Alternativer wird's nicht

Seite 2: Journalismus jenseits von Gesinnung und Agenda ist illusorisch

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Zugleich ist es illusorisch zu glauben, es könne Journalismus jenseits von Gesinnung und Agenda geben. Sobald es um die Interpretation von Fakten geht (und jetzt tun wir mal so, als wäre die Faktenlage immer so eindeutig, was sie ja keineswegs ist), bewegen wir uns nicht mehr in einer ideologiefreien Zone. Das ist gar nicht möglich. Die journalistische Leistung besteht ja eben im Sichten, Sortieren und Auswerten der Fakten. Dass dieser Vorgang so objektiv wie möglich zu erfolgen hat, steht außer Frage. Aber er kann trotzdem nicht gänzlich ohne ideologisch gefärbte Deutung erfolgen.

Schlimm ist das eigentlich nicht. Der Traum vom ideologiefreien Journalismus ist in Wirklichkeit keiner. Per se ist es nämlich nicht schlecht, wenn jemand Haltung zeigt. Allerdings sollte es eine reflektierte, kluge, besonnene Haltung sein, gut argumentiert und nachvollziehbar erläutert. Vor allem aber sollte es eine offengelegte Haltung sein. Sich als neutral darzustellen, während man durchaus gewisse Interessen und Weltanschauungen vertritt (üblicherweise natürlich diejenigen der Geldgeber, die hinter dem Medienunternehmen stehen), ist inakzeptabel. Sobald aber eine gewisse Haltung etabliert und vertreten wird, kann ich als mündige Leserin dazu Position beziehen.

Häufig ärgere ich mich, wenn die Argumentation eines Redakteurs meinen eigenen Ansichten widerspricht. Wenn der Artikel aber mit Sorgfalt erarbeitet ist, kann ich trotzdem aus den präsentierten Fakten und Zusammenhängen meine eigenen Schlüsse ziehen, ohne zwangsläufig zu denselben Ergebnissen zu gelangen. Mehr kann man sich von gutem Journalismus nicht erwarten.

Eine gewisse kritische Eigenleistung muss dem Publikum zugemutet werden. Wer die Antisemitismus-Doku auf der Seite der BILD angesehen hat, konnte sich nun selbst überlegen, warum Arte das nicht senden wollte, warum die BILD das hingegen sehr wohl senden wollte und warum beides doch auch einiges über das Spektrum der Medienlandschaft aussagt, in der wir uns bewegen. Arte hat Haltung gezeigt. Solange diese Haltung sichtbar ist und im Idealfall nachvollziehbar gemacht wird, ist auch das Nicht-Senden, das Nicht-Berichten vertretbar (allerdings auch schwieriger zu kommunizieren - über etwas zu reden, was man nicht zeigen will, bedeutet, es ja doch irgendwie zeigen zu müssen).

Problematisch wird es, wenn der Eindruck entsteht, dass Dinge verschleiert oder verzerrt werden, und hier muss man genau hinschauen. Medienkritik - auch dazu sind Medien da, und auch dazu brauchen wir keine neuen Alternativen: von Übermedien über MEEDIA bis mimikama, von correctiv bis telepolis - wir sind versorgt. Zu glauben, eine neue Plattform könne nun endlich den völlig anderen Journalismus generieren, ist im besseren Fall naiv, im schlechteren Fall bösartig: Dann nämlich wird dem gesamtem Berufsstand unterstellt, aus einem lahmen Haufen manipulierter und manipulierender Kasperln zu bestehen.

Dabei zeigen gerade die vermeintlich "neuen und ganz anderen" Medien, welche Qualität das hat, was wir so nonchalant als "Mainstreammedien" abtun. Wer beispielsweise die Entwicklung der Krautreporter mitverfolgt hat, muss sich fragen, was dieses mit großem Getöse angetretene Kollektiv denn nun so fundamental anders macht als die Kollegen vom Schweizer Tagesanzeiger, vom österreichischen Standard, von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Süddeutschen Zeitung oder der ZEIT. Der Ton ist vielleicht manchmal flapsiger und jugendlich-forsch, aber wesentliche Unterschiede sucht man vergeblich. So genau kann man das als Gelegenheitsleser gegenwärtig freilich nicht mehr abschätzen, die meisten Krautreporter-Artikel sind nämlich mittlerweile hinter einer Bezahlschranke verschwunden.