Bald obligatorische Wehrerziehung an lettischen Schulen

Seite 2: Öffentliche Kritik an der Wehrerziehung ist kaum vernehmbar

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Trotz der allgemeinen Bekundungen zum militärischen Patriotismus deutet Bergmanis' Absicht, Schüler in Wehrkunde zu unterrichten, auf einen Mangel hin: 2006 wurde die Wehrpflicht abgeschafft, seitdem müssen sich lettische Militärs um Nachwuchs bemühen. Nach Ansicht des Ministers engagieren sich zu wenige Jugendliche in der militärischen Nachwuchsorganisation Jaunsardze, in der Kinder und Jugendliche ab dem Alter von zehn Jahren ihre Freizeit verbringen. Ob tatsächlich Wehrerziehung schon in nächster Zeit an allen Schulen eingeführt werden kann, ist noch unklar. Die Vertreter der Ministerien bezweifeln, rechtzeitig genügend geeignete Pädagogen zu finden.

Öffentliche Kritik an der Wehrerziehung ist kaum vernehmbar. Die politisch erzkonservativ eingestellte Evangelische Kirche des Landes zeigt keine pazifistischen Neigungen. Einige Psychologen nahmen weniger ablehnend als abwägend Stellung.

Psychotherapeut Andis Užāns befürwortet Militärisches in den Schulen, so sei das Leben, man müsse lernen, sich mit Waffen zu verteidigen. Zu allen Zeiten hätten Menschen aufeinander geschossen, die Ressourcen hätten jene erlangt, die schossen. Kollegin Zaiga Blaua argumentiert distanzierter. Die Arbeitsgruppe der Ministerien müsse zur Kenntnis nehmen, dass nicht jede Schülerin oder Schüler etwas über Waffen und Töten wissen wolle. Kenntnisse über Zivilschutz und Erste Hilfe begrüßt sie hingegen. Sie erinnert sich an sowjetische Zeiten, als Wehrerziehung schon einmal Teil des Schulunterrichts war. Zivilschutz habe zum Programm gehört, der Schutz vor biologischen Waffen, Masseninfektionen und atomarer Verseuchung. Die Schülerinnen und Schüler hätten auch gelernt, die Kalaschnikow mit geschlossenen Augen auseinanderzunehmen und wieder zusammenzusetzen. Die Atmosphäre sei aufgeheizt gewesen, weil man einen amerikanischen Angriff erwartet habe.

Blaua hält auch die derzeitige Weltlage für angespannt. Zwar ist sie überzeugt, dass Letten sich auf Verteidigung verstehen müssten, andererseits verstärke die Einführung der Wehrerziehung ein Klima der Furcht: Es geschehe das, was vorbereitet werde. Wenn es ein Gewehr gebe, werde damit irgendwann auch geschossen.

Das Stichwort "Wehrerziehung" erinnert an das Jahr 1978, als die DDR die Wehrkunde einführte. Damals urteilte Zeit-Journalist Joachim Nawrocki aus westdeutscher Perspektive kritisch: Durch die Wehrkunde an den sozialistischen Schulen werde den Bürgern der DDR eingebläut, dass im Westen ein gefährlicher Feind lauere. In einer "Handreichung zur Sozialistischen Wehrerziehung" sei die "Erziehung zum Hass" begrüßt worden. Nawrocki beobachtete eine paradoxe Schlussfolgerung der DDR-Führung: "Entspannung zwingt zu erhöhten Verteidigungsanstrengungen."

Die Überzeugung, dass nur mehr Rüstung und Wehrfähigkeit den Frieden sichere, herrscht auch an der Rigaer Bucht vor. Die lettische Regierung flattert mit den Falken und setzt auf Abschreckung. Gegen Russland helfe nur militärische Stärke, hört man hierzulande allenthalben.