Äthiopien marschiert in Somalia ein
Wie ein neuer Konfliktherd geschaffen wird
Fast auf den Tag 27 Jahre ist es her, als die Rote Armee die Grenze nach Afghanistan überschritt. Sie war von einer international anerkannten Regierung gerufen werden, weil die sich gegen den anwachsenden islamischen Widerstand gegen ihre Reformpolitik nicht mehr allein behaupten konnte. Die Empörung in der gesamten westlichen Welt war enorm. Gegen die Sowjetunion wurden Sanktionen verhängt und in Westdeutschland waren von den Grünen bis zur CSU alle auf der Seite des „afghanischen Volkes“ oder was dafür gehalten wurde. Auch zum aktuellen Jahrestag werden manche Zeitungen an den Einmarsch der Sowjets in Afghanistan erinnern und dieses Datum sogar als einen Sargnagel für den Warschauer Pakt bezeichnen.
In diesen Tagen marschierte die Armee Äthiopiens in das Nachbarland Somalia ein. Auch dort geht es darum, eine international anerkannte Regierung gegen eine islamistische Bewegung zu verteidigen, die in den letzten Monaten nicht nur die Hauptstadt Mogadischu, sondern auch weite Teile des Landes unter ihre Kontrolle gebracht hatte.
Hier enden aber die Parallelen schon. Denn sicher kann man der afghanischen Linksregierung, die 1979 die Sowjets ins Land holte, viel vorgeworfen werden. Sie hatte sich zum Ziel gesetzt, dass Frauen in einem islamischen Land ohne Schleier auf die Straße gehen und dass die Großgrundbesitzer enteignet werden sollten. Der bisher machtlosen, aber international anerkannten Regierung Somalis kann man solche Ziele nicht nachsagen. Hier handelt es sich vor allem um Warlords, die in den vergangenen Jahren die somalische Bevölkerung ausplünderten und das Land verwüsteten. So kann man sie eher mit der afghanischen Nordallianz vergleichen, die von den Taliban vertrieben worden war. Wie die afghanischen Kriegsfürsten haben es auch die somalischen Warlords verstanden, die Unterstützung Washingtons zu gewinnen (Die zweite Niederlage der USA).
Schließlich werden sie pragmatisch genannt, weil sie ihre islamische Ideologie ihren ausgeprägten Beutezügen unterordneten Für die davon betroffene Bevölkerung ist das nicht unbedingt ein Vorteil. Deshalb fand die Union der islamischen Gerichte, wie sich die somalischen Islamisten nennen, bei großen Teilen der armen Bevölkerung Mogadischus Unterstützung. Das kann man mit der Zustimmung zu den Taliban in der Anfangsphase vergleichen. Den Menschen ziehen eine autoritäre Herrschaft der ständigen Bedrohung von Leib und Leben durch marodierende Warlords vor. Mit irgendwelchen demokratischen Zielsetzungen haben beide Seiten nichts zu tun.
Mit den Segen der USA
Das hindert nun die USA nicht daran, den äthiopischen Einmarsch in dem Nachbarland offen zu unterstützen. Ein Sprecher des Außenministeriums sagte am Dienstagabend: „Äthiopien hat ernsthafte Sicherheitsbedenken angesichts der Entwicklung in Somalia und auf Bitten der international anerkannten Übergangsregierung Unterstützung geleistet.“ Diese Schützenhilfe kommt nicht überraschend.
Nach dem 11.September 2001 wurde Äthiopien zum wichtigsten Verbündeten der USA und militärisch hochgerüstet. Mitte Juni hatten die Islamisten Mogadischu unter ihre Kontrolle gebracht. Am 20. Juni besuchte General John Abizaid (http://news.bbc.co.uk/2/hi/americas/3053242.stm), der Chef des für Afrika zuständigen US-Kommando-Bereichs Mitte, der schon mal einen 3. Weltkrieg mit den Islamisten beschwor, die äthiopische Hauptstadt Addis Abeba. Seit diesem Zeitpunkt begann die Regierung Soldaten in der Umgebung der Provinzstadt Baidoa zu stationieren, wo die machtlose Regierung ihren Sitz hatte.
Ob die USA direkter in die Invasion involviert waren, ist noch offen. Zu Meldungen, dass die US-Luftwaffe von Dschibuti aus die Äthiopier durch Aufklärungsflüge unterstützt, wollten US-Militärs jedoch keinen Kommentar abgeben. In Dschibuti ist seit 2002 eine amerikanisch geführte internationale Task Force stationiert, an der auch die deutsche Bundesmarine beteiligt ist.
Offiziell hat die äthiopische Regierung lange abgestritten, militärisch im Nachbarland involviert zu sein. Dass die äthiopische Armee scheinbar mühelos bis fast vor Mogadischu vorgedrungen ist, war angesichts des militärischen Kräfteverhältnis nicht anders zu erwarten. Doch nur unverbesserliche Optimisten erwarten, dass der Konflikt zu Ende ist, wenn sich die Hauptstadt unter Kontrolle der Eindringlinge und der verbündeten Warlords befindet. Die Aufrufe zum Heiligen Krieg, die von den Islamisten kamen, werden von Kennern der politischen Situation am Horn von Afrika ernst genommen.
Steilvorlage für Islamisten
Ihrer Meinung nach machen die USA mit der Unterstützung der Invasion alle nur denkbaren Fehler. Sie unterstützen Kriegsfürsten, die in der Bevölkerung verhasst sind - und sie benutzen Äthiopien als Stellvertreter, um den Einsatz eigener Truppen zu vermeiden. Diese Furcht ist begründet. Schließlich mussten sich die US-Militärs unter Bill Clinton nach blutigen Anschlägen aus Somalia zurück ziehen, was zum Stoff für einen bekannten Film wurde.
Äthiopien ist aber in den Augen vieler Somalier historisch und durch koloniale Politik bedingt der Erzfeind, mit dem man immer wieder im Konflikt war. So führten beide Staaten von 1976 bis 1978 einen verlustreichen Krieg. Somalia versuchte damals die Ostprovinzen von Äthiopien, den Ogaden zu erobern, was erst durch die kubanische Hilfe für die damalige pseudosozialistische Regierung Äthiopiens verhindern werden konnte. Die USA unterstützte das in der Bevölkerung völlig diskreditierte somalische Regime von Siad Barre. Es ist zu erwarten, dass selbst Gegner der Islamisten jetzt die Souveränität Somalias gegen Äthiopien verteidigen und den bisher eher diffus agierenden Gotteskriegern neue Unterstützung zufließt. Auch ausländische Islamisten könnten hier ein breites Rekrutierungsfeld bekommen. Schließlich passt es genau in ihre Propaganda, dass das mehrheitlich christliche Äthiopien die „moslemischen Brüder“ bekriegt. Eine bessere Steilvorlage kann man Islamisten nicht bieten.
Hinzu kommt noch, dass sich das von den USA zur Regionalmacht hochgepäppelte Äthiopien viele Feinde in der unmittelbaren Nachbarschaft gemacht hat. Dazu gehört Eritrea, das seine mühsam erkämpfte Unabhängigkeit gegen ein erstarktes Äthiopien verteidigen muss. Schon deshalb wird es die somalischen Islamisten unterstützen.
So sind die Befürchtungen von Ostafrikaexperten nicht aus der Luft gegriffen, dass sich hier ein Konflikt anbahnt, der die gesamte Region destabilisieren und Al-Qaida und Gefolgsleuten erst die Basis verschaffen könnte, die sie bisher nicht besitzt. Die Islamisten in Mogadischu waren bisher sehr darauf bedacht, den USA keine Vorwände zu liefern, und betonten daher ihre Distanz zu Bin Laden und Co. Diese Berührungsängste dürften jetzt schwinden.
Weitere Verlierer sind schließlich die Afrikanische Union und die UN. Die hatten sich erst vor kurzem darauf geeinigt, der international anerkannten Warlord-Regierung Äthiopiens afrikanische Truppen zur Seite zu stellen. Das kam dem Westen doch sehr entgegen. Doch die USA und ihre Regionalmacht ignorierten diese Bestrebungen. Der UN-Sicherheitsrat, der sich auf Antrag afrikanischer Staaten zu einer Dringlichkeitssitzung traf, hat sich erst einmal vertagt. Die USA und Großbritannien verhinderten jede Verurteilung des Einmarsches. Beide Staaten haben vor 27 Jahren die Front der Empörung angeführt, als die Rote Armee gegen die afghanischen Islamisten intervenierte.