An der elektronischen Leine

In Hessen feierte man den Versuch mit der elektronischen Fußfessel für Straftäter kürzlich als großen Erfolg, ein britischer Bericht zweifelt an der Effizienz und an der angeblichen Kosteneinsparung

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Im März hat das hessische Justizministerium bekannt gegeben, dass sich die elektronische Fußfessel, die vor fünf Jahren vor allem bei Straftätern auf Bewährung eingeführt wurde, bewährt hat (Hessen testet als erstes deutsches Bundesland elektronische Fußfessel). Die Erfolgsquote liege bei 90 Prozent. Der Sender, der am Unterschenkel befestigt wird und wie eine Armbanduhr aussieht, ermögliche eine "engmaschige" Überwachung. Kontrolliert werden kann, ob sich der Überwachte zu vorgeschriebenen Zeiten in der Nähe seines Telefons aufhält. Voraussetzung für die Teilnahme ist, dass der Überwachte wöchentlich mindestens 20 Stunden einer "sinnvollen Tätigkeit" nachgeht.

Mit der elektronischen Fußfessel, so das Justizministerium, würde die Begehung neuer Straftaten verhindert und die Resozialisierung gefördert. Die Disziplinierungsfunktion wurde vom hessischen Justizminister Christian Wagner dabei besonders hervorgehoben:

Mit Hilfe der Technik wird dem Verurteilten jeden Tag wieder neu klar gemacht, dass er sich an bestimmte Vorgaben zu halten hat. Bei einem Verstoß riskiert er den Bewährungswiderruf und muss die verhängte Strafe verbüßen. Die elektronische Fußfessel setzt bei den Straftätern Motivationen und Kräfte frei, die mit herkömmlichen Mitteln der Bewährungshilfe nicht erreicht werden können. Die Fußfesselträger werden zu einer für ihre Verhältnisse hohen Selbstdisziplin und zur Erfüllung des ihnen vorgegebenen Wochenplans angehalten.

Interessant sind in diesem Zusammenhang auch weitere Anwendungsmöglichkeiten, die vom Justizminister genannt werden. Disziplinierung war einst auch die primäre Aufgabe des "Zuchthauses", das man so zu einem Gefängnis mit einem weichen, aber permanent vorhandenen Gitter dezentralisieren kann, zumal wenn, wie in Großbritannien, Wiederholungstäter und Pädophile mit einem GPS-Fußfessel ausgestattet werden, mit der bis auf den Meter genau zu jeder Zeit ihr Aufenthaltsort festegestellt werden kann. In den USA, wo elektronische Überwachung am längsten eingesetzt wird, denkt man an weitere Anwendungsgebiete: Elektronische Fußfessel für Asylbewerber.

In Deutschland wurde auch schon mal überlegt, ob man nicht auch Jugendliche, die die Schule schwänzen, an die elektronische Leine hängen sollte (Elektronische Leine zur Kompensation von Schulmisere und mangelnder Fürsorgepflicht der Eltern). Wagner scheint hingegen auch eine Neuauflage dessen zu denken, was man früher "Arbeitshäuser" nannte, also die Vorläufer der Gefängnisse für Arbeitsscheue, in denen man meist Arme und Randgruppen wie Landstreicher, Bettler, Prostituierte, Alkoholiker einsperrte und sie mit Arbeit und Religion zu "behandeln" suchte. Der hessische Justizminister gibt in diesem Sinne zu bedenken, dass die elektronische Überwachung auch Langzeitarbeitslosen wieder Disziplin beibringen könne:

Die elektronische Fußfessel bietet damit auch Langzeitarbeitslosen und therapierten Suchtkranken die Chance, zu einem geregelten Tagesablauf zurückzukehren und in ein Arbeitsverhältnis vermittelt zu werden. Viele Probanden haben es verlernt, nach der Uhr zu leben, und gefährden damit gerade auch ihren Arbeitsplatz oder ihre Ausbildungsstelle. Durch die Überwachung mit der elektronischen Fußfessel kann eine wichtige Hilfe zur Selbsthilfe geleistet werden.

Freilich wird auch noch der "höchst positive Nebeneffekt" erwähnt, dass Haftkosten eingespart werden können. So koste ein Straftäter an der elektronischen Leine angeblich 56,40 Euro pro Tag, ein Haftplatz hingegen 85,18 Euro.

In Großbritannien werden auch Kinder wegen antisozialen Verhaltens elektronisch überwacht werden

Weniger euphorisch ist ein gerade veröffentlichter britischer Bericht. Nach diesem von der Gewerkschaft der Bewährungshelfer Napo erstellten Bericht könne elektronische Überwachung zumindest nicht die Kriminalität reduzieren und käme auch teurer als die herkömmliche Betreuung durch Betreuungshelfer. Dieses Ergebnis wird dem Innenminister nicht gefallen, der Verträge mit zwei Firmen über 750 Millionen Euro abgeschlossen hat, um die Zahl der Überwachten bis 2008 zu verdoppeln und so die überfüllten Gefängnisse zu entlasten. Angeblich liege die Kostenersparnis bei 36 Prozent.

Derzeit werden 10.000 Straftäter auf Bewährung elektronisch überwacht, die normalerweise zwischen sieben Uhr Abend und sieben Uhr Morgen Hausarrest haben. Insgesamt waren es in den letzten 12 Monaten 25.000 Personen, darunter befinden sich zahlreiche Kinder und Jugendliche. Bekannt wurde zuletzt der Fall von Jermaine Pennant, einem Fußballer von Arsenal, der wegen Trunkenheit am Steuer zu einer Gefängnisstrafe von drei Monaten verurteilt wurde und nach 31 Tagen Haft frei kam. Die elektronische Fußfessel trug er auch beim Spielen.

Raphael Rowe hatte erst vor kurzem in einer BBC-Sendung berichtet, dass er bei seinen Nachforschungen Straftäter auf Bewährung getroffen habe, die trotz elektronischer Überwachung, aber wegen lascher Überprüfung weiterhin ihren kriminellen Geschäften nachgehen oder die Auflagen umgehen. Nach dem Naop-Bericht hat beispielsweise ein Straftäter das Ausgehverbot 34 Mal verletzen können, bevor er wieder ins Gefängnis zurück musste. Die Überwachung wird an Privatfirmen vergeben, die gut daran verdienen. Insgesamt hat das britische Innenministerium für die elektronische Überwachung in den letzten vier Jahren fast 350 Millionen Euro ausgegeben. Für jeden elektronisch Überwachten zahlt der Staat 2.500 Euro (nach dem Innenministerium 2.000 Euro) , die realen Kosten der Firmen schätzt die Napo auf 900 Euro. Das wäre also ein gutes Geschäft. Seit 1999 sind bereits mehr als 200.000 Menschen elektronisch überwacht worden. 5 Prozent mussten nach einer Statistik während der Überwachung wegen der Verletzung der Auflagen wieder ins Gefängnis zurück. Harry Fletcher von der Gewerkschaft kritisiert, dass elektronische Überwachung zu einem Millionengeschäft geworden ist. Der Profit sei groß, aber die Ergebnisse würden deutlich machen, dass diese Technik das Geld nicht wert ist.

Die Kosten für die herkömmliche Betreuung schätzt die Napo gerade einmal auf die Hälfte, zudem sei hier der Erfolg größer. Selbst das Innenministerium musste einräumen, dass bei jugendlichen Straftätern im Alter zwischen 10 und 17 Jahren, die elektronisch überwacht wurden, innerhalb von 12 Monaten nach Ende der elektronischen Überwachung 75 Prozent rückfällig wurden. Die permanente Überwachung mit GPS-Geräten könnte hier effizienter sein. In Großbritannien laufen hier bereits in Greater Manchester, West Midlands und Hampshire erste Tests. Damit lässt sich der Aufenthalt auf zwei Meter genau feststellen. Allerdings wird die Lokalisierung in aller Regel nur gespeichert, da die Signale nicht in Echtzeit übertragen werden. Bei einem Test werden die Signale aber dann in Echtzeit gesendet, wenn der Überwachte ein bestimmtes Gebiet verlässt.