AfD-Erfolge: Warum linksliberale Faktenchecker keine Antwort auf die Rechten sind
Bei der Wiederholungswahl in Berlin legte die AfD zu. Auch wenn sie hier unter Werten anderer Regionen blieb. Viele fragen sich: Was hilft noch? Ein Kommentar.
Es war wohl eine der ungewöhnlichsten Wahlen in Deutschland, die Wiederholungswahl am Sonntag in Berlin, die vom Bundesverfassungsgericht für einige Bezirke angeordnet worden war, weil hier bei der letzten Bundestagswahl zu viele Pannen passiert waren.
Obwohl diese Wahl schon wegen ihrer Begrenztheit einen begrenzten Aussagewert hat, ist doch ein Ergebnis bemerkenswert, das der taz-Kommentator Rainer Rutz so formulierte: "Offenbar schaden der AfD weder offene Deportationsfantasien noch landesweite Proteste gegen rechts." Im Detail führt Rutz aus:
Die AfD mag mit ihren 12,6 Prozent in den 455 Wiederholungswahlbezirken weit entfernt sein von ihrem bundesweiten Umfragehoch. Aber nicht nur haben die Rechtsextremen dabei um fast sechs Punkte zugelegt. Regelrecht gruselig wird es beim Blick in die Wahllokale am Ostberliner Stadtrand. In massiv vielen Wahlbezirken liegt die Partei hier deutlich über 30 Prozent, in manchen Plattenbausiedlungen knackt sie die 50-Prozent-Marke.
Rainer Rutz, taz
Die Ohnmacht der Massendemonstrationen gegen Rechts
Das Ergebnis ist schon deshalb bemerkenswert, weil es eben zeigt, dass die Massendemonstrationen der letzten Wochen scheinbar an der Wahlurne selbst in Berlin wenig Eindruck machen, obwohl die Hauptstadt für die AfD größtenteils kein leichtes Pflaster ist. Es ist auch ein Menetekel für die kommenden Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen, wo es die AfD doch viel leichter hat.
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Darauf machte bereits einige Tage vor der Wahl David Begrich vom antifaschistischen Verein Miteinander e. V. aus Magdeburg bei einer Diskussionsveranstaltung des Bildungsvereins Helle Panke aufmerksam. "Was folgt aus der Correctiv-Recherche?" lautete die Frage, die Begrich mit der Linkspartei-Bundestagsabgeordneten Martina Renner diskutierte. Begrich warnte davor, zu glauben, dass die Massenproteste gegen Rechts die AfD entscheidend schwächen werden.
"Wenn in Berlin, Hamburg und München viele Menschen auf die Straße gehen, hat das keinen Einfluss auf die Menschen in Altenburg und Greiz", erklärte Begrich. Damit meinte er Städte, in denen in den nächsten Monaten Kommunal- und Landtagswahlen sind – und wo die AfD trotz der Correctiv-Enthüllungen stark zulegen könnte.
AfD-Wähler am Stadtrand, Demos in der Innenstadt
Nun zeigt sich nach der Berliner Wiederholungswahl, dass es keinen Einfluss auf die Wähler am Stadtrand hat, wenn in der Berliner Innenstadt gegen Rechts demonstriert wird. Mit der Parole "Jetzt erst recht" wollte die AfD genau die Menschen ansprechen, die bestimmt nicht gegen Rechts auf die Straße gehen. Begrich sprach die Gefahr an, dass die AfD auch von der Negativ-Berichterstattung der letzten Wochen am Ende noch profitieren könnte.
So würde sich die Rechtspartei schon als Opfer von Antifa und Staat inszenieren. Es sei längst noch nicht klar, ob die Erzählungen von den Erfolgen der AfD, mit denen der harte Kern ihrer Anhänger gezielt angesprochen wird, durch die Correctiv-Enthüllungen infrage gestellt werden.
Nach der Berliner Nachwahl spitzte Rainer Rutz in der taz die These sogar noch zu.
Erschreckend klar wird, dass die Deportationsfantasien der AfD Wähler:innen letztlich sogar anzuziehen scheinen. Zumindest hält es sie nicht davon ab, ihr die Stimme zu geben – ebenso wenig wie die bundesweit anhaltenden Proteste gegen Rechts. Weshalb auch, wenn sich die mitprotestierende SPD zugleich einen Überbietungswettbewerb mit der CDU liefert beim Kopieren von AfD-Positionen in der Migrationspolitik.
Rainer Rutz, taz
Die Komplizenschaft der etablierten Parteien mit AfD-Ideen
Genau mit dem letzten Satz hat er einen wichtigen Punkt getroffen. Die AfD verbreitet eben keine Verschwörungstheorie, wenn sie darauf verweist, dass viele ihre migrationspolitischen Vorstellungen schon von CDU/CSU, SPD und FDP umgesetzt und von den Grünen zumindest toleriert werden.
Vielleicht liegt ein Grund, warum die Anti-Rechts-Mobilisierung an der Urne wenig zieht, genau darin, dass dieser Fakt oft verschwiegen wird, weil man ja keine möglichen Bündnispartner verschrecken will. Doch was hat man davon, im angeblichen Kampf gegen die AfD sich mit Politikern zu verbünden, die wie Olaf Scholz "im großen Stil abschieben" wollen?
Historische Versäumnisse und aktuelle Fehleinschätzungen
Warum wird nicht erwähnt, dass es der CDU-Politiker Helmut Kohl war, der 1982 ankündigte, die Hälfe aller Türkinnen und Türken, die damals in der BRD und Westberlin lebten, abzuschieben zu wollen? Diese Remigrationspläne im großen Stil sind schon seit einem Jahr bekannt, weil die Akten seitdem zugänglich sind.
Aber selbst die intensive Diskussion nach dem Correctiv-Bericht über die Runde der Rechten mit ähnlichem Inhalt in Potsdam hat nicht bewirkt, dass die Union ernsthaft unter Druck kam und sich von den Kohl'schen Remigrationsplänen zumindest symbolisch distanzieren musste. Dass dies auch kaum gefordert wurde, lässt bezweifeln, dass die große Mehrheit der Demonstranten für eine "offene Gesellschaft" eintritt, wie der Minimalkonsens gerne genannt wird.
Die kritische Reflexion im linksliberalen Spektrum fehlt
Auf die Problematik, dass die AfD nach den Massenprotesten der letzten Wochen weiterhin hohe Zustimmungswerte hat, gibt es auch im linksliberalen Spektrum sehr unterschiedliche Reaktionen. Doris Akrap schreibt in der taz, die Frage, ob etwas der AfD nutzt, sei schon falsch gestellt.
Es war die AfD, die nach der Correctiv-Recherche, den ersten Demos und der erneuten Verbotsdebatte erst mal geschluckt hat, deren Umfragewerte zurückgingen, die sich dann aber sammelte und laut lachend brüllte: Ihr macht uns nur stärker! Dieser Satz ist die Erzählung, das Narrativ, das Framing der AfD.
Doris Akrap, taz
Auch hier müsste hinzugefügt werden, dass der Plan der AfD nur aufgeht, weil viele Menschen wissen, dass die meisten Politiker von CDU und CSU bis zu den Grünen, die gegen die AfD auf die Straße gehen, dies aus Konkurrenzgründen und nicht aus antifaschistischen Motiven tun.
Medienarbeit gegen Rechts am Scheideweg
Ein ernüchterndes Fazit zieht auch Thomas Laschyk vom linksliberalen Portal Volksverpetzer, das – anders als der Name suggerieren könnte – keineswegs ein konsequent antinationales Projekt ist. Vielmehr steht der Volksverpetzer objektiv irgendwo zwischen SPD und Grünen und hat sich in den letzten Jahren neben begrüßenswerten Aktionen gegen Rechts auch als Diskurswächter erwiesen, der jede kritische Stimme gegen den Aufrüstungs- und Eskalationskurs in Sachen Russland-Ukraine als rechts diffamierte.
Gerade beim "Volksverpetzer" zeigt sich, wo eine diffuse Mobilisierung gegen Rechts ihre Grenzen hat, wenn sie jede Kritik an Staat, Nation und Kapitalismus ausblendet. Es wäre also auch Zeit für eine Selbstkritik. Doch davon ist in dem Text nichts zu lesen, in dem Thomas Laschyk ein ernüchterndes Fazit seiner Arbeit zieht. Der Text beginnt dramatisch:
Ich werde jetzt einige Dinge fordern und vorschlagen, die mit dem klassischen (Selbst-)Verständnis von Journalisten brechen. Aus gutem Grund. Was die deutsche Medienlandschaft bisher macht, scheint ja nicht zu funktionieren. Und auch was "wir" als Zivilbevölkerung machen, verpufft irgendwie. Wenn wir etwas verändern wollen, müssen wir etwas anders machen. Und 2024 haben wir noch eine Chance dazu. Wer weiß, ob sich dieses Fenster nicht bald schließt.
Thomas Laschyk, taz
Dann geht er ins Detail:
Ich habe etwas Radikales versucht. Ich habe mich gefragt, wie ich auch Fakten(checks) viral gehen lassen kann. Wie ich die immer gleichen Fehler vermeiden kann: nicht ständig die Mythen zu wiederholen und sie so versehentlich zu verstärken; nicht immer so "fair" zu sein und so zu tun, als dürfe man Dauerlügner bei ihrem Wort nehmen, und auch noch zu erklären, was sie wirklich meinen; ihre Aussagen und Euphemismen und Lügen einzuordnen und einzubetten. Wie kann ich das Framing durchbrechen und zum Gegenstand der Diskussion und Analyse machen – um nicht die Diskussionen zu führen, die Populisten und Fake-News-Verbreiter ja führen wollen?
Thomas Laschyk, "Volksverpetzer" / taz
Hilfloser Antifaschismus und Wunschdenken
Zunächst scheint es, als käme Laschyk nicht auf die Idee, zu fragen, ob es hier nicht eher um unterschiedliche Positionen als um Fakten geht. Das Ende ist hilfloser Antifaschismus, gepaart mit autoritären Phantasien:
So trostlos es klingt: Ein nicht unerheblicher Teil der Deutschen will genau diese in Realpolitik gegossene Menschenfeindlichkeit, und ein weiterer Teil davon ist dauerhaft für die Demokratie verloren. Niemand muss diesen Menschen politisch entgegenkommen. Sie müssen isoliert und bekämpft werden.
Thomas Laschyk
Der Versuch, sie zu isolieren, ist allerdings nicht völlig neu. Das wurde schon versucht, als ihre Zustimmungswerte noch unter den heutigen lagen. Da war wohl schon eine kritische Masse erreicht, die das Isolieren schwer machte. Ob es eine gute Idee war, dann auch noch antimilitaristische Positionen als rechts zu framen, muss sich jeder selbst beantworten.
Da er keine Begriffe von Staat, Nation und Kapitalismus hat, kann Laschyk weder den Aufstieg der Rechten erklären, noch ein Konzept über einen Umgang mit ihnen. Daher ist der "Volksverpetzer" eher ein Beispiel, wie man nicht vorgehen soll, wenn es einem ernst mit einen antifaschistischen Ansatz ist.