Alles ist relativ

Seite 3: Ein Wunderjahr und anschließend 25 Jahre Herumirren

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Beim Photoeffekt, hier in einer stark vereinfachten Version beschrieben, werden Elektronen aus einem Metall durch das Auftreffen von Licht freigesetzt. Um ein Elektron aus dem Metall zu lösen, ist eine bestimmte Energie nötig. Rotes Licht ist energieärmer, als blaues. Aber wenn die Anzahl der herausgelösten Elektronen nur von der eingestrahlten Gesamtenergie abhängt, wie mit gesundem Menschenverstand zu vermuten ist, sollte rotes Licht hoher Intensität ebenso viele Elektronen herauslösen können, wie weniger intensives blaues Licht. Das war jedoch nicht der Fall. Nur blaues Licht setzte Elektronen frei.

Einstein konnte dieses Verhalten erklären, indem er Plancks Quantenhypothese verallgemeinerte. Bei Planck gab eine Glühlampe zwar diskrete elektromagnetische Impulse ab, das elektromagnetische Feld an sich konnte jedoch weiterhin als kontinuierliche Welle verstanden werden. Enstein fasste das Feld nun selbst als aus Lichtquanten, Photonen, aufgebaut auf und jedes Photon hatte eine Energie h*f, wobei f seine Frequenz ist. Dies ist die Beziehung, auf die Planck fünf Jahre zuvor schon gestoßen war. Nur blaue Photonen mit ihrer hohen Frequenz haben somit genug Energie, Elektronen auszulösen. Intensives rotes Licht hingegen erwärmte das Metall nur.

Einsteins Erklärung war wahrhaft revolutionär, denn sie warf gleich mehrere vorherrschende Überzeugungen über den Haufen. Aus dem kontinuierlichen elektromagnetischen Feld machte sie eine Ansammlung von Teilchen, deren Energie mit einer Welleneigenschaft beschrieben wurde. Die erste Ausprägung des Welle-Teilchen-Dualismus war entdeckt. Da Teilchen kein Ausbreitungsmedium benötigen, wird auch verständlich, wieso sich Licht im Vakuum ausbreiten kann. Der Äther ist überflüssig. Elektromagnetismus kommt zustande, indem geladene Teilchen untereinander ungeladene Photonen austauschten.

Hatte die Physik bis dahin meistens versucht, möglichst einfache Ein- oder Zweiteilchenprobleme zu beschreiben oder statistische Aussagen wie in der Gastheorie zu treffen, so verwandelten sich auf einmal selbst ehemals relativ einfache Fälle in Vielteilchenprobleme. Das war nicht wirklich ermutigend, denn schon das vermeintlich überschaubare Dreikörperproblem der Gravitationstheorie Newtons hatte sich als nur numerisch lösbar erwiesen. Einsteins Analyse bedeutete jedoch, dass die neue Physik selbst für winzigste Zeitintervalle die Verarbeitung von Aberbilliarden zu erzeugenden und zu absorbierenden Teilchen bewältigen musste. Für die Erklärung des Photoeffekts verwendete Einstein statistische Methoden der Thermodynamik, um zu zeigen, dass sich Photonen unter bestimmten Umständen wie ein Gas aus unabhängigen Teilchen verhalten. Aber wie konnten die Details der Wechselwirkung zwischen zwei Ladungen beschrieben werden?

Ein weiteres Problem gab es noch. Ein Indiz für die Existenz des Äthers war gewesen, dass die Maxwellschen Gleichungen sozusagen automatisch die Vakuumlichtgeschwindigkeit enthielten - und zwar als eine Konstante. Wie konnte dieser Befund mit den Photonen in Übereinstimmung gebracht werden, die keinen Äther benötigen? In seiner Arbeit: "Zur Elektrodynamik bewegter Körper", entwickelte Einstein hierfür die SRT, die spezielle Relativitätstheorie.

Schallwellen breiten sich im Medium Luft ebenfalls mit einer ganz bestimmten Geschwindigkeit aus, wenn Bedingungen wie Luftdruck und -temperatur konstant gehalten werden. Wenn sich ein Beobachter in der Atmosphäre bewegt, so bewegen sich die von ihm ausgehenden Schallwellen im Medium Luft immer nur mit Schallgeschwindigkeit, was er messen kann. Auf ähnliche Weise müsste der Effekt der Bewegung der Erde durch den Äther gemessen werden können, so die Annahme.

Effekte eines Ätherwindes wurden jedoch nicht gefunden, in Übereinstimmungen mit den Maxwell-Gleichungen. Elektromagnetische Wellen breiten sich für jeden gleichmäßig bewegten Beobachter immer so aus, als wenn der Beobachter im Äther ruhe. Zudem sollte der Äther unveränderlich sein, denn die Vakuumlichtgeschwindigkeit c ist eine universelle Konstante, anders als die Schallgeschwindigkeit, die vom physikalischen Zustand der Luft abhängt. Die Situation ist ähnlich zu der im Innern eines Festkörpers, in dem sich Wellen ausbreiten.

Einstein erkannte, dass die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit nicht einfach ein elektromagnetisches Phänomen ist, sondern ein fundamentales Prinzip, das für alle Arten von Wechselwirkungen, also auch die Gravitation, gelten muss. Die beiden Grundaussagen der SRT sind schnell aufgeführt. Erstens sind alle unbeschleunigten Bezugssysteme gleichberechtigt. Es gibt kein Bezugssystem, das eine besondere Bedeutung hätte. Zweitens leben wir in einem Universum, in dem es eine Maximalgeschwindigkeit c gibt, mit der Energie und Information transportiert werden können. Es gibt kein Bezugssystem, in dem diese Geschwindigkeit übertroffen werden kann. Photonen bewegen sich nur deshalb mit dieser Geschwindigkeit, weil sie keine Ruhemasse haben.

Einsteins Arbeiten von 1905 zeigten in den Grundzügen, wie ein Elektromagnetismus jenseits von Maxwell beschrieben werden konnte. Elektrische Ladungen senden Unmengen ungeladener Photonen aus und fangen sie wieder auf. Dadurch entstehen die Wechselwirkungskräfte. Da die Photonen sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegen, muss eine solche Quantentheorie des Lichts grundsätzlich relativistisch sein, selbst für Situationen, in denen die Geschwindigkeiten der Ladungen viel kleiner sind, als die Lichtgeschwindigkeit. Genau dies ist es, was die Mutter aller modernen physikalischen Theorien, die Quantenelektrodynamik, die QED, heute ausmacht.

Interessanterweise wurde 1905 dieser Ansatz aber nicht verfolgt. 25 Jahre sollte es dauern, bis die Physiker endlich daran gingen, zu versuchen, das längst Erkannte in Formeln zu fassen. Einstein selbst begab sich nach seinem Wunderjahr auf seinen außerordentlichen Egotrip, die Gravitation zu verstehen. Was ihm zehn Jahre später tatsächlich gelang und wenig später endgültig berühmt machte. Der Rest der Physikgemeinde rang weiterhin damit, den immer noch ungeliebten Atomismus zu verdauen. Und sie redeten sich ein, die SRT sei zwar gültig, aber müsse erst berücksichtigt werden, wenn die studierten Teilchen sich mit Geschwindigkeiten bewegten, die der Lichtgeschwindigkeit nahe kommen. Diese Position wird auch heute noch gerne vertreten, obwohl sie viel zu kurz greift. Tatsächlich kann nicht einmal ein ruhendes, einzelnes Elektron ohne die SRT vernünftig beschrieben werden.

Alles ist relativ, wirklich alles

Der Grund dafür ist der interne Drehimpuls von Elektronen und Protonen. Dieser Spin wurde Mitte der 1920er Jahre entdeckt und erklärte bestimmte, bis dahin nicht erklärbare Eigenschaften von Spektrallinien. Der Spin ist eine Quanteneigenschaft, d.h. es sind nur bestimmte Werte physikalisch möglich, aber keine Zwischenwerte. Zudem hat ein Elementarteilchen immer einen ganz bestimmten, charakteristischen Gesamtspin. Anders als bei einem klassischen Drehimpuls, beispielsweise dem einer rotierenden Kugel, kann der Spin eines Teilchens nicht vergrößert oder verkleinert werden: Elementarteilchen rotieren sozusagen immer gleich schnell.

Wolfgang Pauli hatte kurz zuvor seine Auswahlregel postuliert, dass zwei Elektronen in einem Atom nicht dieselben Quantenzahlen haben können. Nur so ließ sich der Aufbau der Elektronenhülle und somit die beobachteten Spektren verstehen. Daher können sich zum Beispiel in der ersten Schale maximal zwei Elektronen aufhalten, die sich nur in der Orientierung ihres Spins unterscheiden. Dies gilt für alle Atome, egal, wie viele (positive) Protonen sich im Kern befinden. Der Aufbau der Elektronenhülle bestimmt die chemischen Eigenschaften der Elemente, da chemische Bindungen durch den Austausch von Elektronen zwischen den Atomen zustande kommen.

Wenig später wurde erkannt, dass die Auswahlregel ein Spezialfall ist. Elektronen und Protonen haben einen Spin, der halb so groß ist wie der von Photonen, die einen Spin Eins haben. Teilchen mit halbzahligem Spin werden heute als Fermionen bezeichnet, Teilchen mit ganzzahligem Spin als Bosonen. Alle Fermionen verhalten sich so, wie von Pauli für Elektronen postuliert. Bosonen verhalten sich eher so, wie man es von klassischen Teilchen erwarten würde; für sie gilt die Auswahlregel nicht. Hier enthüllte sich eine fundamentale Zweiteilung der Welt: Fermionen machen das aus, was wir als Materie bezeichnen, wohingegen Bosonen wie das Photon die Wechselwirkungen zwischen den Fermionen vermitteln.

Die Entdeckung des Spins der Elementarteilchen bedeutete aber nicht zu verstehen, wieso sie überhaupt einen unveränderlichen, gequantelten inneren Drehimpuls haben. Die Lösung dieses neuen Problems ergab sich ganz unerwartet, fast von alleine. P.A.M. Dirac hatte sich gefragt, wie eine quantenmechanische Grundgleichung für das Elektron aussehen müsste, die der SRT genügt und möglichst allgemein ist.2 Schließlich stellte er eine Gleichung auf, die seine Forderungen erfüllte, jedoch zwei besondere Eigenschaften besaß. Erstens beinhaltete sie den Elektronenspin, ohne dass zu Beginn ihrer Herleitung der Spin als besondere Eigenschaft hätte berücksichtigt werden müssen. Zweitens beschrieb Diracs Gleichung kein einzelnes Elektron, sondern zwei, eines davon mit der seltsamen Eigenschaft, eine negative Energie zu haben. Dieses seltsame Teilchen wurde als Positron gedeutet, als erster bekannter Vertreter der Antimaterie. Tatsächlich wurde es wenig später entdeckt.

Spin und die Existenz von Antimaterie lassen sich also zwanglos durch die SRT erklären. Somit auch der Aufbau der Atomhülle und somit die Chemie. Die SRT beschreibt universelle physikalische Eigenschaften von Raum und Zeit, deren Wirkungen sich nicht erst bei Geschwindigkeiten nahe der Lichtgeschwindigkeit zeigen. 1940 gelang es Wolfgang Pauli zudem, die seltsame Aufteilung der Welt in Fermionen und Bosonen durch sein Spin-Statistik-Theorem allgemein mit Hilfe der relativistischen Quantenfeldtheorie herzuleiten.

Fazit

Die physikalische Welt, wie wir sie heute verstehen, ist grundsätzlich relativistisch. Dies gilt für die Gravitation genau so, wie für die anderen beiden bekannten Wechselwirkungen, die elektroschwache und die starke Wechselwirkung. Letztere werden durch das Standardmodell der Elementarteilchen beschrieben, in dem relativistische Quantenfeldtheorien verwendet werden.

Andere berühmte Gleichungen, die auch heute noch nicht selten als Grundgleichungen bezeichnet werden, ganz besonders die Schrödinger-Gleichung, sind nur Näherungen, die zum Zeitpunkt ihrer Erstellung legitim zu sein schienen, weil sich relativistische Effekte erst bei hohen Geschwindigkeiten zeigen sollten. Es wäre an der Zeit, diese Tatsache in Erinnerung zu rufen.