Amerika - Wer?

Der Ball liegt in der irakischen Hälfte

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Es verändert sich einiges im Irak. Folgt man amerikanischen Kommentatoren, so hat sich die Rolle der USA im Bewusstsein der Iraker seit den Wahlen deutlich verändert. Zum ersten Mal würden die USA bei politischen Verhandlungen außerhalb stehen, beobachtete der New York Times Journalist Dexter Filkins schon Anfang des letzten Monats. Und der beharrliche Kritiker der amerikanischen Vorgehensweise im Irak, Professor Juan Cole, freut sich dieser Tage über "die beste Nachricht seit langem": In 14 der 18 Provinzen soll das US-Militär die Befehlsgewalt an irakische Sicherheitskräfte weitergegeben haben; auch in der Hauptstadt wurde das militärische Kommando über einige Gebiete auf die irakische Armee übertragen.

"Suddenly, It's 'America Who?'": Auf diese Formel brachte Dexter Filkins seine Eindrücke über die Stimmungslage im Irak nach den Wahlen. "Eine bemerkenswerte Sache hat sich ereignet", schrieb er am 6. Februar. "Im großen und ganzen haben die Iraker aufgehört, über die Amerikaner zu sprechen." Die Gespräche in den Teehäusern und an den Straßenecken würden sich eher mit der neuen Regierung befassen, mit deren Strategien, mit irakischen Problemen und irakischen Lösungen. Die Amerikaner würden zum ersten Mal "draußen stehen".

Als Folge davon sei auch die Kritik an den Amerikanern moderater geworden. Auf jeden Fall unter Schiiten; unklar sei allerdings, schränkt Filkins ein, wie sich dieser "Trend" auch in den sunnitischen Gemeinschaften verbreiten würde. Die Präsenz der amerikanischen Truppen ist dort nach wie vor nicht erwünscht. Am Montag dieser Woche dann der erste große Test des "Trends", der blutige Anschlag auf Hilla (vgl. Rachemorde). Und zumindest in der Berichterstattung über die Reaktion auf den Anschlag wurde kaum Kritik an der US-Besatzung laut, wie bei dergleichen Aufmerksamkeitserfolgen der Guerillas sonst üblich. In der amerikanischen Berichterstattung der letzten Woche häuften sich gar Meldungen, die leichte Zuversicht über den Ausgang des Kampfes gegen die "Insurgency" verströmten: So Generals Abizaids Einschätzung, der Widerstand verliere langsam Kraft und Truppen, und die irakischen Sicherheitskräfte würden allmählich besser. Dazu die Erfolgsmeldungen über die Operation "River Blitz" in der Widerstandsprovinz Anbar. Kontrastiert wurden die erfreulichen Nachrichten allerdings einmal durch General Myers pessimistischere Lageeinschätzung, wonach der Guerillakrieg noch sieben bis zwölf Jahre andauern könnte und eine schnelle Lösung ziemlich unwahrscheinlich sein könnte.

Andrerseits merkt auch der Christian Science Monitor in seinem Bericht über "River Blitz" an, dass einige Widerstandsnester in der Anbar Provinz zwar von den Marines überraschend schnell gesäubert werden konnte; die Aufständischen aber vermutlich genauso schnell wieder in die Orte zurückkommen würden, sobald die amerikanischen Panzer verschwunden seien.

Man will sich mehr auf die irakischen Sicherheitskräfte verlassen, das dringt derzeit aus vielen Irakberichten durch. Der Ball liegt demnach also in der irakischen Spielfeldhälfte. Welche Pläne die neue Regierung zur Bekämpfung des terroristischen Widerstands hat, ist folglich die spannende Frage. Was dazu bei den noch laufenden Regierungsbildungs-Verhandlungen der schiitischen Allianz und ihrer kurdischen Bündnispartner diskutiert wird, ist nur schemenhaft bekannt. Einiges deutet jedoch auf einen wesentlichen strategischen Unterschied zwischen den beiden Wahlgewinnern hin. Während die Schiiten nach außen hauptsächlich Terroristen mit Verbindungen zu Al-Qaida, also vornehmlich Sarkawis Truppen, für die Anschläge verantwortlich machen statt die "homegrown resistance" der sunnitische Minderheit und damit zu vermeiden suchen, den politisch sehr prekären Generalverdacht auf die Sunniten zu bedienen, sind die Terroristen für die Kurden nur "marginal players" unter den Aufständischen.

Der entscheidende Unterschied zwischen der schiitischen und kurdischen Strategie gegen den Widerstand liegt demnach in der Frage, wie man sich gegenüber den Sunniten verhält. Für die Kurden liegt die Niederschlagung des Widerstands eher in einer rigiden Vorgehensweise gegen Ex-Baathisten auch in sunnitischen Zentren, natürlich vor allem im Norden des Landes wie in Mosul. Der Kampf gegen Sarkawi ist in dieser Lesart nur ein Ablenkungsmanöver. Mosul, das früher eine Rekrutierungsbasis für Saddam Husseins Militär-und Sicherheitsapparat war, sei ein neues Zentrum des Widerstands. Dort gebe es mehr "Generäle als in ganz Amerika":

Diese Leute bleiben lieber anonym. Wenn jeder nach al-Sarkawi sucht, dann haben sie mehr Raum für ihre Operationen.

Dana Ahmad Madschid, Sicherheitschef der PUK

Die Taktik der Schiiten zeitigt erste Minimalerfolge, so hat sich die einflussreiche sunnitische "Association of Muslim Scholars", eine führende Stimme beim Aufruf zum sunnitischen Wahlboykott, nach dem Attentat von Hilla eindeutig von den "Terroristen" distanziert. "Wenn die Sunniten jetzt mit uns sprechen, dann insistieren sie darauf, dass man sie von den Terroristen unterscheidet, weil sie kein irakisches Blut an den Händen haben wollen", wurde ein Vertreter der schiitischen Allianz kürzlich im Wall Street Journal zitiert. Bleibt abzuwarten, ob der Trend nicht hauptsächlich in der derzeitigen amerikanischen Berichterstattung existiert.