Aussehen wie man sich fühlt

Botox - eine Biowaffe als Lifestyle-Medikament gegen Stirnfalten

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Botulinum-Toxin ist eine Biowaffe. Die japanische Sekte Aum Shinrikyo experimentierte mit dem Bakteriengift. Bei Anschlägen auf amerikanische Luftwaffenstützpunkte starb lediglich deswegen niemand, weil die Sekte offenbar den falschen Bakterienstamm verwendet hatte. Ansonsten gilt Botulinum-Toxin als eine der wirksamsten Biowaffen. Es gehört zu den Stoffen, gegen welche die US-Armee ebenso wie das Center for Disease Control and Prevention ständig ausreichende Mengen an Gegengift bereithalten. Allerdings werden sich im Jahr 2003 nach den Prognosen des Pharmaunternehmens Allergan bis zu 1,6 Millionen Amerikaner freiwillig eine verdünnte Form von Botulinum-Toxin A spritzen lassen. Denn das Nervengift ist auch eine wirksame Waffe gegen Falten.

Spätestens im März erwartet Allergan laut einer Unternehmenssprecherin die Zustimmung der Food and Drug Administration (FDA) für die Vermarktung von Botox als kosmetischen Wirkstoff. Wirtschaftsanalysten sagen - wie jüngst der Economist - Allergan immense Gewinne voraus. Botox könnte in den Vereinigten Staaten das neue Lifestyle-Medikament nach Prozac und Viagra werden. Ein schicker Marketing-Begriff ist auch schon entstanden: Selbst die New York Times schreibt mittlerweile über "botox babes".

Das Wirkprinzip von Botulinum-Toxin als Waffe gegen Menschen und gegen Falten ist dasselbe: Der Stoff setzt sich am Übergang von Nerven zu Muskeln ab und verhindert die Ausschüttung eines Botenstoffes. Dadurch wird der Muskel lahm gelegt. Während nun eine bakterielle Lebensmittelvergiftung oder gar ein Anschlag Menschen durch diese Wirkung ersticken lässt, glätte das Lifestyle-Medikament Botox durch die Injektion an den richtigen Stellen das Gesicht eines Patienten. Drei Tage bis zu einer Woche später kann man - bei richtiger Anwendung - beispielsweise die Stirn überhaupt nicht mehr runzeln. Bis zu sechs Monate hält die Wirkung an.

Seit 1991 wird Botox in den Vereinigten Staaten bei neurologischen Erkrankungen - Augenlidkrämpfen zum Beispiel - verwendet. Da die kosmetische Verwendung bislang in den USA ebenso wenig wie in Deutschland offiziell zugelassen ist, darf das Unternehmen weder gegenüber potentiellen Kunden noch Ärzte direkt für die Anwendung werben. Dennoch stiegen die Umsätze von Allergan laut Angaben des Unternehmens in den USA von 19,5 Millionen Dollar 1992 auf 310 Millionen Dollar im vergangenen Jahr. Schon im Jahr 2000 machten Botox-Injektionen fast ein Fünftel aller kosmetischen Eingriffe von Schönheitschirurgen in den Vereinigten Staaten aus, Brustvergrößerungen lagen bei lediglich 3,5 Prozent. Soweit die Zahlen der American Society for Aesthetic and Plastic Surgeons.

Nach der Zulassung durch die FDA dürften diese Zahlen explodieren. Botox könnte eine Blockbuster-Produkt wie Viagra werden. So wird von Analysten ein Stoff genannt, der mehr als eine Milliarde Dollar Jahresumsatz bringt. Prognosen von Merrill Lynch zufolge soll Allergan, die Zulassung von Botox vorausgesetzt, binnen zwei Jahren - vorsichtigere Prognosen sprechen von vier Jahren - mehr als 1,2 Milliarden Dollar erzielen: "Amerika wird älter. Jetzt herrscht eine Offenheit gegenüber diesen Verfahren", sagte der Merrill Lynch-Analyst Greg Gilbert. Auch den behandelnden Ärzten verschafft Botox ungeahnte Profite: Einer oft zitierten Rechnung zufolge kann eine 400 Dollar teure Portion Botox bis zu 1000 Dollar Umsatz bei den Behandlungskosten bringen - und die Anwendung dauert zehn Minuten.

Die Kritik an der kosmetischen Anwendung von Botox hält sich in Grenzen. Im Filmgeschäft sieht man die Vor- und Nachteile der sogenannten "botox babes" ganz pragmatisch: "Sie können ihre Gesichter nicht richtig bewegen", bemängelte zum Beispiel der Regisseur Buz Luhrmann ("Moulin Rouge"). Die Psychologin Nancy Etcoff, Autorin des Buches "Survival of the Prettiest: The Science of Beauty" hingegen sagte der New York Times: "Es ist, als hätten wir die Authentizität aufgegeben." Das klingt vielleicht doch etwas naiv. Schon 1999 verkündete eine in Beverly Hills praktizierende Schönheitschirurgin in CNN: "Wir ermöglichen den Menschen so auszusehen, wie sie sich fühlen."