Bayerischer Nichtraucherschutz-Volksentscheid wäre in neun Bundesländern gescheitert

Der Verein Mehr Demokratie will deshalb eine "Reformdebatte" anstoßen

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Hätten die Nichtraucherschützer ihren am letzten Sonntag erfolgreichen Volksentscheid nicht in Bayern, sondern in Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Thüringen und im Saarland abgehalten, dann wäre er an einer zu niedrigen Wahlbeteiligung gescheitert. In zweien davon, nämlich in Baden-Württemberg und im Saarland, sowie zusätzlich in Hessen wäre die Initiative, für die in Bayern über 10 Prozent der Wahlberechtigten unterschrieben, wahrscheinlich schon an den dort höheren Zulassungshürden gescheitert.

Der Verein Mehr Demokratie will deshalb eine "Reformdebatte" anstoßen, die ein Absenken von Zulassungshürden und Quoren zur Folge haben soll. Einige Bundesländer führen solch eine Debatte bereits: In Nordrhein-Westfalen, wo es in 60 Jahren nur zwei Volksbegehren und keinen einzigen Volksentscheid gab, hat die künftige Koalitionsregierung aus SPD und Grünen am Mittwoch angekündigt, die Voraussetzungen für direkte Demokratie sowohl auf Kommunal- als auch auf Landesebene verbessern zu wollen. Allerdings benötigen die beiden Parteien noch mindestens die Stimme eines anderen Abgeordneten, um diese Pläne auch in Gesetze gießen zu können.

Zudem kann es dauern, bis eine Ankündigung als Gesetzentwurf eingebracht wird: Das zeigt unter anderem das Beispiel Brandenburg, wo die rot-rote Landesregierung zwar 2009 erleichterte Voraussetzungen für direktdemokratische Instrumente in den Koalitionsvertrag schrieb, bisher aber noch kein entsprechendes Verfahren einleitete, obwohl ein SPD-Landesparteitag die Abgeordneten und die Regierung bereits daran erinnerte.

Ähnlich verhält es sich im Saarland. Dort kündigte die Jamaika-Koalition zum Regierungsbeginn an, die Quoren zu senken und den absoluten Finanzvorbehalt zu lockern. In der Praxis war von entsprechenden Gesetzesänderungen bisher jedoch nicht nichts zu hören. Ganz im Gegenteil lehnten CDU, FDP und Grüne im März einen entsprechenden Gesetzentwurf der SPD ab. Doch auch die SPD hatte in dem Bundesland jahrzehntelang Mehrheiten, ohne dass sie solche Verbesserungen durchgesetzt hätte. Es scheint deshalb fast, als ob das Eintreten von Parteien für mehr direkte Demokratie immer dann erblüht, wenn sie in der Opposition sind, und stark nachlässt, sobald sie in einer Regierung sitzen und ihnen Bürger dazwischenfunken könnten.

Das zeigt sich auch in Bayern - dem Bundesland, das trotz eines ersten Platzes im letzten Volksentscheid-Ranking relativ hohe Zulassungshürden hat, weshalb nur aus einem Drittel der 18 bisher dort angestoßenen Volksbegehren auch Volksentscheide wurden. Die oppositionelle SPD brachten mit dieser Begründung einen Gesetzentwurf ein, der eine Verlängerung der Eintragungsfrist von zwei auf vier Wochen und die freie Sammlung von Unterschriften vorsieht - wohl wissend, dass der Vorschlag aufgrund der Mehrheitsverhältnisse keine Chance auf eine Annahme hat. Gleiches gilt für einen weitergehenden Gesetzentwurf der ebenfalls oppositionellen Grünen, der zusätzlich eine Senkung des Unterschriftenquorums von zehn auf fünf Prozent der Stimmberechtigten beinhaltet. Er geht nächste Woche in die zweite Lesung, obwohl die regierende CSU schon vorher angekündigt hat, dass sie das Vorhaben scheitern lassen wird.

Noch deutlicher zeigt sich dieser Effekt auf Bundesebene: Dort fiel der SPD, nachdem sie an die Regierung kam, plötzlich ein, dass sie zur Einführung von Volksentscheiden auf Bundesebene eine Klarstellung im Grundgesetz für notwendig hält, obwohl Artikel 20 bereits regelt, dass das Volk die Staatsgewalt nicht nur in Wahlen, sondern auch in Abstimmungen ausübt. Diese Haltung führte 2002 dazu, dass die Partei im Bundestag zusammen mit den Grünen einen Antrag für eine solche Verfassungsergänzung einbrachte, der jedoch aufgrund der dafür notwendigen Zweidrittelmehrheitsanforderung vorhersehbar an den Abgeordneten der Union scheiterte.

Nachdem die Wahlen von 2005 die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag zu ihren Ungunsten änderten, brachten die Grünen den Gesetzentwurf in leicht veränderter Form erneut zur Abstimmung, in der er erwartungsgemäß wieder scheiterte. Ebenso erging es einem 2006 vorgelegten Entwurf der Linken und einem dritten Vorstoß der FDP, die nach der Regierungsübernahme ebenfalls keine ernsthaften Anstalten mehr machte, die Einführung von Volksentscheiden auf Bundesebene durchzusetzen.