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Seite 3: Kanonisches Recht

Im GW-Gutachten wurden Versäumnisse im Umgang mit Fällen sexualisierter Gewalt untersucht. Allerdings war der Maßstab nicht weltliches, sondern kirchliches Recht. Doch was ist das eigentlich, dieses kirchliche oder kanonische Recht?

In Artikel 140 des Grundgesetzes ist das kirchliche Selbstverwaltungsrecht festgelegt. Damit wird den Kirchen beziehungsweise religiösen Vereinigungen Freiheit von staatlicher Einmischung in innere Angelegenheiten garantiert. Dazu gehört auch die Sondergerichtsbarkeit, das Kirchenrecht, in der katholischen Kirche "Codex Iuris Canonic" (CIC) "Kodex des kanonisches Rechts" genannt, mit dem diese inneren Angelegenheiten geregelt werden.

Bis zum Mittelalter gab es kein einheitliches Kirchenrecht, sondern die lokalen Kirchen regelten die Dinge selbst, nach eigenem Gusto oder anhand der Dekrete des Papstes. Diese wurden erst ab dem Mittelalter gesammelt und zusammengefasst. Die kirchliche Rechtsprechung lehnte sich an die des Kaisers Justinian I. an, das "Corpus Iuris". So entstanden sechs Gesetzeswerke, die zusammen das "Corpus Iuris Canonici" bildeten, das von 1582 bis 1017 in Kraft war; dieses galt allerdings nicht verbindlich und kam nur zur Anwendung, wenn es durch eine öffentliche Bekanntmachung quasi in Kraft gesetzt wurde.

Das erste Vatikanische Konzil am 8. Dezember 1869 regte die Schaffung eines einheitlichen, für alle verbindlichen Regelwerks an. Veröffentlicht wurde das CIC schließlich Pfingsten, 27. Mai 1917, in Kraft trat es ein Jahr später zu Pfingsten am 19. Mai 1918.

Die aktuelle Fassung wurde am 25. Januar 1983 von Papst Johannes Paul II. mit der Apostolischen Konstitution Sacrae Disciplinae Leges öffentlich bekannt gegeben, und ist seit dem ersten Adventssonntag desselben Jahres in Kraft. 2001 wurde es durch Johannes Paul II. um prozessuale Regeln ergänzt, die insbesondere die Stellung der Kongregation für die Glaubenslehre bei der Verfolgung von Vergehen festlegte.

Solange die "inneren Angelegenheiten" das Verhältnis der Gläubigen zur jeweiligen Institution bzw. deren Vertreterinnen und Vertretern oder zum Beispiel die Regeln des Zusammenlebens in einem Kloster betreffen, ist das völlig unproblematisch. Denn die Unterwerfung der Gläubigen und auch der Nonnen und Mönche unter diese Regeln beruhen auf Freiwilligkeit.

Schutz vor Ahndung nach weltlichem Recht

Problematisch wird es allerdings, wenn die Kirchen als größte Arbeitgeberinnen im Land ein eigenes Arbeitsrecht schaffen und Beschäftigte nicht die Möglichkeit haben, vor weltlichen Gerichten wirksam und verbindlich ihr Recht einzuklagen. Gänzlich problematisch wird es, wenn das kanonische Recht dazu missbraucht wird, Straftaten wie Sexualdelikte, bei denen primär Kinder aber auch Erwachsene Opfer sind, zu vertuschen und die Straftäter vor der Ahndung durch ein weltliches Gericht schützen. Das Kirchenrecht wurde jedoch häufig dazu missbraucht, sehr weltliche Verbrechen zu vertuschen und die Täter zu schützen.

"Eines aber unterscheidet die katholische Kirche von allen übrigen gefährlichen Gesellschaften: Sie unterhält eine eigene Strafjustiz, die solche Vergehen ahndet", erläuterte Andreas Zielcke bereits 2010 in der Süddeutschen Zeitung (SZ). " Zwar gibt es auch ein evangelisches Kirchenrecht, doch das stellt kaum mehr als eine gewöhnliche Disziplinarordnung dar, die Pfarrer zur Einhaltung ihrer Dienstpflicht anhält. Ein voll ausgeformtes Strafrecht, das neben das staatliche tritt, ist nur der katholischen Kirche eigen. Und das heißt auch, dass es einheitlich gilt für die gesamte katholische Welt mit ihren mehr als eine Milliarde Gläubigen und ihrer halben Million Klerikern."

Im GW-Gutachten heißt es:

"Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass das kirchliche Strafrecht andere Ziele verfolgt als das weltliche (…) Ziel des kirchlichen Strafrechts ist damit insbesondere, die Ordnung des gemeinsamen Glaubens und des Zusammenlebens als Glaubensgemeinschaft zu sichern. Die klerikalen Standespflichten und die einwandfreie Amtsführung stehen im Vordergrund. Aus diesem Grund kennt das kirchliche Strafrecht auch keine Haftung von Laien für diese Taten, sondern lediglich diejenige von Klerikern."

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