Amerikanische Medienindustrie unter Beschuss

Vermarktungsstrategien von klassifizierten Filmen oder Computerspielen richten sich direkt auf Minderjährige

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Wahrscheinlich nicht ganz ungefähr zur Wahlkampfzeit wurde jetzt der Bericht "Marketing of Violent Entertainment to Children" der Federal Trade Commission veröffentlicht. Auch wenn die Unterhaltungsindustrie ihre Produkte, um einer gesetzlichen Vorschrift zu entgehen, freiwillig nach Inhalt und Altersbegrenzung einordnet, setzt sie weiterhin gezielt bei Kindern und Jugendlichen auf Werbung für Filme, Musik oder Computerspiele, die sie selbst als nur für Erwachsene gekennzeichnet hat und in denen Gewalt dargestellt wird. Ähnlich wie beim Datenschutz funktioniert auch hier die Selbstkontrolle nicht wirklich.

Präsidentschaftskandidat Al Gore, sein Vizepräsidentschaftskandidat Joe Lieberman, schon lange für seinen Kampf gegen Sex und Gewalt in den Medien bekannt, und Präsident Clinton, der die Studie letztes Jahr nach dem Columbine-Schulmassaker in Auftrag gegeben hatte (Ist DOOM schuld am Schulmassaker in Littleton?), nutzten die Möglichkeit, für eine saubere Medienumwelt für die heranwachsende Generation einzutreten. Allerdings wird Gore auch von Hollywood unterstützt, weswegen seine Warnung, wenn die Selbstkontrolle nicht funktioniere, man dies gesetzlich regeln müsse, wohl nicht ganz so wörtlich zu nehmen ist. Betont wird freilich auch, dass es dabei keineswegs um Zensur von Inhalten gehe, sondern nur um eine Änderung der Vermarktungsmöglichkeiten. Clinton wurde gar philosophisch und verwies auf Platon, der gesagte hatte, dass diejenigen, die die Geschichten erzählen, die Gesellschaft beherrschen - und daher eine besondere Verantwortung tragen.

Auch wenn der demokratisch Präsidentschaftskandidat Gore von den Republikanern nun der Scheinheiligkeit bezichtigt wird, stimmt sein Kontrahent Bush doch zu, dass man die Menge der Gewaltdarstellungen, der Kinder ausgesetzt sind, reduzieren müsse. Er werde mit den Verantwortlichen reden und sie überzeugen, dass sie bessere Produkte machen sollen. Und das wird auch das Ergebnis der kurzen Aufregung sein, nämlich dass sich alle guten Willens zeigen, weiter aber nichts geschehen wird, da die gebrandmarkten Werbestrategien nicht verboten sind.

Der Vorsitzende der FTC, Robert Pitofsky, sagte bei der Vorstellung des Berichts zwar, dass seine Behörde keine "Gedankenpolizei" werden will, aber dass man rechtliche Schritte in Erwägung ziehen müsse, wenn die Industrie nicht aufhöre, gewalttätige Filme, Musikstücke und Filme an Kinder zu vermarkten: "Unternehmen in der Unterhaltungsindustrie unterlaufen regelmäßig ihre eigenen Altersbeschränkungen, indem sie für Filme, Aufnahmen und Computerspiele mit Gewaltdarstellungen gezielt bei dem jungen Publikum werben." So würden solche Spiele und Filme in Fernsehsendungen angepriesen, die am Nachmittag laufen und viel von Kindern gesehen werden. Auch in Zeitschriften für Jugendliche und sogar in Schulzeitungen gäbe es Werbung für solche Produkte. Für 83 von 118 Computerspielen, die als "Geeignet nur ab 17 Jahren und älter" klassifiziert wurden, habe man gleichwohl bei Jugendlichen unter 16 Jahren geworben, von den 11 vom FTC kontaktierten Computerspieleproduzenten hätten 10 Dokumente vorgelegt, die zeigen, dass für sie Jugendliche unter 17 Jahren die primäre Zielgruppe für Spiele wie Quake sind. In einem der Dokumente stand beispielsweise: "Our goal was to find the elusive teen target audience and make sure everyone between the ages of 12-18 was exposed to the film."

Auch bei den meisten der untersuchten Werbekampagnen für Kinofilmen, die als ungeeignet für Jugendliche eingestuft wurden, sei dennoch in dieser Altergruppe geworben worden. Dasselbe treffe auf die Musik zu. Alle von der FTC überprüften Aufnahmen, die eine Inhaltsklassifizierung trugen, seien auf Jugendliche unter 17 Jahren gerichtet gewesen. Bei der Überprüfung, ob 13- bis 16-Jährige ohne Eltern Eintrittskarten bei Filmen für Erwachsene in Kinos oder indizierte Computerspiele bzw. CDs in Geschäften kaufen konnten, habe sich gezeigt, dass es hier kaum Kontrollen gibt. Der einstimmig angenommene Bericht empfiehlt, dass die Unternehmen zu einer stärkeren Selbstkontrolle bei der Klassifizierung, der Vermarktung und dem Vertrieb finden müssen, dass aber auch eine regelmäßige Kontrolle seitens des Kongresses und der Regierung erforderlich sei.

Überprüft werden soll, ob es möglich ist, gegen die Hersteller von Produkten, die als für Jugendliche ungeeignet klassifiziert wurden, wegen Betrugs oder Täuschung rechtlich vorzugehen, wenn für diese direkt bei Jugendlichen unter 17 Jahren geworben wird. Ansonsten werde die Behörde keine Schritte unternehmen, wenn man eine "wesentliche Verbesserung" erkennen könne.

Vertreter der angesprochenen Branchen der Unterhaltungsindustrie räumen ein, dass Kinder gelegentlich eine Werbung sehen können, die eigentlich an Erwachsene gerichtet sei. Dagegen aber sei schließlich nichts einzuwenden. Hilary Rosen, Präsident der RIAA, die gerade auch einen moralischen Kreuzzug gegen die durch Napster ermöglichte Kultur des Diebstahls am geistigen Eigentum führt, wehrt die Folgerungen des Berichts ab, da schließlich die Eltern und nicht die Regierung dafür verantwortlich seien, "die Kinder zu der Musik zu führen, die für das Alter und die Reife des Kindes geeignet sei". Jack Valenti, Präsident der Motion Picture Association of America (MPAA), gab da noch eines drauf: "Fast 32 Jahre lang war diese Branche das einzige Segment unseres Marktplatzes, das freiwillig auf Einkünfte verzichtet hat, um das Versprechen zu erfüllen, das wir den Eltern gegeben haben. Wenn wir einen moralischen Verfall in diesem Land verursachen würden, dann sollte es eine Explosion an Gewalt geben. Aber genau das Gegenteil ist der Fall." Die Computerspielbranche wiederum verweist darauf, dass neun von 10 Spielen an Erwachsene verkauft würden. Eigentlich ist alles also kein Problem.