Baden zwischen Lust und Revolte

Seite 3: Die Tür zur Vergangenheit

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Gegen das Hygiene-Dogma als Mittel zur Volksgesundheit wendete sich in den privaten Bädern des Großbürgertums ein historistischer Prunkstil, der diesem Raum am Vorabend des Ersten Weltkriegs den Komfort eines Wohnzimmers verschaffen sollte. "Kein Gegenstand ohne Kunst" hieß es im Hinblick auf den Ornamentüberschwang auch im Bad. Prototypen amerikanischer Bäder wurden hingegen in Kontinentaleuropa als "Dreckentfernungsmaschine" verhöhnt.

Die zunehmende Technisierung des Bades durch fließendes Wasser und Gasboiler sowie den sachlichen Stil von gusseisernen Wannen hatte in den USA einen frühen Funktionalismus des Notwendigen auf kleinem Raum hervorgerufen. Zwar legten die Sanitärstränge die Angrenzung des Bades an die Küche nahe, doch machte das Komfort-Bedürfnis die Nachbarschaft zum Schlafzimmer erstrebenswert und rief das Bild des "Toilette Machens" ins Gedächtnis zurück. In den USA dienten Hotels als Vorbild für diese Lage.

Die Koordinaten Küche, Schlafzimmer und selbständiges Wohnbad bestimmten die Baderaumplanung im gesamten 20. Jahrhundert, wobei die Art des Hauses und die Kaufkraft der Klientel die äußeren Bedingungen waren.

Zweisitzer sind nicht immer das, wofür sie gehalten werden, wusste schon Loriot (Sketch "Herren im Bad"). Objekt/Bild: Kohler

Kommunitäre Formen des Badens waren nicht aus der Welt. Luft- und Sonnenbäder, die Errungenschaften der Lebensreformer, hielten sich bei organisierter Nacktheit bis in die Weimarer Zeit. In den "Volkswohnpalästen" wie dem Karl-Marx-Hof in Wien waren ausschließlich gemeinschaftliche Bäder eingebaut. Auf den Rückzug in die private Innerlichkeit nach dem Zweiten Weltkrieg reagierte die Studentenbewegung. In der Kommune I wurde lebhaft diskutiert, ob beim Gang aufs Klo die Tür geschlossen werden darf.

Wer heute in sein Bad Sauna und Whirlpool einbaut, liebt die Geselligkeit nach Art römischer Thermen. Mit dem feinen Unterschied, dass es nun auf privater Basis geschieht. Wer über die entsprechenden Raummaße etwa eines Lofts verfügt, kann das Bad auch zum Schlafzimmer öffnen. Halbhohe Blenden genügen, wenn nicht gleich alles in ein Möbelstück integriert ist. Baden und Wohnen verbinden sich zur Wellness-Landschaft, zum Spa.

Mittlere Einkommensschichten können sich immer noch die kleine Geselligkeit zweisitziger Badewannen und zweier Waschbecken leisten. Wer über 3 - 4,5 m² Badezimmerfläche verfügt, und das sind immerhin 50% aller Wohnungen, bei dem mag es noch zu einem Waschtisch mit Schüssel reichen.

Mit formaler Strenge die Verbindung nach draußen herstellen: "Red Bridge House", Sussex Pers Smerin. Bild: Tim Crocker

Das ist Retro. Für Badezimmer kann heute verallgemeinert werden: Je reicher, desto Retro. Alles ist möglich, ob "Tropical", Country oder Belle époque. High-Tech in Chrom und Milchglas bläht den Funktionalismus zum Demonstrationsobjekt für neidische Gäste auf, die man im Grunde nicht leiden kann. Am Ende zieht man sich allein ins Bad zurück, den Ort der Selbstbespiegelung, und stellt fest, dass alles schon wieder überholt ist. Einrichtungsberater haben leichtes Spiel. Sie verkaufen nicht einfach Sanitärprodukte, sie verkaufen den Stoff, aus dem Badeträume sind. Zum Glück gibt es auch in der Badewanne einige, die gegen den Strom schwimmen.

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