Alles ist relativ

Seite 2: Äther und Glühbirne, die beiden Totengräber der klassischen Physik

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Zwei völlig unterschiedliche Probleme sollten die Physik letztendlich in Schwierigkeit bringen. Das erste war grundlegender Natur. Wenn Licht eine Welle ist, benötigt es ein Ausbreitungsmedium. Dass Licht mit Materie wechselwirkt, war offensichtlich. In Glas bewegt es sich langsamer als in Luft, so kommt die Lichtbrechung zustande. Wie kann es sich aber im Vakuum ausbreiten? Warum, simpel gefragt, können wir die Sonne überhaupt sehen?

Als Lichtmedium wurde die Existenz des Äthers postuliert, der das Vakuum des Weltalls ausfüllen sollte. Ein an sich nicht unübliches Vorgehen. Auch Mendelejew hatte trotz fehlender Elemente nicht sein Periodensystem verworfen, sondern die Existenz neuer Elemente behauptet. Der Äther jedoch war von Anfang an ein ausgesprochen seltsames Gebilde. Erstens wurde er nur für das Vakuum wirklich benötigt. Zweitens durfte er nur mit elektromagnetischen Wellen wechselwirken, nicht jedoch mit Materie. Denn wenn er, beispielsweise, bei den Planeten auf ihren Bahnen um die Sonne Reibung verursacht hätte, wie waren dann überhaupt stabile Planetenbahnen möglich und wieso ließen diese sich mit Newtons Gravitationsgesetz beschreiben, in dem gar keine Ätherreibung vorkam? Irgendetwas Grundsätzliches stimmte nicht.

Das zweite Problem erschien zunächst als ein rein praktisches. Seit Beginn der industriellen Revolution wurde für die Arbeit unter Tage und in den Fabriken nach neuen Lichtquellen gesucht, die sicherer als eine Kerzenflamme waren, zuverlässiger und heller. Schon Anfang des 19. Jahrhunderts wurde entdeckt, dass Leiter anfangen zu glühen, wenn sie von starken Strömen durchflossen werden. Seitdem wurde versucht, eine zuverlässige Glühlampe zu entwickeln. Erst der um 1880 aufkommenden Kohlefaserlampe Thomas Alva Edinsons gelang der allgemeine Durchbruch.

Nun ging es um die Frage, genau zu verstehen, wie das Lichtspektrum einer Glühlampe physikalisch erzeugt wird, um den Wirkungsgrad von Lampen optimieren und die Lichtqualität steuern zu können. Mit der elektromagnetischen Theorie und der Thermodynamik schienen die Physiker über die idealen Werkzeuge zu verfügen, diese anwendungsorientierte Fragestellung zu lösen. Eine grandiose Fehleinschätzung! Dieses herausragende Beispiel sollten sich heutzutage all diejenigen vor Augen führen, die vehement die Meinung vertreten, Grundlagenforschung sei sekundär. In jeder anwendungsorientierten Aufgabenstellung kann ein grundlegendes, fundamentales Problem schlummern.

Um die Intensitäten des Spektrums von glühenden Körpern zu messen, mussten zunächst neue experimentelle Verfahren entwickelt werden. Ein vollkommen schwarzer Körper reflektiert kein Licht. Wenn er farbig erscheint, wird dies alleine von seiner Temperatur verursacht. An ihm kann die Lichterzeugung durch Wärme also störungsfrei gemessen werden. Ein genialer Trick war es, einen fast idealen Schwarzen Körper durch einen Hohlraum zu emulieren, also eine beheizte Box, in die kein Licht fallen kann. Die Intensitäten der Strahlung wird durch ein möglichst kleines Loch gemessen. Parallel dazu wurde die Strahlung theoretisch berechnet. Das Ergebnis war die "Utraviolettkatastrophe": Bei kurzen Wellenlängen lieferte die Maxwellsche Theorie utopisch hohe Werte.

Raten und Verzweifeln

Durch seinen mathematischen Sachverstand gelang es Max Planck, die gemessenen Strahlungsintensitäten mit einer Gleichung zu beschreiben, zunächst ohne für sie eine physikalische Herleitung vorweisen zu können. Zudem musste er eine neue physikalische Konstante einführen, die heute als Plancksches Wirkungsquantum h bekannt ist. Viel schwieriger als das Aufstellen der Formel erwies sich ihre physikalische Herleitung. 1900 war Planck bereits 42 Jahre alt und in der kontinuierlichen Physiktradition verhaftet. Er konnte seine Spektralformel aber nur herleiten, wenn er annahm, dass das Licht in diskreten Portionen, Quanten, ausgesandt wurde. Er musste sogar auf atomistischen Verfahren Ludwig Boltzmanns zurückgreifen. Dies bezeichnete er später selbst als einen "Akt der Verzweiflung"1.

Plancks Analyse deckte erste Risse auf im bis dahin vorherrschenden physikalischen Weltbild. Fünf Jahre später, in seinem "Wunderjahr", gab Albert Einstein mit vier Veröffentlichungen und seiner Dissertation der kompletten Physik ein neues Fundament. Er löste damit den Konflikt mit der Chemie und das noch verbleibende Problem der Lichtausbreitung im Vakuum. Von da an beschäftigte sich die Physik mit Atomen, Quanten und verfügte über ein grundlegend neues Raum-Zeit-Verständnis. Allgemein berühmt ist Einstein für seine spezielle Relativitätstheorie (SRT), die zwei der Arbeiten ausmacht. Wirklich revolutionär jedoch, auch nach Einsteins eigener Einschätzung, war seine Veröffentlichung über den photoelektrischen Effekt. Für diese erhielt er später dann auch den Nobelpreis.