Amokläufer oder Terroristen?

Die Sorge wächst vor den "einsamen Wölfen", die aber nach einer Studie gar nicht so einsam sein sollen, sondern im Internet ihr "Wolfsrudel" finden

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In den westlichen Ländern treten in den letzten Jahren immer wieder alleine agierende Terroristen auf. Al-Qaida im Jemen hatte sich diesen Trend zu eigen gemacht und rief nach dem kreierten Konzept des "Open Souce Jihad" Menschen im Westen dazu, als Einzeltäter Anschläge auszuführen, weil man so, etwa als "Urban Assassin", schwerer von den Sicherheitsbehörden entdeckt werden könne. Alleine planende und handelnde Terroristen entgehen den automatischen Überwachungs- und Verfolgungstechniken, so die Furcht, weswegen sie zunehmend von Sicherheitsbehörden als größere Gefahr als Terrornetzwerke angesehen werden - und Anlass bieten, Überwachungsmaßnahmen auszudehnen oder dies zumindest zu fordern.

Die Gestalt des einsamen Wolfs, der überraschend aus dem Hinterhalt zuschlägt, findet sich allerdings auch in Gestalt der Amokläufer, die in der Regel und aus unterschiedlichen Motiven mit Schusswaffen ein Massaker anzurichten versuchen. Auch sie lassen sich meist als Selbstmordattentäter bezeichnen, auch wenn sie sich nicht selbst in die Luft sprengen, sondern während ihres finalen Spektakels erschossen werden, wie dies gerade wieder bei dem Täter der Fall war, der bei einem Schusswaffenanschlag auf einen Sikh-Tempel in Milwaukee von der Polizei getötet wurde. Weil der Anschlagsort dieses Mal kein Kino oder keine Bildungseinrichtung war, sondern eine kirchliche Institution, gehen die Behörden ausnahmsweise von einem Terroranschlag aus ("domestic terrorist-type incident"). Vermuten lässt sich allerdings, dass das Motiv und das Anschlagsziel bei Amokläufern wie auch bei manchen der islamistischen Selbstmordattentäter die Tat nicht erklären. Oft könnte es sich um einen erweiterten Selbstmord handeln, der durch den Anschlag mit Sinn aufgeladen werden soll. Der kann dann darin bestehen, ins Paradies zu kommen, irgendetwas zu verteidigen oder persönlich Aufmerksamkeit zu erzielen, auch wenn dies posthum erfolgt.

Der Kommunikationswissenschaftler Gabriel Weimann von der Haifa-Universität hat sich in seiner Studie, die im Journal of Terrorism Research erscheinen wird, allerdings nur wieder mit den "einsamen Wölfen" unter den Terroristen beschäftigt, weil diese eine zunehmende globale Gefahr darstellen würden. Ein solcher Terror-Einzelgänger könne jeder sein, was die Erkennung zusätzlich so schwer mache, einer Bevölkerungsgruppe seien sie nicht mehr zuzuordnen. Auch dabei wäre die Frage, ob etwa Nidal Hasan, auf den Weimann verweist, als Terrorist oder als Amokläufer einzustufen wäre oder ob man für diese Tätergruppe einen neuen Namen finden müsste, um das Phänomen besser erfassen zu können. Der US-Offizier und Psychiater hatte 2009, kurz bevor nach Afghanistan versetzt werden sollte, in Fort Hood 13 Soldaten getötet und 32 weitere verletzt. Er hatte Email-Kontakt mit dem 2011 mit einer Drohne ermordeten US-Imam Anwar al-Awlaki, der sich in Jemen al-Qaida angeschlossen hatte und Terroranschläge von einsamen Wölfen propagierte. Hasan hatte keiner Gruppe angehört und offenbar aus eigenem Entschluss gehandelt. US-Justizminister hatte denn auch entschieden, ihn nicht unter eine Terrorismusanklage zu stellen. Der Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Als weiteren Fall nennt Weimann Arid Uka, der 2011 am Frankfurter Flughafen zwei US-Soldaten, die auf dem Weg nach Afghanistan waren, erschossen und zwei weitere schwer verletzt. Nach Sicht des Gerichts war es der erste islamistisch motivierte Terroranschlag in Deutschland. Uka, der als höflich und zurückhaltend beschrieben wurde, handelte ebenfalls alleine, er soll sich über das Internet in kurzer Zeit radikalisiert haben, auf Facebook hatte er einige radikale "Freunde". So fand man bei ihm auch Reden von al-Awlaki, Anlass für seine Tat soll ein Video gewesen sein, das angeblich die Vergewaltigung einer Muslimin durch US-Soldaten zeigte, aber von Islamisten einfach für eigene Propagandazwecke aus dem Film "Redacted" kopiert worden war. Möglicherweise war er in seiner Kindheit sexuell misshandelt worden, er hatte in der Schule oft wegen psychischer Probleme gefehlt und das Gymnasium abgebrochen, ohne dies seinen Eltern mitzuteilen. Er ging davon aus, während seines Anschlags getötet zu werden. Auch er ist wie Nidal Hasan wohl eher ein Amokläufer als ein überzeugter islamistischer Terrorist.

Weimann interessiert für solche Abgrenzungen weniger, seine These ist vielmehr, dass die einsamen Wölfe gar nicht so einsam seien, sondern ihre Meinungen im Internet in virtuellen terroristischen Gemeinschaften kundtäten. Daher könne man, so Weimann, Terroristenanschläge von Einzelgängern möglicherweise verhindern, wenn man "die Radikalisierung der online geäußerten Meinungen verfolgt und die Rekrutierungs- und Trainingsprozesse, die im Internet geschehen, beobachtet." Nach Weimanns Beobachtungen würden die meisten Einzelgänger wie Arid Uka oder Nidal Hasan auf Webseiten von Terrororganisationen, von Unterstützerforen oder anderen Plattformen Kontakte knüpfen, Informationen austauschen und sich "trainieren". Soziale Netzwerke würden ihre Wolfsrudel darstellen. Hier fänden sie eine virtuelle Gemeinschaft mit Menschen, die so ähnlich denken und mit denen sich sie beraten können: "Die virtuelle Gemeinschaft eröffnet dem 'einsamen Wolf' eine soziale Umgebung, Unterstützung und moralische Bestärkung." Letztlich läuft seine Studie darauf hinaus, dass das Internet oder Soziale Netzwerke wie Facebook noch genauer überwacht werden müssten, um "einsame Wölfe", die einen Anschlag planen, frühzeitig identifizieren zu können: "Die Zeit, die notwendig ist, um Alarm vor dem beabsichtigten Terroranschlag einer Einzelperson zu schlagen, hängt davon ab, wie sehr das Gesetz sich mit dieser Art der Internetaktivität beschäftigen wird", so Weimann, der sich dabei um Datenschutz, Privatsphäre und Meinungsfreiheit wenig schert.