Apple und IBM in Einem

Google will falschen Vorstellungen über sein Buchprojekt entgegentreten

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Google, so hieß es in letzter Zeit häufig, hat in Deutschland ein Imageproblem. Aus diesem Grund veranstaltete der Konzern in München einen "Runden Tisch" zu seinem Buchsuche-Projekt, bei dem er über den aktuellen Stand informierte. Aus den USA zugeschaltet referierte unter anderem Annette Kroeber-Riel über das derzeit dort verhandelte Book Settlement. Das riesige Videokonferenzbild, mit dem ihr Kopf an die Wand projiziert wurde, ließ an den berühmten Big-Brother-Werbespot aus dem Jahr 1984 denken. Allerdings scheint Google heute die beiden darin dargestellten Unternehmen gleichzeitig zu verkörpern: Bunt wie Apple und groß wie IBM.

Zu einem guten Teil wurde auf der Veranstaltung noch einmal das wiederholt, was eigentlich längst bekannt war: Dass sich die Google Buchsuche auf ein Partnerprogramm und auf die Zusammenarbeit mit Bibliotheken stützt. Dass im Partnerprogramm weltweit 20.000 Verlage mit dem Konzern zusammenarbeiten. Dass bei urheberrechtlich geschützten und noch lieferbaren Werken lediglich kurze "Snippets", bibliographische Informationen und Hinweise auf Bibliotheken und Antiquariate angezeigt werden. Und dass nicht mehr lieferbare Werke nicht komplett angezeigt werden, sondern nur eine Art Teaser daraus, der in der Regel ein Fünftel des Inhalts umfasst. Weniger bekannt schien den Reaktionen aus dem Publikum nach gewesen zu sein, dass Google Teile der Buchanzeige bereits für IP-Nummern aus der Bundesrepublik blockiert, weshalb die Vorwürfe von Verstößen gegen das deutsche Urheberrechtsgesetz nur mehr bedingt haltbar sein dürften.

Mit Florian Felix Weyh hatte der Konzern einen "Bekehrten" eingeladen - einen Autor, der anfangs gegen den Bookscan war und jetzt dafür ist. Seinen Ausführungen nach ist die Google Buchsuche nicht, wie im Heidelberger Appell propagiert, eine "Enteignung", sondern eher die "Abfallentsorgung" von Werken ohne wirklichen wirtschaftlichen Wert, die unter anderem deshalb den Löwenanteil stellen, weil sich die Frist bis zur Verramschung erheblich verkürzt hat: Betrug sie früher noch zwei Jahre, so liegt sie jetzt häufig nur noch bei drei Monaten. Abgesehen von der Zugänglichmachung von "Jugendsünden", gegen die sich aber Widerspruch einlegen lässt, erzeugt die Buchsuche Weyh zufolge für Autoren eher Vorteile als Schäden. Als konkretes Beispiel nannte der Publizist alte Theaterstücke, die bei Google Books zumindest theoretisch entdeckt werden können, während sie in den verfügbaren Verzeichnissen eines Fachverlages lediglich mit Angaben wie "3 D, 2 H, 1 D" (drei Damen, zwei Herren, eine Dekoration) geführt werden, die wahrscheinlich niemanden dazu anregen, das Stück zu spielen oder es zu verfilmen.

Verlage wollen Geld, das eigentlich nur den Autoren zusteht

Dass die VG Wort Einmalzahlungen und Werbeanteile, die Google für eine Anzeige alter Bücher anbietet, pauschal kassieren und verteilen möchte, könnte Weyh zufolge für Autoren Nachteile haben. Dort entscheiden nämlich nicht nur sie, sondern auch Verlage die wiederum ein Interesse daran haben, einen möglichst großen Anteil für sich abzuzweigen. Weil unbekannte Nutzungsarten nach der alten (und von der SPD zugunsten der Verlage geänderten) Rechtslage bei den Autoren verblieben, stehen die Beträge aber in den allermeisten Fällen eigentlich nur diesen zu. Hinsichtlich des Vorschlags, Google statt in die VG Wort in die Künstlersozialkasse einzahlen zu lassen, äußerte Weyh die nicht ganz nachvollziehbare Befürchtung, dass der Gesetzgeber dann auf die Idee kommen könne, den Verlagsanteil dort noch weiter zurückzuschrauben.

Die von Seiten der Verlagslobby propagierte Vorstellung, dass die Teaser und Snippets jemanden vom Kauf eines Buchs abhalten und damit den Verlegern schaden könnten, wirkt eher lebensfern. In der Praxis scheint der Dienst bisher überwiegend zum Überprüfen von Zitaten und Behauptungen aus anderen Büchern genutzt zu werden. Das erspart Wissenschaftlern und Studenten das aufwändige Bestellen von Werken, die man eigentlich nur wenige Sekunden lang braucht. Damit dürfte das System auch Bibliotheken (und mit ihnen die öffentliche Hand) entlasten - ein Vorteil, der bislang allerdings weder von Google noch von dort zur Sprache gebracht wurde. Vielleicht fürchtet man ja Personalkürzungen.

Allerdings gibt es auch Fälle, in denen man beim Überprüfen feststellt, dass man doch mehr benötigt - ein Kapitel oder vielleicht sogar das ganze Buch. Hier sind Situationen denkbar, in denen manche für einen schnelleren Zugriff, als ihn die Aus- oder Fernleihe bietet, auch zahlen würden. In Zusammenarbeit mit Rechteinhabern möchte der Konzern (der noch vor drei Jahren jede Absicht, ins Buchgeschäft einzusteigen, vehement bestritt) deshalb den "Online-Kauf" solcher Werke ermöglichen.

In diesem Zusammenhang will Google auch "Paketabonnements" anbieten. Dass man hier ausgerechnet den Springer-Wissenschaftsverlag als Vorbild nennt, dessen DRM-Pakete mit zur Bibliothekskrise beitrugen, ist allerdings nicht unbedingt vertrauenserweckend. Problematisch ist außerdem, dass Google beim Verkauf eines Online-Zugangs reale Personendaten und Kontonummern in die Hände bekommt, die das Unternehmen dann mit IP-Nummern, Web-Suchanfragen, Gmail-Aktivitäten und vielen anderen Daten verknüpfen kann.

Erzeugen neue Leistungschutzrechte erst ein Monopol für Google?

Auf die urheberrechtlichen Vorwürfe antworteten die Google-Vertreter relativ bereitwillig und ausführlich. Auf Fragen nach einer Reaktion auf das von der Electronic Frontier Foundation (EFF) geforderte Anlegen der Datenschutzstandards, die für amerikanische Bibliotheken gelten, reagierte man dagegen erst gar nicht und verwies nach einem Insistieren auf eine Antwort schließlich auf später. Und eine erst gegebene Auskunft, dass man gesammelte Nutzerdaten nicht weitergeben würde, mussten die Google-Sprecher nach der Nennung von Gegenbeispielen insofern relativieren, dass sich das Unternehmen "an Gesetze halten" und deshalb Informationen an staatliche Stellen weitergeben müsse. Was allerdings impliziert, dass alle von Google gesammelten Daten zumindest potentiell nicht nur der eigenen, sondern auch ausländischen Regierungen zugängliche Daten sind.

Mindestens ebenso problematisch ist (das wurde im Zusammenhang mit Äußerungen eines Vertreters der Bayerischen Staatsbibliothek klar), dass mit dem als Remedium angepriesenen neuem Leistungsschutzrecht für Verlage keineswegs Monopoltendenzen von Google Einhalt geboten wird. Stattdessen könnte sehr leicht das Gegenteil eintreten. Während die Staatsbibliothek vor zwei Jahren noch beteuerte, dass an den zusammen mit Google eingescannten gemeinfreien Büchern keinerlei neue Monopolrechte geltend gemacht würden, klang das beim Runden Tisch plötzlich ganz anders: Da wurde die in der Rechtswissenschaft herrschende Meinung, nach der ein Digitalisierungsprozess keine neuen Immaterialgüterrechte erzeugt, vom stellvertretenden Generaldirektor Dr. Klaus Ceynowa als eher radikale Sicht dargestellt und betont, dass man lediglich eine private Nutzung der Kopien erlauben würde.

Bemerkenswert ist diese Positionsänderung vor allem vor dem Hintergrund, dass Google und/oder die Staatsbibliothek als Einscanner von Werken durch ein am Sweat-of-the-Brow-Prinzip orientiertes neues Leistungsschutzrecht (das nun politisch in Reichweite erscheint) möglicherweise mit einem Schlag "geistige Eigentumsrechte" auf praktisch die gesamte deutsche Textproduktion vom 17. bis zum 19. Jahrhundert übertragen bekämen. Das wäre dann wirklich ein Monopol.