum Möglichkeit für Behandlungen. Ein kleiner Lichtblick ist, dass sich die Zahl der Neuinfektionen stabilisiert hat, aber die gesellschaftlichen und politischen Probleme, die sich für Afrika aus der Pandemie ergeben werden, sind umfassend. Die Konsequenzen von über 17 Millionen AIDS-Todesfällen für die zurück bleibenden Waisen sind ein besonders tragischer Aspekt, aber auch die künftige Entwicklung vieler Länder und Gemeinschaften ist infrage gestellt, wenn möglicherweise bis zu einem Drittel der Bevölkerung bald verstirbt. Auf dem dunklen Kontinent finden sich auch die meisten infizierten Kinder, da viele Mütter ihre Babys anstecken. Afrika ist auf Prävention angewiesen. Die Weltmarktpreise für AIDS-Medikamente sind für afrikanische Staaten unbezahlbar, selbst bei durch die Pharmakonzerne vergünstigten Preisen werden sie nur für einen kleinen Teil der Infizierten erschwinglich sein und noch ist keine wirkungsvolle Impfung verfügbar.
In Süd- und Südostasien sind 5,8 Millionen HIV-positiv. Als Hauptursache gilt gewerblicher Sex, wobei heterosexuelle Infektionen überwiegen. Dazu kommt injizierender Drogenkonsum als weitere Ursache. In Thailand läuft ein vorbildliches Präventions-Programm und obwohl bereits 2% der Bevölkerung infiziert sind, zeigt es sehr gute Erfolge. In Ostasien und der Pazifik-Region ist es bisher (so weit bekannt) noch zu keiner rasanten Ausbreitung von AIDS gekommen. Wanderbewegungen, gewerblicher Sex und Drogenkonsum sind allerdings v.a. in China auf dem Vormarsch und könnten bald hohe Infektionsraten bringen, zumal die Gefahr unterschätzt wird. Für den Nahen Osten und Nordafrika liegt kaum Zahlenmaterial vor, deutlich ist aber, dass es gemessen an den Bevölkerungszahlen insgesamt relativ wenig Infizierte gibt.
In Lateinamerika und der Karibik gibt es insgesamt 1,4 Millionen HIV-Infizierte. Die Hauptgründe sind sexuelle Kontakte (hetero- und homosexuell) und Drogenmissbrauch. In der Karibik überwiegt deutlich die Übertragung durch heterosexuelle Kontakte. Die Karibik-Staaten wollen eine Partnerschaft gegen HIV/AIDS ins Leben rufen und haben sich die Unterstützung der Weltbank gesichert. Brasilien ist das lateinamerikanische Land mit dem vorbildlichsten AIDS-Programm, das Aufklärung, Prävention und Behandlung umfasst. Brasilien hat als erstes Land selbst Generika der AIDS-Medikamente hergestellt und billige Rohstoffe dafür importiert. HIV-Infizierte bekommen die Medikamente im Rahmen des Programms umsonst zur Verfügung gestellt. Der südamerikanische Staat hat sowohl seine Sterblichkeitsrate wie die Zahl der Neuinfektionen dadurch deutlich senken und die Lebenserwartung der HIV-Positiven entscheidend verlängern können.
AIDS steht mit dem Bildungsgrad in direkter Relation. Je besser Menschen ausgebildet sind, desto eher machen sie sich Informationen über HIV/AIDS zu Eigen und minimieren durch präventives Verhalten das eigene Infektions-Risiko. Aufklärungskampagnen sind die Basis von Präventionskampagnen.
HIV kostet die Volkswirtschaft Unsummen, erstens durch die direkten Kosten der Krankenversorgung, aber auch durch den Verlust gut ausgebildeter Arbeitnehmer. AIDS trifft hauptsächlich junge Erwachsene. Produktivitätsverlust, Neueinstellungen und Umschulungen sind einige der entscheidenden Stichworte im Bereich Arbeitsleben. Aber auch die privaten Haushalte werden belastet, sowohl durch die Pflege der Erkrankten wie die spätere Betreuung und Unterbringung von Hinterbliebenen.
Die armen Staaten dieser Welt brauchen Unterstützung durch Information und finanzielle Mittel, um ihre AIDS-Epidemien einzudämmen. Das global village muss zusammenhalten, um gemeinsam zu überleben.
Jede Menge weiterer Informationen und Links gibt es beim AIDSFinder