Bauernproteste erschüttern Paris: Frankreichs Landwirte am Limit
- Bauernproteste erschüttern Paris: Frankreichs Landwirte am Limit
- Kampf gegen Dumpingpreise: Landwirte vs. Supermarktketten
- Andere Polarisierungen: Unterschiede zu Deutschland
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18 Prozent leben unter der Armutsgrenze: Ein Blick auf die Realität hinter den Protesten. Wo liegen die Unterschiede zu Deutschland?
Voll im Medienfokus steht im Laufe dieser Woche der Eingang zu den Pariser Messehallen an der porte de Versailles, einem im Südwesten der Hauptstadt gelegenen früheren Stadttor mit Métro- und Straßenbahn-Anschluss.
Landwirtschaftsmesse: Showauftritte der Politiker
Dort findet seit dem vorigen Samstag, den 24. Februar und noch bis zum Ende dieser Woche, dem 03. März – zum sechzigsten Male – der jährliche Salon de l’agriculture statt, die internationale Landwirtschaftsmesse von Paris.
Diese bildete schon in jüngerer Vergangenheit einen Publikumsmagneten mit alljährlich Hunderttausenden Besuchern; für Familien mit Kindern ist er ein Streichelzoo mit Anfassen von Schafen, Lämmern und Kühen, wo man auch Küken beim Ausschlüpfen zusehen kann, und Konsumfreudige können sich mit Esswaren aus allen französischen Regionen, den "Überseegebieten" oder auch an Ständen verschiedener Gastländer eindecken.
Aber in diesem Jahr drängt es auch Politikerinnen und Politiker dorthin, und nicht nur aufgrund der in dreieinhalb Monaten stattfindenden Europaparlamentswahlen.
Die Rolle der extremen Rechten: Macron vs. Bardella
Am letzten Samstag zur Eröffnung zog es Staatspräsident Emmanuel Macron dorthin, was zu zeitweilig heftigem Gerangel den Anlass gab. Am Sonntag und Montag sonnte sich der Vorsitzende des rechtsextremen Rassemblement national (RN), Jordan Bardella, dort im Lichte der für Selfies gezückten Telefone, am Mittwoch gefolgt von seiner Parteifreundin und Fraktionschefin in der Nationalversammlung, Marine Le Pen sowie dem Chef der französischen KP, Fabien Roussel.
Aufgrund des ihm dort bereiteten Empfangs, und im Vorgriff auf den Bardella-Besuch auf der Messe, beschuldigte Emmanuel Macron eilig die extreme Rechte, hinter den Randalierern zu stehen.
Doch dies scheint, wenn auch nicht völlig falsch – ihre Sympathisanten unter den Protestierenden zu suchen, ist nicht abwegig –, doch viel zu kurz gegriffen.
Der Anfang eines landesweiten Aufstands
Sozio-ökonomisch motivierte Agrarproteste dauern, wie in den vergangenen Monaten in zahlreichen EU-Ländern, darunter Deutschland, auch in Frankreich seit Monaten an.
Dort begannen sie im Oktober und November 2023 im Südwesten des Landes, wo zunächst unzufriedene und protestierende Landwirte oder Landwirtinnen bei nächtlichen Aktionen die Ortschilder am Eingang vieler ländlichen Kommunen umkehrten und auf den Kopf stellten.
Dieses Symbol wurde auch am Eingang zur Pariser Landwirtschaftsmesse, in dessen Nähe in diesen Tagen zahlreiche kopfstehende Ortsschilder hängen, reproduziert.
Ab Mitte Januar dieses Jahres fing dann, zunächst mit regionalen Traktordemonstrationen etwa in Toulouse und kurz darauf mit einer einsetzenden landesweiten Protestmobilisierung, die "heiße Phase" an.
Die heiße Phase der Bauernproteste
Auf ihrem Höhepunkt waren mehrere Autobahnen rund um Paris blockiert, und Bauernprotestler versuchten in den ersten Februartagen, zum Großmarkt von Rungis in der südlichen Pariser Vorstadtzone – dem weltweit größten Frischmarkt, auf dem Grossisten aus Gastronomiegewerbe und Lebensmittelvertrieb sich mit Gemüse, Fleisch, Meeresfrüchten und sonstigen Bedarfsgüter eindecken – vorzudringen und diesen aufzumischen, worauf starke Polizeikräfte antworteten.
In west- und südwestfranzösischen Städten ballte sich ebenfalls Protest zusammen, in Agen etwa wurde die Fassade der Präfektur (Vertretung des Zentralstaats auf Départements-Ebene) mit Jauche neu gestrichen. Insgesamt werden die landesweiten Schäden, die am Rande der Proteste entstanden, derzeit auf acht Millionen Euro beziffert.
Die Identifikation mit der französischen Landwirtschaft
Im Jahr 1950 war in Frankreich noch ein Drittel der Erwerbsbevölkerung in der Landwirtschaft tätig – erheblich mehr als im selben Jahr in der Bundesrepublik mit knapp 25 Prozent –, zu Anfang der Achtzigerjahre waren es immer noch acht Prozent reiner Landwirte oder vierzehn Prozent, rechnete man etwa Nebenerwerbsbauern mit hinzu.
Zur gleichen Zeit wies die Statistik für die Bundesrepublik nur noch fünf Prozent auf.
Heute sind in Frankreich nur noch 2,5 Prozent der Erwerbsbevölkerung im Agrarsektor tätig, rund 700.000 Menschen, davon 400.000 als reine Landwirte, in Deutschland sind es rund zwei Prozent. Der relativ geringe quantitative Anteil darf allerdings nicht über die Bedeutung dieser Berufsgruppe hinwegtäuschen.
Zum einen ernährt die Landwirtschaft alle übrigen Bevölkerungsteile, und tut es die inländische nicht, dann eben die anderer Staaten. Zum Zweiten weisen fast alle Franzosen, geht man zwei Generationen zurück, mindestens einen bäuerlichen Vorfahren-Anteil auf, so dass die Identifikation allgemein stark ist.
Materielle Verelendung
In der Getreideproduktion, aber auch im oberen Bereich der Wein- und Spirituosenproduktion, wo bekannte Marken hergestellt werden, gibt es deswegen durchaus wohlhabende Produzenten.
Zugleich wurden die unteren Segmente der Landwirte wie auch der Weinbauern – vor allem in Südwestfrankreich – in eine materielle Verelendung getrieben, vor allem gemessen an der Zahl der von ihnen geleisteten Arbeitsstunden, die oft erheblich über die von Arbeitern in der Industrie oder Angestellten hinausgehen.
Betroffen ist hier etwa die Milchviehhaltung oder Fleischproduktion, wobei es in Frankreich bislang im Vergleich zu Deutschland noch nur wenige große Mastbetriebe gibt. Auch die erforderliche Arbeitszeit und die daraus erwachsenden Zwänge unterscheiden sich erheblich.
Wer Milchvieh hält, muss sieben Tage die Woche im Betrieb tätig sein, denn ob es stürmt, schneit, Sonn- oder Feiertag ist, die Kühe möchten gemolken und gefüttert und die Ziege kann krank werden. Salatköpfe schreien dagegen nicht am Sonntag früh im Stall.
Armut unter Landwirten: Eine besorgniserregende Statistik
Im Jahr 2021 lebten laut dem Statistikamt INSEE 18 Prozent der aktiven Landwirte unter der Armutsgrenze; ihr Durchschnittsverdienst betrug 1.475 Euro brutto und lag damit rund dreihundert Euro unter dem Brutto-Mindestlohn für Lohnabhänge bei Vollzeittätigkeit.
Am geringsten verdienten Schaf- und Ziegenzüchter, am besten Getreideproduzenten. Laut INSEE verdiente ein bäuerlicher Haushalt 2021 durchschnittlich nur 17.700 Euro aus landwirtschaftlichen Aktivitäten, dagegen 30.100 aus dem "Neben"verdienst – in Wirklichkeit mittlerweile oftmals der Hauptverdienst –, den in der Regel die Ehegattin aus einer anderen Tätigkeit bezieht.
Innerhalb von dreißig Jahren sank das Nettoeinkommen aus landwirtschaftlichen Aktivitäten um vierzig Prozent.
Loi EGALIM: Ein Versuch, die Landwirte zu schützen
Abhilfe verschaffen sollte eine Serie von Gesetzen unter dem Namenskürzel Loi EGALIM, deren erstes im Herbst 2018 verabschiedet wurde und von denen es mittlerweile drei gibt.
Die Regierung räumt inzwischen selbst ein, diese seien weitgehend wirkungslos geblieben; einer der Hauptgründe dabei sind ausbleibende Kontrolle.