Absichtliche Freilassung von genveränderten Organismen: Niederlage für die Umweltschützer

Die neue EU-Richtlinie wird in wesentlichen Punkten nicht verschärft, aber noch ist weitgehend unbekannt, wie sich genveränderte Organismen auf die Umwelt und den Menschen auswirken können

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Eine Niederlage für die Grünen und die Umweltschützer war die Abstimmung gestern im Europäischen Parlament über die Verschärfung der EU-Richtlinie zur absichtlichen Freisetzung von genveränderten Organismen (GMOs). Drei der vorgeschlagenen Ergänzungen wurden nicht angenommen. Insbesondere lehnten die Abgeordneten mit einer Mehrheit von 287 zu 202 Stimmen den Antrag ab, dass die Biotech-Firmen für etwaige Schäden durch die Freilassung von GMOs haften müssen. Stattdessen wurde die EU-Kommission aufgefordert, bis 2001 eine allgemeine Umwelthaftungsrichtlinie zu erarbeiten, die auch die Gentechnologie umfassen soll.

Hiltrud Bayer von den deutschen Grünen kritisierte, dass die Verbraucher dieses "Geschenk an die Industrie" nicht verstehen würden, "dass jedes Auto einen Versicherungsschutz braucht, dies jedoch nicht gelten muss für die Betreiber einer Risikotechnologie." Und David Bowe von Labour, der den Ergänzungsantrag über die Haftungspflicht eingebracht hatte, meinte, dass sich die Abgeordneten wegen des massiven Drucks der Industrie und der Kommission gegen den Zusatz gewendet hätten: "Sie sagen, dass ihre Produkte sicher sind, aber das heutige Abstimmungsergebnis zeigt ganz deutlich, dass sie ihr Geld nicht dorthin stecken, wo ihr Mund ist. Wenn die Gentechnologiefirmen kein Vertrauen in die Sicherheit ihrer Produkte haben, warum sollten dies dann die europäischen Verbraucher haben." Die Unternehmen hatten argumentiert, sie würden dadurch Wettbewerbsnachteile haben. Eine Verschärfung der Bestimmungen würde überdies den Gentechnikstandort gefährden. Der Lobbyverband Europabio der großen Konzerne zeigt sich jedenfalls nach der Abstimmung zufrieden: "Die Verbraucher können jetzt hoffen, bald die Vorteile der Pflanzenbiotechnologie genießen zu können: höhere Produktivität, Lebensmittelsicherheit und zusätzlich erwartete Vorteile wie besserer Geschmack, höherer Nährwert und günstigere Preise in der nächsten Zukunft."

Abgelehnt hatte das Parlament auch einen Antrag, die GMOs zu verbieten, denen Gene für Antibiotika-Resistenz eingefügt wurden. Allerdings wurde entscheiden, dass bis 2005 die Verwendung dieser Marker-Gene, mit denen kontrolliert werden kann, ob die gentechnischen Veränderungen erfolgreich waren, auslaufen soll. Befürchtet wird, dass etwa Bakterien diese Gene aufnehmen und auf andere Organismen verbreiten könnten. Dadurch könnten sich die Antibiotika-Resistenzen, die heute sowieso schon ein Problem darstellen, mit dem Verzehr von Pflanzen oder Tieren, die mit solchen Genpflanzen ernährt wurden, auch auf Menschen übertragen. Nachgewiesen konnte allerdings eine solche Übertragung bislang noch nicht. Es gäbe jedoch auch die Möglichkeit, andere Marker-Gene zu verwenden, die denselben Zweck erfüllen.

Nicht angenommen wurde auch ein Antrag, der strengere Maßnahmen gegen die Verbreitung von Genen von GMOs auf andere Organismen in der Umwelt vorsah. Nach Maßgabe des Biosafety Protocol, das im Januar in Montreal zustande kam, soll aber bei der Einfuhr von GMOs in die dritte Länder zunächst deren ausdrückliche Genehmigung erfordert werden.

Seit 1998 wurden in der EU wegen Sicherheitsbedenken keine neuen Gen-Produkte mehr zugelassen. Bis Ende des Jahres soll jetzt das neue Bewilligungsverfahren vorliegen, so dass bald auch neue Anträge auf Einführung von GMOs und Genprodukte gestellt werden können. EU-Umweltkommissarin Margot Wallström zeigte sich über den Ausgang der Abstimmung zufrieden, die den Weg für eine ausgewogene Gesetzgebung geebnet hätte: "Die Gesetzgebung für gentechnisch veränderte Organismen muss einen hohen Grad an Schutz für die menschliche Gesundheit und die Umwelt bieten und gleichzeitig der Gesellschaft erlauben, von den neuen Technologien und ihren Segnungen zu profitieren."

Greenpeace begrüßt zwar "vorsichtig" die überarbeitete Version der Richtlinie, weil sie die Freisetzung erschwere und die Sicherheitsanforderungen erhöhe, kritisiert aber, dass diese weder die Umwelt noch die Verbraucher ausreichend schützt: "Es ist ein Skandal, dass das Parlament nicht die finanzielle Verantwortung dort verankert, wo sie hingehört, bei der Biotech-Industrie", sagte Ceri Lewis von Greenpeace. "Wenn GMOs einmal in die Umwelt freigelassen sind und sich mit wild lebenden Artverwandten kreuzen können, lassen sich die Gene unmöglich wieder zurückholen. Das Europäische Parlament erkennt, dass das Problem erwogen werden muss, aber das ist nur eine scheinheilige Entschuldigung dafür, nichts zu tun."

Noch freilich ist die Frage weitgehend ungeklärt, ob durch Kreuzung etwa von gentechnisch veränderten Pflanzen mit wildlebenden Artverwandten nicht die fremden Gene sich ausbreiten können. Durch die Übertragung beispielsweise von Resistenzgenen könnten sich so kaum noch bekämpfbare Unkräuter entwickeln. Schließlich stellt bereits die Einführung nichtheimischen Arten in regionale Ökologien nicht nur eine Bedrohung der Umwelt dar, weil diese die heimischen Arten verdrängen, sondern führt auch zu großen ökonomischen Schäden. Allein in den USA geht man davon aus, dass manche der über 30000 nichtheimischen Arten, die bewusst oder zufällig in das Land eingeführt worden sind, einen Schaden von 123 Milliarden Dollar pro Jahr hervorrufen. Allerdings stammen auch 98 Prozent der Nahrungsmittel, die in den USA hergestellt werden, von nichtheimischen Pflanzen wie Weizen, Reis oder Kühen.

Erst unlängst wurde nachgewiesen, dass sich nichtheimische Fruchtfliegenarten in den USA weitaus schneller vermehren als die heimischen und diese aus ihrem Lebensraum verdrängen. Ähnliche Ergebnisse hat eine Computersimulation bei genveränderten Fischen gebracht. Fischweibchen ziehen größere Männchen vor. Wenn nun Fische mit einem Wachstumsgen ausgestattet werden und in Kontakt mit freilebenden Artgenossen kommen, könnte hier das "Trojanische Gen" die natürlich Population schon in wenigen Generationen verdrängen. Pflanzen, die gentechnisch das Insektengift Bt produzieren, sind bereits in den USA auf dem Markt. Wissenschaftler haben nun entdeckt, dass Bt, mit dem die Pflanzen besprüht werden und das normalerweise nur einige Tage aktiv sein soll, mindestens über acht Monate im Boden der Bt-Genpflanzen nachgewiesen werden konnte. Weitere Untersuchungen haben gezeigt, dass die Resistenz von Insekten gegenüber Bt dadurch schneller als vermutet zunehmen kann, während Schmetterlinge, die die Pollen der Genpflanzen zu sich nehmen, ebenso sterben können wie andere Insekten, die Insekten essen, die sich wiederum von Bt-Genpflanzen ernährt haben.

John Heritage von der University of Leeds untersuchen, finanziert durch öffentliche Gelder, ob die Möglichkeit besteht, dass Bakterien Resistenzgene von genveränderten Pflanzen aufnehmen und so weiter in der Umwelt verbreiten. Verwendet wird dazu ein auch in Europa zugelassener, 1998 von Frankreich allerdings wieder verbotener Mais von Novartis, der ein bakterielles Toxin für den Bohrkäfer, aber auch ein Markergen gegen Ampicillin enthält. Viele Bakterien sind zwar bereits gegen dieses Antibiotikum resistent, aber eine weitere Verbreitung könnte das Problem verschärfen. Bei seinen Experimenten fütterte Heritage Hühner mit dem Genmais und verstärkte die Übertragungsmöglichkeit sogar, indem er das Gen für die Antibiotika-Resistenz in Plasmide einpackte, wodurch es von Bakterien leichter aufgenommen wird. Nachweisen konnte er nicht, dass die Bakterien im Speichel oder im Magen der Hühner das Gen aufgenommen haben, aber er will auch nicht ausschließen, dass es bestimmte Bedingungen geben könnte, wodurch dies geschieht.

Ein Bericht der amerikanischen National Academy of Sciences, der Anfang April veröffentlicht wurde, geht zwar davon aus, dass die Einfügung eines Gens einer Art in das Genom einer anderen Art an sich kein Risiko darstellt, aber fordert doch eine strengere Kontrolle neuer Pflanzen, die so verändert wurden, dass sie Pestizide produzieren. Bislang gab es in den USA für solche Pflanzen kaum Sicherheitsauflagen. Schon auf 20 Millionen Hektar wachsen beispielsweise Nutzpflanzen, die Bt herstellen. Der Bericht fordert die US-Regierung jetzt auf, Untersuchungen über die Langzeitwirkung solcher Pflanzen durchzuführen, die von Menschen verzehrt werden. Stärker kontrolliert werden sollen auch Pflanzen, die gegenüber Viren resistent gemacht wurden. Es müsste auch getestet werden, ob die Pflanzen neue Allergene enthalten. Offenbar vollzieht sich auch in den USA eine Wende, schon allein aufgrund des wachsenden Widerstands gegen GMOs in Lebensmitteln schärfere Kontrollen einzuführen.