Als Geheimsekretär für die Post zuständig

Seite 6: Vertraut mit Vertuscherkreisen

Der im Gutachten nicht namentlich genannte Kölner Weihbischof Ansgar Puff wurde wie Heße und Schwaderlapp vorerst von seinen Aufgaben freigestellt. Nur Rainer Maria Woelki blieb bisher von Konsequenzen verschont. Der war aber mittendrin statt nur dabei. Mentorbeziehungen und Vertrauensverhältnisse verbanden ihn mit zentralen Akteuren der Vertuschung.

Der Erzbischof von Köln, der aktuell als Saubermann innerhalb der katholischen Kirche glänzen will, studierte Theologie in Bonn und Freiburg, unter anderem bei Kardinal Karl Lehmann. Diesem wird vorgeworfen, über die Fälle sexualisierter Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und Schutzbefohlene im Bistum Mainz, dessen Bischof er von 1983 bis 2016 war, weggesehen und die Täter bestenfalls versetzt zu haben.

In einem im September 2018 von der Deutschen Bischofskonferenz in Auftrag gegebenen Gutachten für das Bistum Mainz ist von 53 Beschuldigten und 169 Betroffenen die Rede. Die Fälle reichen bis in das Jahr 1931 zurück, die jüngsten sind auf 2010 datiert. Das Bistum schaltete die Staatsanwaltschaft ein.

Nach Medienberichten ermittelte auch in Hamburg die Staatsanwaltschaft gegen zwei Beschuldigte, nachdem sich vier Betroffene der Sankt-Ansgar-Schule gemeldet hatten. Die Schule gehört zum Erzbistum Hamburg, zu dessen Erzbischof im Januar 2015 Stefan Heße geweiht wurde. Dieser war im Erzbistum Köln unter Woelki Diözesanbeauftragter für Rundfunk und Fernsehen, 2006 wurde er zum Stellvertreter des Generalvikars Schwaderlapp ernannt, den er 2012 ablöste, nachdem dieser zum Weihbischof ernannt wurde.

1985 war Rainer Maria Woelki von Joseph Kardinal Höffner zum Priester geweiht worden, 1990 wurde er Erzbischöflicher Kaplan und Geheimsekretär von Joachim Kardinal Meisner. Josef Höffner werden im GW-Gutachten werden acht Pflichtverletzungen vorgeworfen, sechs wegen Verstoßes gegen die Aufklärungspflicht, zwei wegen Verstoßes zur Pflicht der Opferfürsorge. Eine im Bistum Münster eingerichtete Forschergruppe zur Untersuchung zum Umgang mit sexualisierter Gewalt durch Priester und Diakone des Bistums bescheinigt ihm "intensives Leitungs- und Kontrollversagen".

Zeitweise mehr Empathie für Beschuldigte

Höffners Nachfolger Joachim Meisner war von 1980 bis '89 Bischof in Berlin. Das dortige Erzbistum gab 2020 ein Gutachten zur Untersuchung der Fälle sexualisierter Gewalt in Auftrag. Seit 1946 gab es eine Vielzahl von Fällen mit 61 Beschuldigten und 121 Betroffenen. Die mit dem Gutachten beauftragte Kanzlei Redeker, Sellner und Dahs geht von einer "erheblichen Dunkelziffer" aus und bescheinigt den Verantwortlichen, in erster Linie bemüht gewesen zu sein, Schaden von der Institution abzuwenden. In den Jahren vor 2002 sei häufig eine deutlich größere Empathie für die Beschuldigten zu erkennen gewesen als den Betroffenen gegenüber. Das gilt dann mutmaßlich auch für Bischof Joachim Meisner.

Von 1989 bis 2014 war dieser Erzbischof in Köln. Im GW-Gutachten werden ihm 24 Pflichtverletzungen attestiert. In seine Amtszeit als Kölner Erzbischof fallen 85 der untersuchten Fälle.

Am 30. März 2003 wurde Rainer Maria Woelki von Joachim Kardinal Meisner zum Bischof geweiht, am 24. Februar 2004 wurde er zum Weihbischof in Köln ernannt und am 27. November 2011 als Erzbischof von Berlin eingeführt. Dort wurde er keine drei Jahre später verabschiedet und am 11. Juli 2014 zum Erzbischof in Köln ernannt. In die Zeit von 2003 bis 2011 fallen mehr als zwei Dutzend der in dem GW-Gutachten skizzierten Fälle, weitere 70 seit 2015.

Erstes Gutachten wegen "methodischer Mängel" unter Verschluss

Ein erstes Gutachten, in dem es nicht um die Taten an sich, sondern um den Umgang des Bistums mit den Vorfällen gehen sollte, gab Woelki 2018 in Auftrag. Im Oktober 2020 teilte er mit, dass dieses nicht veröffentlicht werde. Als Grund wurden erhebliche methodische Mängel genannt, die u. a. von der Kölner Medienkanzlei Höcker als solche benannt wurden. Das führte zu viel Streit in der katholischen Kirche und mit dem Betroffenenbeirat sowie zu großem Vertrauensverlust in der Öffentlichkeit.

Dieses erste Gutachten für die Öffentlichkeit freizugeben, weigerte Woelki sich bislang beharrlich, nun soll es auf der Webseite des Kölner Erzbistums doch öffentlich einsehbar werden. Das aktuelle Folgegutachten der Kanzlei Gercke ǀ Wollschläger ist dort bereits vollständig einzusehen.

Eine Vielzahl der Fälle ereignete sich während der Zeit Woelkis als Weihbischof in Köln, umgeben von mindestens vier Männern, die in die Vertuschung bzw. Bagatellisierung des Problem involviert waren, allein 70 der in dem Gutachten skizzierten Fälle ereigneten sich in seiner Amtszeit als Erzbischof in Köln. Doch ein Fehlverhalten konnten die Gutachter nicht feststellen?

Woelki gab letztlich den Anstoß für die Aufarbeitung

Was Woelki anders machte als seine Vorgänger, inwiefern er zur Aufklärung der Vorkommnisse beitrug und ob er die Staatsanwaltschaft einschaltete, haben wir beim Erzbistum Köln nachgefragt. Die Pressereferentin des Erzbistums, Nele Harbeke, teilte Telepolis daraufhin mit:

"Wo Prof. Dr. Gercke auf für die Staatsanwaltschaft relevante Informationen gestoßen ist, hat er diese unverzüglich der Staatsanwaltschaft mitgeteilt. Das vollständige Gutachten wurde zudem am 18. 3. 2021 der Staatsanwaltschaft übergeben."

Zudem versicherte sie, das Erzbistum Köln habe bereits seit 2011 verbindliche Maßnahmen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen sowie schutz- und hilfebedürftigen Erwachsenen getroffen, die in all seinen Einrichtungen angewendet und konstant weiterentwickelt würden.

Bereits 2014, so die Pressereferentin, sei die Präventionsordnung überarbeitet und der für Minderjährige geltende Schutzauftrag auf schutz- oder hilfebedürftige Erwachsene ausgeweitet worden.

"Nach der Einrichtung der Stabsstelle Intervention durch Kardinal Woelki im Juli 2015 wurden die verschiedenen Aktenbestände sukzessive zusammengeführt. Ab 2016 wurde für die sog. MHG-Studie, die die Deutsche Bischofskonferenz in Auftrag gegeben hat, alle Akten gesichtet, Informationen für die Forscher zusammengestellt und zur Verfügung gestellt. Im weiteren Verlauf wurden alle bis dahin bekannten Fälle intern einer weiteren Prüfung unterzogen und Ende 2018/Anfang 2019 den Staatsanwaltschaften zur erneuten Überprüfung zur Verfügung gestellt."

Unter dem Eindruck der MHG-Studie zum Thema "Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz" im Jahr 2018 habe die Deutsche Bischofskonferenz, gemeinsam mit dem Zentralkomitee der Deutschen Katholiken, die Aufnahme eines "Synodalen Weg" beschlossen. Dieser habe im Dezember 2019 begonnen und hat die Themenfelder "Macht und Gewaltenteilung in der Kirche - Gemeinsame Teilnahme und Teilhabe am Sendungsauftrag", "Leben in gelingenden Beziehungen - Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft", "Priesterliche Existenz heute" und "Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche". Ziel sei laut Satzung die gemeinsame Suche nach "Schritten zur Stärkung des christlichen Zeugnisses".

Am 15. März 2021 habe Kardinal Woelki eine Vereinbarung über verbindliche Kriterien und Strukturen für eine umfassende und unabhängige Aufarbeitung sexualisierter Gewalt im Bereich des Erzbistums Köln unterzeichnet. Damit sei die "Gemeinsame Erklärung über verbindliche Kriterien und Standards für eine unabhängige Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche in Deutschland" für das Erzbistum Köln in Kraft gesetzt worden.

Zudem sei die Höhe der Anerkennungsleistungen angehoben worden. Darüber entscheide die neu geschaffene "Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistung" (UKA) in Bonn. Ihre Zahlungen orientieren sich nach Angaben des Erzbistums "grundsätzlich an Urteilen staatlicher Gerichte zu Schmerzensgeldern in vergleichbaren Fällen". Daraus ergebe sich ein Leistungsrahmen von bis zu 50.000 Euro. Bisher betrugen diese Leistungen durchschnittlich 5.000 Euro. Zusätzlich könnten Betroffene Kosten für Therapie- oder Paarberatung erstattet bekommen.

Woelki im Tal der Ahnungslosen

Das klingt alles super - und um der ganzen Wahrheit die Ehre zu geben: Ohne Kardinal Woelkis Einsatz wäre die Aufarbeitung innerhalb der katholischen Kirche nicht da, wo sie jetzt ist. Geschweige denn im Erzbistum Köln, das immerhin das größte der katholischen Kirche in Deutschland ist.

Dennoch musste er Fehler einräumen. Doch das GW-Gutachten kommt zu dem Schluss, dass er nach geltendem Kirchenrecht richtig gehandelt habe.

Aber reicht das? Im Anschluss an die Pressekonferenz betraf deshalb auch ein Großteil der Fragen der anwesenden oder zugeschalteten Journalistinnen und Journalisten die Rolle Woelkis: Ob er nicht im Laufe der Jahre, mitten in einem System, das er selbst als "System aus Schweigen, Geheimhaltung und mangelnde Kontrolle" bezeichnete - umgeben von Männern, die laut GW-Gutachten dieses System maßgeblich ausmachen - von all diesen Vorfällen hätte wissen und handeln müssen? Ein Kollege der Bild brachte das Wort "Mitwisserschaft" ins Gespräch. Doch Woelki wandelte nach Angaben im Tal der Ahnungslosen.

Als Geheimsekretär von Meisner sei er zuständig gewesen für die Post, habe Informationen für die Vorträge des Kardinals zusammenstellen sowie dessen Visitationen planen und organisieren müssen. Die Meldungen über Fälle sexualisierter Gewalt seien ja "erst danach aufgeschlagen. Jedenfalls das Gros". Als Weihbischof sei er zwar bei Personalkonferenzen anwesend gewesen, aber "meiner Erinnerung nach sind solche Fälle nicht explizit behandelt worden". Ein solcher Fall sei "nie vorgestellt und diskutiert worden", bekräftigte er.

"Der Ruf der Kirche wurde höher bewertet als das Leid der Betroffenen", was Woelkis Resümee zu Beginn der Pressekonferenz. "Das hätte so nie passieren dürfen, im Zweifelsfalle muss rigoros gehandelt werden.". Gerichte seien die einzige Instanz, die in solchen Fällen urteilen und richten dürften.

Bleibt zu hoffen, dass er diese Erkenntnis fürderhin in praktisches Handeln umsetzt. Der vorgestellte Maßnahmenkatalog bietet zumindest die entsprechenden Werkzeuge dafür.

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