"Augen und Ohren in Iran, im Irak und in Syrien"

Seymour Hersh über den "Plan B" der Israelis in den Kurdengebieten

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Der große Mann des amerikanischen Journalismus, Seymour M. Hersh (vgl. Rumsfeld und die supergeheime Pentagon-Abteilung), hat wieder etwas ausgepackt, was dem komplexen Kräftespiel im Nachkriegsirak eine neue Variable hinzufügt: Nach Informationen von Hersh sollen israelische Geheimdienstleute und Militärs in aller Stille im irakischen Kurdistan, sowie in kurdischen Teilen Irans und Syrien geheime Operationen in einem größeren Maßstab durchführen.

Schon im Juli letzten Jahres hätten israelische Geheimdienstleute die Amerikaner gewarnt, die 900 Kilometer lange Grenze zwischen Iran und dem Irak um "jeden Preis" dicht zumachen; andernfalls würde von iranischer Seite aus weiterhin ungehindert Unterstützung für die irakischen Gegner der alliierten Truppen ins Land gelangen. Die Besatzung würde sich dann bald einem verstärkten Widerstand gegenübersehen: mehr Bombenanschläge und mehr Attentate.

Die Amerikaner ließen die Grenze offen. Man entschied sich dazu, so eine hochrangige amerikanische Quelle Hershs, den Kontakt zwischen iranischen Pilgern und Irakern zuzulassen, weil man dachte, dies sei nützlich. Zudem wollte man die Iraker nicht isolieren. Auf israelischer Seite widersprach man dieser Ansicht heftig. Dort waren die Bedenken groß, dass diese Laxheit vor allem für Iran ganz nützlich sei, um im Irak soziale und Wohltätigkeitsorganisationen zu schaffen, unter deren Tarnung Leute rekrutiert werden könnten, die sich dann an bewaffneten Anschlägen gegen die Amerikaner beteiligen würden.

Israel brauchte andere Optionen

Tatsächlich gab die Serie von Anschlägen ab August 2003 den Warnungen vor einer Eskalation des Widerstands recht. Zu diesem Zeitpunkt, so zitiert Hersh einen israelischen Geheimdienstoffizier, kam die israelische Führung zu dem Schluss, dass die USA nicht willens seien, sich auf eine Konfrontation mit Iran einzulassen. Monate später - die USA hatten sich in ihren Alleingang verbohrt - kam man zu noch düsteren Schlüssen: Am Ende des letzten Jahres erfuhr Hersh in einer Reihe von Interviews mit Offiziellen, dass die israelische Führung nicht mehr daran glaubte, dass die Bush-Regierung es schaffen würde, für stabile oder gar demokratische Verhältnisse im Irak zu sorgen. Israel bräuchte "andere Optionen", da der Krieg anfing, Schaden an der strategischen Position des Landes anzurichten.

Da man sich in Israel besonders durch Iran, dessen Position durch den Krieg gestärkt worden war, bedroht fühlte, baute man die langjährigen Beziehungen zu den irakischen Kurden aus "und schuf eine signifikante Präsenz auf dem Boden der halbautonomen kurdischen Region":

Israelische Geheimdienst- und Militäragenten operieren jetzt in aller Stille in Kurdistan, bilden kurdische Kommandoeinheiten aus und, äußerst wichtig aus israelischer Perspektive, führen geheime Operationen innerhalb der kurdischen Gebiete in Iran und Syrien aus.

Heikles Spannungsgefüge

Weil Israel nach Vorgaben des amerikanischen Präsidenten Bush sich nicht "aktiv" am Krieg im Irak beteiligen sollte, sind diese Vorgänge besonders heikel, zumal die Operationen innerhalb Syriens und des Iran - von Grenzverletzungen abgesehen - empfindlich an leicht entzündliche Spannungsgemische rühren. Klar, dass die Erkenntnisse des amerikanischen Journalisten von offizieller Seite bestritten werden. "Einfach falsch", kommentierte der Sprecher der israelischen Botschaft in Washington; kurdische Vertreter verweigerten den von Hersh erbetenen Kommentar. Der Sprecher des Weißen Hauses ebenso.

Aber Hersh wäre nicht Hersh, wenn er sich damit begnügte. Ein CIA-Mann habe ihm in einem Interview letzte Woche bestätigt, dass Israelis in Kurdistan aktiv seien; sie hätten das Gefühl, dass sie kaum eine andere Wahl hätten: "Sie glauben, dass sie dort sein müssen."

"Plan B" soll die Entscheidung für eine stärkere Ausgangsposition in Kurdistan heißen, die logischerweise dazu führt, dass sich das Verhältnis zwischen Israel und der Türkei mit großen Spannungen auflädt - und, wie es in dem Bericht von Hersh heißt - "eine neue Allianz zwischen Iran, Syrien und der Türkei, die alle eine erwähnenswerte kurdische Minderheit haben, provoziert".

Die drei Länder befürchten, dass die Kurden im Irak, unzufrieden über die Nichterwähnung ihres Vetorechts gegenüber der Verfassung in der neuen Irak-Resolution (vgl. dazu Einstimmigkeit für die Irak-Resolution), ihre Unabhängigkeit gegenüber dem "Restirak" erklären und damit eine Situation schaffen könnten, die an den Balkan-Konflikt erinnert. Es wird vor allem befürchtet, dass sich die Kurden das ölreiche Kirkuk "einverleiben". Die Flucht von angeblich mehr als 100.000 Arabern aus der Region um Kirkuk in den letzten Wochen verringern diese Befürchtungen nicht.

Obwohl das Verhältnis zwischen den drei Ländern untereinander auch von Spannungen und Animositäten gekennzeichnet ist, könnten Syrien, die Türkei und der Iran ihre Spannungen untereinander erst einmal gegenüber den kurdischen Ambitionen hintanstellen. Sollte Israel seine Allianz mit der Türkei wegen der Kurden aufs Spiel setzen, zitiert Hersh einen europäischen Außenminister, wäre das ein schwerer Rückschlag für die ganze Region.

Realpolitik

Nach Informationen Hershs soll der türkische Außenminister Gul gegenüber den Aktivitäten Israels im Zusammenhang mit den kurdischen Ambitionen auf Autonomie geäußert haben, dass man hier keine echte Wahl habe zwischen Überleben und Allianz.

Israels Ziel nach dem 30.Juni, dem Datum der "Machtübergabe" im Irak, sei es, kurdischen Kommandotruppen soweit auszubilden, dass sie den schiitischen Milizen vor allem im Süden des Landes Paroli bieten könnten, weiß eine Quelle von Hersh.

Die israelische Unterstützung für die Kurden soll diese dazu instand setzen, dass sie tun können, was amerikanische Einheiten nicht tun konnten, nämlich in den Führungskern des schiitischen und sunnitischen Aufstands einzudringen, Informationen zu sammeln und Führer zu töten.

Israel habe die Kurden schon als Gegengewicht gegen Saddam in einer machiavellistischen Weise unterstützt. Das sei "Realpolitik", so ein israelischer Ex-Geheimdienstmann gegenüber Hersh. Wenn sich Israel mit den Kurden verbünde, gewänne Israel "Augen und Ohren in Iran, im Irak und in Syrien" - vor allem was das obskure Atomprogramm Irans betrifft. Demnach sollen israelische Agenten bereits mit kurdischen Kommandos die Grenze zu Iran überschritten haben, um Sensoren und andere Spürgeräte zu installieren, welche die iranischen Atomanlagen im Visier haben - die größte Sorge Israels.

Laut deutschen Geheimagenten habe man Beweise dafür, dass Israel den Einfluss innerhalb Kurdistans und kurdischer Gemeinschaften in Iran und Syrien für "geheimdienstliche und operationelle Zwecke" nutze. Syrische und libanesische Offizielle glauben sogar, dass der israelische Geheimdienst eine Rolle bei den gewalttätigen Protesten Mitte März in Syrien, wo syrische Kurden mit syrischen Truppen aneinander gerieten, gespielt hätten.

Israelische Vertreter hätten ihm gegenüber erklärt, dass sie nichts in Kurdistan unternehmen würden, was die türkischen Interessen unterminiere, er solle sich keine Sorgen machen, berichtet ein türkischer Vertreter und fügt hinzu.

Wenn es öffentlich bekannt wird, was sie getan haben, wird es Ihre Regierung und unsere in eine schwierige Position bringen. Wir können Kurdistan akzeptieren, solange der Irak intakt bleibt; aber niemand kennt die Zukunft, nicht einmal die Amerikaner.

Nach Berichten des israelischen Online-Magazins Israel-Insider und der Jerusalem Post dementierte der Sprecher des Büros des Ministerpräsidenten den Hersh-Bericht nicht. Er habe keine Ahnung von dem Bericht, heißt es. "Ich weiß nicht, ob er wahr ist oder nicht. Wir haben den Bericht gelesen (!) und keiner (im Büro des Ministerpräsidenten) antwortet darauf."