Amerikanisches Patentrecht durch die Hintertür?

Eine Änderung des Haager Abkommens ist in Vorbereitung

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Kaum ist eine Entscheidung zugunsten von Softwarepatenten auf der diplomatischen Konferenz in München abgewendet (Vgl. Feuerpause an der Patentfront) melden sich amerikanische Patentexzesse durch die Hintertür an: Die Haager Konferenz für internationales Privatrecht verhandelt über eine Konvention, die gemeinsame verbindliche Regeln für die Jurisdiktion in Fragen des Zivilrechts schaffen und für die internationale Anerkennung und Durchsetzung von Urteilen sorgen soll, die unter diesen Regeln gesprochen werden.

Im "Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit in Zivilsachen" geht es um die Anerkennung ausländischer Urteile zu unter anderem Vertragsverletzungen, Wettbewerbsrecht, sowie Industrie- und Handelsgeheimnissen. Die Haager Konferenz, die das neue Abkommen ausarbeitet, soll ihren Statuten nach auf die Vereinheitlichung der Regeln des internationalen Privatrechts hinarbeiten. Sie wurde erstmals 1893 in Den Haag von der Niederländischen Regierung einberufen, seit 1951 tagt sie als ständige Organisation, die Übereinkommen auf den Gebieten des Privatrechts, der Gerichtsbarkeit und der verwaltungsmäßigen Zusammenarbeit entwirft. Zwischen 1951 und 1999 wurden insgesamt 34 Haager Konventionen ausgehandelt - über so verschiedene Bereiche wie Adoptionsrecht, Prozessrecht und Beweispflichtregelungen. Der Haager Konferenz gehören 47 Staaten, vorwiegend aus Europa und Amerika, außerdem Israel, Marokko, Ägypten, Südkorea, Japan und China an. Einige wichtige Handelsnationen wie Singapur oder Indien blieben der Konferenz bisher allerdings fern.

Die Initiative zur Änderung des Abkommens kam von der US-Regierung, die eine Durchsetzung ihrer Standards und Urteile in anderen Ländern erreichen wollte. Erste Schritte zur Umgestaltung des Vertragswerks wurden bereits 1992 eingeleitet und führten schließlich zur Entstehung eines Änderungsentwurfs. Nachdem am 30. und 31. Januar in Genf ein Treffen über die Gerichtsbarkeit in Streitfällen zu "geistigem Eigentum" stattfinden wird, soll im Juni 2001 im Rahmen einer diplomatischen Konferenz über das Ergebnis dieser Verhandlungen beschlossen werden. Ende 2001 oder Anfang 2002 ist eine Abschlusskonferenz geplant. Das Verfahren der Vertragsvorbereitung verläuft bisher nach dem Muster der Geheimdiplomatie des 19. Jahrhunderts: Die Verhandlungen in Washington und Den Haag waren lediglich für die Delegierten der Mitgliedsländer zugänglich.

Was ändert der Vertrag? Privatpersonen, Organisationen und Firmen können schon jetzt vor ausländischen Gerichten verklagt werden. Es ist jedoch relativ schwierig, ausländische Urteile im Heimatland durchzusetzen - außer der Betreffende hat dort Vermögenswerte. Die neue Übereinkunft würde in ihrer geplanten Form nicht nur breiten Raum für Klagen gegen unfaire Handelspraktiken, Wettbewerbsrechtsklagen und Betrugsklagen schaffen, sondern auch eine Inflation von Verleumdungs- und Beleidigungsklagen möglich machen. In all diesen Fällen ist es möglich, in einem der 47 Vertragsstaaten verklagt zu werden. Und - das ist der entscheidende Punkt - das Heimatland des Beklagten müsste dieses im Ausland gesprochene Urteil dann durchsetzen.

Problematisch wird dieses Abkommen, wenn es - wie geplant - auch auf sogenannte "Immaterialgüterrechte" angewendet wird. Durch die Bewertung von elektronischem Datentransfer als internationalen Handel erfasst das Vertragswerk auch den Austausch von Software und Musik über das Internet - wodurch der Vertrag erhebliche Auswirkungen auch auf Nichtkaufleute haben würde. Schon das Betreiben einer Webseite oder der Download von Daten jeder Art würden durch solch eine Änderung erheblich risikoreicher und mit der Gefahr verbunden, sich in Unkenntnis der Feinheiten des Rechts von Zypern oder Surinam vor Gericht verantworten zu müssen.

Die Haager Übereinkunft würde eine Welt schaffen, in der die Benutzung des Internets nur zu leicht zu Rechtsverletzungen in einem der 47 Mitgliedsländer führen könnte - auch wenn die Rechte des fremden Staates noch so verschieden von denen des eigenen sind. Und Unterschiede gibt es zahlreiche: so erlauben manche Länder keine Dekompilierung von Software, Deutschland verbietet im Gegensatz zu Amerika vergleichende Werbung und Großbritannien leistet sich eine einem Feudalstaat angemessen geringe Schwelle für Klagen gegen Ehrverletzungen. Bereits der Yahoo-Fall (Vgl. Yahoo zieht vor ein amerikanisches Gericht) zeigt, obwohl es hier nicht um Privatrecht, sondern um Strafrecht geht, wie problematisch die Anwendung nationaler Verbotsidiosynkrasien im Internet sein kann: Ein französisches Gericht verurteilte das kalifornische Unternehmen auf Durchsetzung von Zensurmaßnahmen aufgrund des Antirassismus-Paragraphen R. 645-2 des französischen Strafgesetzbuchs. Gegen die Durchsetzbarkeit dieses Urteils klagt Yahoo nun in Kalifornien, wo das Anbieten von Nazi-Devotionalien vom ersten amerikanischen Verfassungszusatz als freie Meinungsäußerung geschützt ist. Die Anwendbarkeit von 47 sich ständig verändernden Rechtsordnungen führt bestenfalls zu absoluter Rechtsunsicherheit. Vor allem der Handel im Internet wird durch einen undurchschaubaren Flickenteppich aus unterschiedlichsten Rechtsordnungen nicht unbedingt gefördert. Ist es vorhersehbar, wie sich die Rechtsordnung von Feudalstaaten wie Monaco oder Marokko ändert? Werden Verleumdungsklagen aus Ägypten das Erscheinen wissenschaftlicher Studien über den Islam in Deutschland verhindern? Durch diese Rechtsunsicherheit für den Verbraucher und den mittelständischen Anbieter ist das Abkommen auch ein weitere Schritt in die "Sophistokratie", die Anwaltsherrschaft.

Nicht nur Europäer, auch Amerikaner müssen durch solch ein Abkommen Nachteile fürchten. Da der Vertragsentwurf keinen Schutz der Rechte auf "fair use" vorsieht, ist für US-Bürger eine erhebliche Einschränkung der Redefreiheit durch europäische Urheberrechtsansprüche zu befürchten. Viele europäische Nationen haben, anders als die USA, das Prinzip des "fair use" in ihren Urheberrechten nicht verankert. In Deutschland etwa wird die Privatkopie durch eine Urheberrechtssteuer auf Leermedien abgegolten. Durch die Klagemöglichkeit aus anderen Ländern würde das amerikanische Recht auf "fair use" von copyright-geschütztem Material faktisch ausgehebelt.

Europäer dagegen müssen die amerikanische Praxis der Patenterteilung auf reine Geschäftsmethoden fürchten. Artikel 12 des Abkommens regelt die Zuständigkeit für Streitfälle, welche die Registrierung, Geltung und mögliche Verletzung von "Patent-, Marken- oder ähnlichen Rechten" zum Gegenstand haben. In der geplanten Fassung sind die Gerichte des Landes zuständig, in dem der Anspruch angemeldet wurde. Für die Verletzung eines amerikanischen Patentanspruchs durch den europäischen Betreiber einer Webseite wäre also ein amerikanisches Gericht zuständig, das nach amerikanischem Recht zu urteilen hätte. Europäische Länder müssten dieses Urteil dann durchsetzen. Der Artikel 52 des Europäischen Patentübereinkommens, der z.B. die Erteilung von Patenten auf Software "als solche" verbietet, wäre hier hinterrücks ausgehebelt. Besonders gefährdet sind dadurch Softwareentwickler, die massenhaft Klagen aus Amerika fürchten müssen.

Im Endeffekt läuft das Abkommen auf eine Vereinheitlichung der Patent- und Urheberrechte auf dem höchsten Stand und damit auf ein Enteignungs-Wettrüsten hinaus. Es wird so zum "Standortvorteil", möglichst weitreichende Patent- und Urheberrechte zu beschließen, da sich so über Lizenzgebühren versteckt auch Bürger und Firmen anderer Länder besteuern lassen können.

Zum Zeitpunkt des Abschlusses des "Agreements on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights" (TRIPS) war keine breite Öffentlichkeit über die negativen Folgen des Abkommens informiert. Die Demokratie war mit der Einschränkung von Rechten über die Hintertür internationaler Abkommen noch nicht vertraut. In ein "HorrorTRIPS" schlug das Abkommen erst nach einer Verdauungszeit der Umsetzung in nationales Recht um, als die negativen Folgen und Gefahren einer breiteren Öffentlichkeit bewusst wurden. Jetzt hat eine wachere Öffentlichkeit die Chance, ein Haager Abkommen, das unter anderem den Schutz der Privatsphäre und das Recht auf freie Meinungsäußerung erheblich einschränken würde, zu verhindern.

Die amerikanische Verbraucherschutzorganisation cptech.org hat ein Diskussionsforum zur Erläuterung der Konsequenzen einer Erweiterung der Haager Konvention eingerichtet: Die Vorschläge reichen von einer Herausnahme der elektronischen Datenübertragung aus den Transaktionskatalog, den das Vertragswerk regelt, bis zu seiner vollständigen Ablehnung. Beim US Patent Office läuft bis 12. Januar 2001 eine Kommentarfrist, in der Bürger die geplanten Änderungen beurteilen können. Die deutsche Regierung hält so viel Demokratie nicht für notwendig. Herr Arns vom Bundesministerium für Justiz erläutert zwar ungefragt, dass sein Ministerium gegen einen Vertragstext sei, der amerikanischen Gerichten die Aufhebung europäischer Patente ermöglichen würde, erklärt sich aber für inkompetent, was die Beantwortung von Fragen nicht zum Schutz von, sondern vor Patentansprüchen angeht. Ein Vertragsentwurf mit angeblich mehreren durch eckige Klammern gekennzeichneten Textvarianten wurde im November an "Verbände und alle die damit zu tun haben" verschickt. Eine Nachhaken beim diese journalistische Praxis offenbar ungewohnten Staatsdiener ergab, dass man im Justizministerium die Information breiter Bevölkerungsschichten ebenso wenig für nötig hält wie eine umfassende öffentliche Diskussion des Vorhabens. Das Ergebnis könnte ja den Vertrag beeinflussen.