Baden zwischen Lust und Revolte

Seite 2: Die geschlossene Tür

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Das Bürgertum zeigte sich unentschlossen zwischen den Klassen. Sofern biedermeierlichen Zeiten nachtrauernd, imitierte es adelige Gewohnheiten. Badekabinette wurden in Alkoven neben dem Schlafzimmer eingerichtet. Das lässt sich jedoch nicht vereinheitlichen. Ärmere Familien mussten ihre Wanne oder Badeschüssel im Flur oder der Küche aufstellen. Für das gehobene Bürgertum wurde 1873 die Empfehlung abgegeben, das Bad komplett zu möblieren mit Diwan, Fauteuil, Trumeaukästchen (Schränkchen als Spiegel-Untersatz) usw. Der Historismus hielt Einzug. Die flächendeckende Erschließung der Städte mit fließendem Wasser zur selben Zeit warf jedoch alles um. Die Versorgungsstränge konnten reduziert werden, wenn das Bad zur Küche verlegt wurde. Und die Schüssel des Waschtisches emanzipierte sich vom Möbel, indem sie zum Waschbecken wurde.

Wasser musste nicht mehr geschöpft und getragen werden. Diener wurden überflüssig, zumal Handtuch- und Rockhalter ins Bad Einzug hielten. Der Mentalitätswandel, der Rückzug ins Private, der mit dem Verbot gemeinschaftlicher Badehäuser begonnen hatte, war perfekt.4 Die Tür zum Bad konnte erstmals abgeschlossen werden. Der Raum wird, wenn die Frau ihn betritt, zum Heiligtum. Die Gesellschaft muss draußen bleiben. Dazu bedurfte es keiner Verbote mehr. Die Paarung von Scham und Intimität reichte aus. Fehlt nur noch, glaubt man Adolf Loos, die Rohrzange: "Der Klempner ist der Wegbereiter der Zivilisation." Ist seine Arbeit "Zivilisationstechnik"? Von der Sozialhygiene und der Städtereinigung führte ein Zug zur kulturellen Moderne Das Bürgertum sonderte seine Behausungen durch 'Cordons sanitaires' von den Arbeiterwohnbezirken ab.

Auf die Technik kam es schon 1905ff. an. Bild: Vaillant

Schmutz wurde mit Laster gleichgesetzt, Hygiene mit sittlicher Ordnung. Von sozialhygienischen Maßnahmen zur Verbesserung des Wohnumfeldes versprach sich Alfred Krupp, dass die befürchtete "allgemeine Revolte der Arbeiter" an ihm vorübergehe. Die ärztliche Forderung von 1873: "Jedem Deutschen wöchentlich ein Bad" mutete utopisch angesichts des statistischen Befundes an, dass noch um 1900 rein statistisch auf jeden Berliner alle drei Jahre ein warmes Bad kam. Die Zahl beschönigt zudem das soziale Gefälle etwa zwischen Beamten und Arbeitern. Die Flüsse hatten sich in Kloaken verwandelt. Pariser Kanäle wurden von Exkrementen verstopft. Cholera-Epidemien erzwangen den Bau öffentlicher Bade-Anstalten. England war ab dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts der Vorreiter. Waschanstalten bzw. Dampfwäschereien gehörten häufig dazu.

Müller'sches Volksbad, München 1901. Bild: Jorge Royan. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Im Ruhrgebiet waren Waschkauen für Bergarbeiter die Ausgangsbasis von Volksbadeanstalten. Zunächst bestanden diese aus Wannenbädern, dann auch, weil ökonomischer, Brausebädern. Größere Schwimmbecken bedurften der Überdachung, in Berlin zuerst 1855. Das Wiener Dianabad war schon 1842 mit einer 58 m langen und 22 m breiten verglasten Eisenkonstruktion versehen worden. Der Vergleich mit Bahnhofsbauten liegt nahe. Wannenbäder hielten sich in Berliner Schwimmhallen bis in die Mitte der 1990er Jahre.

Alte Schwaben, um 1900. Bild: Public domain

Das Bürgertum des 19. Jahrhunderts wollte sich anfangs nicht mit den Arbeitern gemein machen. Die Wannen- und Brausebäder fürs gemeine Volk waren in quasi militärischer Ordnung angelegt, Badedauer und Wassertemperatur streng geregelt. Die Körper der Arbeiter und ihres Nachwuchses sollten für die industrielle Reproduktion und die Kriegsverwendung tauglich gemacht werden. Aber spätestens ab dem Fin de siècle waren Luxusbäder nicht mehr dem Bürgertum vorbehalten. Die Schwimmbäder wurden "Paläste des Volkes", antike Thermen oder die Rokoko-Pracht imitierend mit Galerien, mit Marmor und Vergoldungen. Die Bäder waren Inspirationsquelle des Jugendstils. Bedampft und geschwitzt wurde römisch, orientalisch und russisch.

So könnte die Museumsinsel für Einheimische und Touristen neu erschlossen werden. Bild: Flussbad Berlin e.V.

Die Volksbäder sind ursprünglich aus den Flüssen aufgestiegen. Flussbäder sind schon im Mittelalter, und aus rituellen Gründen noch früher, gebräuchlich gewesen. Die mittelalterliche Unbefangenheit hielt sich lange am und im Fluss. Man badete nackt und ohne Scheu zwischen den Geschlechtern. In Ulm ging die Auseinandersetzung zwischen der Obrigkeit und den Badenden hin und her, bis letztere sich in einer Petition zu "Schwimmsachverständigen" mauserten, um ein Badeverbot von 1803 anzufechten. Aber seit der Französischen Revolution setzte sich auch am Fluss eine "Einhausung" des Badens, eines alten Gemeinguts, durch, erst durch Kabinen auf Schiffen oder Flößen - und zwar als Reinigungsbad - dann durch Badehütten am Ufer. Flussbaden, auch ohne institutionelle und bauliche Einengung, ist in der Schweiz - wo es "Schwumm" heißt - bis heute beliebt und soll in Berlin an der zentralen Museumsinsel wiederbelebt werden.

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